Kartellverdacht im Seetransport

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Fast könnte man den Eindruck gewinnen, die Europäische Kommission habe es sich in den letzten Jahren zum Ziel gesetzt,  den Frachtverkehr in Europa einmal ordentlich aufzuräumen. Nachdem sie im November 2010 elf Luftfrachtunter-nehmen mit fast 800 Millionen Euro Geldbußen belegt und im März dieses Jahres 14 Logistikdienstleister mit einer Geldbuße von insgesamt 169 Millionen Euro bestraft hatte, geht die Europäische Kommission nun anscheinend auch dem Verdacht der Kartellbildung im Seetransport nach.

Jedenfalls wurde am 7.9.2012 offiziell bestätigt, dass Kommissionsmitarbeiter am 6.9.2012 Seetransport-Unternehmen unangekündigt wegen des Verdachts der Kartellbildung inspiziert hatten. Die Inspektionen wurden in Abstimmung mit den amerikanischen und japanischen Wettbewerbsbehörden in mehreren EU-Ländern durchgeführt – der Verdacht scheint also zumindest auch den transatlantischen Güterverkehr zu betreffen.

Damit ging die Kommission der Vermutung nach, mehrere Firmen, die Seetransporte von Autos sowie Baumaschinen und landwirtschaftlichen Geräten anbieten, hätten sich zum Schaden der Verbraucher untereinander abgestimmt und damit gegen Art. 101 AEUV verstoßen, der Kartelle und wettbewerbsbeschränkende Geschäftspraktiken verbietet.

Absprachen sowie  abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs in der EU bezwecken oder bewirken sind danach verboten. Dies betrifft zum einen insbesondere die „Kernbeschränkungen“ wie die gemeinsame Festsetzung von Preisen und Geschäftsbedingungen sowie die Aufteilung von Märkten (auch in Form von Quotenregelungen). Vom Verbot umfasst sind aber auch weit gefasste andere Verhaltensweisen, wenn sie dazu führen, dass Unternehmen im  Wettbewerb nicht mehr selbständig und klar erkennbar unabhängig voneinander am Markt auftreten.

Um welche Unternehmen es in dem Verfahren nun genau geht und wo diese ihren Sitz haben, teilte die Kommission nicht mit. Auch ist nicht bekannt, welche Verstöße gegen Art. 101 AEUV den Unternehmen genau vorgeworfen werden und auf welche Sachverhalte sich die Kommission dabei stützt. Bekannt ist lediglich, dass sich die Vorwürfe derzeit auf den Transport von Autos, sowie Bau- und Landmaschinen beschränken.

Grundsätzlich sind der Kreativität bei Kartellrechtsverstößen keine Grenzen gesetzt. Während es in dem oben genannten Kartell der Luftfrachtunternehmen „lediglich“ um klassische Absprachen über identische Aufpreise für höhere Benzinkosten und gemeinsame Zuschläge zur Gewährleistung der Sicherheit der transportierten Fracht ging, legten die Logistikdienstleister bei der Kartellbildung für Preise und andere Handelsbedingungen für internationale Luftfrachtdienste mehr Einfallsreichtum an den Tag. Zum Beispiel waren dort verschiedene Unternehmen im Rahmen des sog. NES-Kartells (New Export System) über einen „Gardening Club“ – einen Gärtnerclub also – in Kontakt gestanden, in dem unter Codenamen wie „Mini-Zucchini“ oder „Spargel“ Preisvereinbarungen zu bestimmten Gemüsesorten getroffen wurden. Im Rahmen des CAF-Kartells (Currency Adjustment Factor = Währungsausgleichsfaktor) wurde – nicht ganz so kreativ, aber immerhin – eine eigene E-Mail-Adresse bei Yahoo eingerichtet, um den Austausch der Kartelllisten untereinander zu erleichtern. Es bleibt also mit Spannung zu erwarten, welche Verhaltensweisen die Kommission den Seetransportunternehmen vorwirft, sofern sich der Verdacht der Kartellbildung bestätigen sollte.

An dieser Stelle sei ausdrücklich erwähnt, dass unangekündigte Inspektionen im Rahmen kartellrechtlicher Verfahren lediglich vorläufige Maßnahmen darstellen, die an sich keinen Rückschluss auf den Ausgang des Verfahrens oder auch nur darauf zulassen, dass die betroffenen Unternehmen tatsächlich den Wettbewerb geschädigt hätten. Sollte sich der Verdacht aber bestätigen, drohen den Betroffenen – wie oben gesehen – hohe Geldstrafen. „Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass es sie teuer zu stehen komme, wenn sie zu weit gehen und Preise absprechen“, so EU-Wettbewerbskommissar Almunía zu den jüngst verhängten Geldbußen und der bewusst abschreckenden Wirkung der hohen Beträge. Die Verfahren an sich können sich dabei erheblich in die Länge ziehen – gesetzliche Fristen gibt es nicht. Vielmehr hängt die Verfahrensdauer von zahlreichen Faktoren ab, wie beispielsweise der Komplexität des Einzelfalls, der Kooperationsbereitschaft und der Ausübung des Rechts auf Verteidigung der betroffenen Unternehmen.

Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls, dass der Seetransport im Kartellrecht bereits auf eine ereignisreiche Vergangenheit zurückblicken kann. So wurde im Jahr 1986 für Linienkonferenzen eine Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) unter der Prämisse des damaligen Art. 81 Abs. 3 EGV (heute Art. 101 Abs. 3 AEUV) eingeführt, wonach Vereinbarungen einheitlicher oder gemeinsamer Frachtraten (Konzerntarife) durch Linienkonferenzen ohne zeitliche Beschränkung und unabhängig vom Marktanteil ihrer Mitglieder freigestellt wurden (Verordnung 4056/86). Diese Verordnung wurde im Jahr 2008 bereits aufgehoben und durch „Leitlinien für die Anwendung der EU-Wettbewerbsregeln auf Seeverkehrsdienstleistungen“ ersetzt, die den Linienkonferenzen den Übergang von der Freistellung hin zum normalen Wettbewerb erleichtern sollten. Diese Leitlinien werden im September 2013 auslaufen. Etwas anderes gilt für die Freistellung für Konsortien nach der Verordnung 823/2000, die den Container-Liniendiensten die Zusammenarbeit auf operativer Ebene, wie beispielsweise die gemeinsame Nutzung von Schiffen und die Abstimmung von Routen und Fahrplänen, erlaubt. Deren Laufzeit wurde erst im April 2010 bis zum Jahr 2015 verlängert.

Wegen des Auslaufens der GVO für Linienkonferenzen hatte die Europäische Kommission bereits dieses Jahr Stakeholder des Seeverkehrs aufgefordert, bis zum 27.7.2012 zur zukünftigen Anwendung und Gestaltung der Leitlinien Stellung zu nehmen. Im Augenblick vertritt die Kommission jedoch die Auffassung, dass keine besonderen kartellrechtlichen Leitlinien für den Seeverkehr mehr erforderlich seien. Diese Stellungnahme gliedert sich ein in die Wettbewerbspolitik der Kommission, die darauf abzielt, das wirksame Funktionieren liberalisierter Märkte sicherzustellen und den Wettbewerb zu fördern. Hinzukommt, dass die Kommission nun auch im Rahmen ihres Programms zur Förderung umweltfreundlicheren Güterverkehrs vermehrt auf die Schifffahrt setzt und sich von zunehmendem Wettbewerb sicher auch in diesem Bereich sinkende Preise bei gleichbleibender oder sogar höherer Qualität erhofft.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Dr. Christian Jung

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