Probleme bei Nutzerbewertungen: Das Bundeskartellamt als zahnloser Tiger

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Nutzerbewertungen sind neben dem Preis eines Produktes oder einer Dienstleistung oft das entscheidende Kaufargument. Nicht selten beschleicht einen jedoch das Gefühl, dass diese Bewertungen nicht die ganze Wahrheit widerspiegeln ­– und häufig tun sie das auch nicht, wie das Bundeskartellamt (vorläufig) festgestellt hat. Kompetenzen, um das Problem effektiv anzugehen, fehlen den Wettbewerbshütern jedoch.

Das Instrument der Sektoruntersuchung – und dann?

Das jüngst veröffentlichte Konsultationspapier zur „Sektoruntersuchung Nutzerbewertungen“ des BKartA hat sich des Problems undurchsichtiger Nutzerbewertungen angenommen. Das Instrument der Sektoruntersuchung steht dem BKart seit der 9. Novellierung des GWB zur Verfügung und findet Anwendung, wenn ein begründeter Verdacht auf gravierende Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften besteht (wir berichteten). Die Untersuchungen richten sich jedoch nicht gegen bestimmte Unternehmen, sondern verfolgen den Zweck, Marktbedingungen vertieft zu erforschen und auf mögliche verbraucherrechtliche Verstöße hinzuweisen.

Eine solche Sektoruntersuchung fand bereits im vergangenen Jahr hinsichtlich der irreführenden und intransparenten Aufmachung von Online-Vergleichsportalen statt (wir berichteten). Im Zuge dessen wurden nicht nur erhebliche Wettbewerbsprobleme offenbar, sondern auch die Machtlosigkeit des BKartA, das zwar Untersuchungen durchführen darf, aber über keine Kompetenzen verfügt, um Verstöße zu ahnden.

Intransparentes Bewertungsdickicht

Im Rahmen der Sektoruntersuchung Nutzerbewertung hat das BKartA zahlreiche Marktteilnehmer befragt und Studien und Rechtsprechungspraxis ausgewertet, bevor es ein erstes Zwischenfazit gezogen, über die bestehende Problemkonstellationen informiert und Lösungsansätze hierzu entwickelt hat.

Als problematisch stellt sich insbesondere das Thema der nicht-authentischen Bewertungen dar, also solcher Bewertungen, die ohne eigene Erfahrung des Verfassers zustande gekommen sind. Derartige Gefälligkeitsbewertungen oder automatisiert erstellte Bewertungen sind für den Verbraucher besonders schwierig zu erkennen und benachteiligen zudem die sich lauter verhaltende Konkurrenz. Die Gefahr ist hier besonders groß, dass der Verbraucher in die Irre geführt wird und grundsätzlich das Vertrauen in Bewertungen verliert.

Auch Bewertungsvermittler sorgen für eine erhöhte Intransparenz im Bereich der Nutzerbewertungen. Bewertungen durch „Produkttester“, die über Vermittler zustande kommen, sind für den Verbraucher häufig nicht als finanziell motivierte Bewertung zu erkennen, da es in der Regel an Kennzeichnungsmöglichkeiten auf den Bewertungsportalen fehlt. Besonders problematisch hierbei ist der Grad der Einflussnahme der Bewertungsvermittler auf die von den „Produkttestern“ abgegebenen Bewertungen. Während diese bei manchen Bewertungsvermittlern hinsichtlich der Bewertung völlig frei sind, werden teilweise explizit „positive Rezensionen“ gefordert.

Ebenso verzerren asymmetrische Bewertungsmöglichkeiten das Bewertungsergebnis erheblich. Hierbei wird eine Umgebung geschaffen, die es unverhältnismäßig erschwert, eine negative Rezension zu hinterlassen, so dass überwiegend zufriedene Kunden bewerten. Teilweise sorgt auch ein Filtermechanismus dafür, dass negative Bewertungen gar nicht dargestellt oder nachträglich entfernt werden.

Bewertungen stets kritisch prüfen

Obwohl sich bereits viele Plattformbetreiber im Wege des Rechtsschutzes gegen unlautere Bewertungspraktiken wie verdeckte Produkttests wehren, entsteht der Eindruck, dass die Zahl solcher Bewertungen insgesamt eher zu- als abnimmt.

Trotz der im Rahmen der Sektorenuntersuchung aufgedeckten Missstände erweist sich das BKartA durch seine Beschränkung auf Monitoring-Maßnahmen als zahnloser Tiger, dem durch eine punktuelle Ausweitung seiner Kompetenzen ein Gebiss verliehen werden sollte. Insbesondere im weitestgehend unregulierten Internet kann das BKartA seinen neuen Kompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes nicht gerecht werden. Zu beobachten bleibt in dieser Hinsicht auch die Entwicklung des derzeit von der Kommission konsultierten neuen Wettbewerbsinstruments (wir berichteten).

Immerhin hat das BKartA nun im wichtigen Facebook-Verfahren Rückendeckung durch den Bundesgerichtshof (BGH) erhalten. Das BKartA hatte zuvor Facebook untersagt, Daten ohne Einwilligung der Nutzer zu verarbeiten. Während die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf, die Missbrauchsverfügung des BKartA mit deutlichen Worten aufgrund ernstlicher Zweifel gestoppt hat (Beschl. v. 26.8.2019, Az. Kart 1/19 (V)), urteilte der Kartellsenat des BGH am 23.6.2020 (Az. KVR 69/19), dass das Verbot vom BKartA durchgesetzt werden darf. In der Hauptsache wird das OLG nun die Sache neu beurteilen müssen.

Bis dahin liegen zum Thema Nutzerbewertungen eventuell ja auch schon abschließende Erkenntnisse vor. Nachdem das BKartA jüngst die bisherigen Ergebnisse vorgestellt hat, gibt es jedenfalls für die interessierten Kreise nunmehr erneut die Möglichkeit, bis zum 31.07.2020 zu dem Konsultationspapier Stellung zu nehmen. Aber schon die vorläufigen Ergebnisse der Behörde machen klar, dass es mehr denn je und unabhängig von möglichen Interventionen der Wettbewerbshüter gilt, Nutzerbewertungen im Internet nicht blind zu trauen, sondern diese stets kritisch zu prüfen.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch

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