BVerfG: Jährlich 6 Prozent Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ist verfassungswidrig
Am 18.8.2021 hat das Bundesverfassungsgericht (BverfG) einen Beschluss veröffentlicht (v. 8.7.2021, Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17), in dem es die Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuererstattungen ab dem Veranlagungszeitraum 2014 für verfassungswidrig erklärt hat.
Die Entscheidung
§ 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO legen bei der Zinsberechnung für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 ein Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent zugrunde. Der Erste Senat hat entschieden, dass die Verzinsung von Steuernachforderungen mit einem Zinssatz von monatlich 0,5 Prozent nach Ablauf einer zinsfreien Karenzzeit von grundsätzlich 15 Monaten eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern darstellt und damit verfassungswidrig ist. Die Ungleichbehandlung betrifft jene Steuerschuldner, deren Steuer erst nach Ablauf der Karenzzeit festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, deren Steuer bereits innerhalb der Karenzzeit endgültig festgesetzt wird. Um den Gesetzeszweck zu fördern, wäre laut BVerfG stattdessen eine Vollverzinsung mit einem niedrigeren Zinssatz möglich. Die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen sind ebenso verfassungswidrig.
Und nun?
Grundsätzlich muss der Gesetzgeber rückwirkend auf den gesamten von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Zeitraum eine verfassungsmäßige Rechtslage herstellen. Das BVerfG hat allerdings mehrfach aus besonderem Grund die weitere Anwendbarkeit verfassungswidriger Normen für gerechtfertigt erklärt. So auch in dieser Entscheidung: Das bisherige Recht ist trotz der Verfassungswidrigkeit für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiter anwendbar. Für Verzinsungszeiträume ab 2019 sind die Vorschriften dagegen unanwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis zum 31.7.2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Sollte die Finanzverwaltung die Regelungen dennoch für die Zeiträume ab 2019 anwenden, sind die Bescheide mit dem Rechtsmittel des Einspruchs offenzuhalten.
Ansprechpartner*innen: Manfred Ettinger/Sophia von Hake