Transformation in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft: Im Gespräch mit dem Europapolitiker Jens Geier
Für eine klimaneutrale Wirtschaft wird Wasserstoff ein zentraler Energieträger sein, der fossiles Erdgas in Zukunft ersetzen könnte. Die Einsatzmöglichkeiten für Wasserstoff und die damit verbundenen Regulierungsrahmen sind allerdings noch nicht abschließend geklärt. Der Europaabgeordnete Jens Geier ist einer der echten Kenner der Materie. Er begleitet als Berichterstatter des Europaparlaments für die EU-Wasserstoffstrategie die Diskussion auf europäischer Ebene. Bevor er am 26.4.2022 zu Gast bei unserer Jahreskonferenz ist, haben wir uns mit ihm zu einem Interview getroffen.
BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Geier, Wasserstoff wird als Alleskönner gepriesen. In welchen Bereichen sehen Sie vor allem Potential zur Verwendung in Deutschland und Europa?
Geier: In vielen Bereichen der energieintensiven Industrien lässt sich mit Elektrifizierung nicht viel erreichen, zum Beispiel in der Stahlindustrie und auch in der chemischen Industrie. Dazu kommen Bereiche der Mobilität: Alternative Kraftstoffe für Schiffe oder Flugzeuge. Viele sehen auch weiterhin Chancen beim Schwerlastverkehr.
BBH-Blog: Die Gasnetzbetreiber fragen sich, welche Rolle ihnen in einem Wasserstoffzeitalter zukommen wird. Derzeit macht es ihnen der Regulierungsrahmen schwer, sich im Wasserstoff zu engagieren. Wie verläuft die Diskussion in der EU hierzu?
Geier: Tatsächlich lösen die Vorschläge der Europäischen Kommission viele Fragen aus. Ich bin überzeugt, dass ihr Regulierungsentwurf vor allem bei der Entflechtung den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft eher verlangsamt als fördert. Nun haben ja dazu die Beratungen im Europäischen Parlament begonnen. Ich bin überzeugt davon, dass sich parlamentarische Mehrheiten finden, die das grundlegend verändern werden.
BBH-Blog: Ein zentrales Thema bei der aktuellen Novellierung der Gasbinnenmarktrichtlinie ist das sog. Ownership-Unbundling. Durch diese eigentumsrechtliche Entflechtung würde ein Gasnetzbetreiber faktisch kein Wasserstoffnetz betreiben dürfen. Ist das zielführend angesichts des gewollten schnellen Markthochlaufs?
Geier: Nein. Hinsichtlich der notwendigen Expertise bei der Transformation, aber auch hinsichtlich der notwendigen Investitionen helfen die unbeholfenen und schlecht begründeten Vorschläge der Europäischen Kommission nicht weiter. Es soll doch jetzt schnell gehen mit der Dekarbonisierung! Nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch um die Abhängigkeit von fossiler Energie aus Russland so schnell wie möglich abzubauen. Dann sollte es auch mit dem Einsatz von Wasserstoff schnell gehen.
BBH-Blog: Was braucht es Ihrer Einschätzung nach, damit wir unser Ziel Klimaneutralität 2045 bzw. 2050 mit einer starken Wirtschaft erreichen?
Geier: Das wird eine beispiellose Aufgabe, denn wir müssen der Lokomotive in voller Fahrt die Räder wechseln. Dabei brauchen wir sehr viel mehr Erneuerbare Energie, die notwendige Infrastruktur, dazu eine faire Klima- und Energie-Außenpolitik. Gleichzeitig müssen die sozialen Rahmenbedingungen so sein, dass niemand Angst haben muss, seinen oder ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder die Heizkosten nicht mehr bezahlen zu können. Angesichts der jetzt schon hohen Energiepreise keine leichte Aufgabe. Und schnell gehen muss es auch noch!
BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Geier, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die weiterführende Diskussion im Rahmen unserer Konferenz am 26.4.