Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Wirtschaft und Gesellschaft: Internationaler Fokus
Die Coronakrise hat die Wirtschaft stark beeinflusst. Nicht nur in Deutschland sondern auch international stehen die Unternehmen vor großen Herausforderungen. Wie gehen die Unternehmen mit den veränderten Arbeitsbedingungen um? Welche Hilfsmaßnahmen können Sie in Anspruch nehmen und was erwarten Sie von der Politik? Diese und noch weitere Fragen wollen wir in einer Blog-Reihe mit verschiedenen Interviewpartnern erörtern. Für den Auftakt der Gesprächsreihe konnten wir den Direktor des Südtiroler Energieverbands (SEV) Dr. Rudi Rienzner gewinnen, der uns einen Einblick in die Situation im Nachbarland Italien gewährt.
BBH-Blog: Die Strategien, um die Ausbreitung des Coronavirus aufzuhalten, unterscheiden sich je nach Land. Wie reagiert die Wirtschaft jeweils auf die Pandemie?
Rienzner: In Italien hat sich das Virus vor allem im wirtschaftsstarken Norden rasant ausgebreitet und damit den Wirtschaftsmotor des Landes empfindlich getroffen. Dennoch wurde ein Stillstand der Wirtschaft so gut es ging zunächst vermieden. Erst mit dem Anfang März erlassenen „Covid19- Dekret“ wurde Italien zum Notstandsgebiet erklärt und mit den daraus resultierenden restriktiven Maßnahmen auch Betriebe runtergefahren. Eine Mindestversorgung durch Lebensmittelgeschäfte, Apothekendienste und über die Tabaktrafiken, die als Nahversorger in Italien eine historische Bedeutung haben, bleibt garantiert.
Unternehmen in Südtirol behelfen sich noch immer durch eine Umstellung ihrer Arbeitsrhythmen – sofern möglich. Der Hauptmotor des Landes – der Tourismus – steht freilich still. Andere Betriebe haben auf Smart-Working umgestellt. Einzelne Unternehmen haben aus der Not eine Tugend gemacht und ad hoc einen Lieferservice eingerichtet: von Lebensmitteln über den Mittagstisch für die in Büros Verbliebenen bis zur Delikatess-Eiscrème per WhatsApp-Bestellung.
BBH-Blog: Deutschland hat umfangreiche Hilfsmaßnahmen zügig auf den Weg gebracht, um die Wirtschaft zu stützen. Gibt es in Ihrem Land vergleichbare Maßnahmen?
Rienzner: Der Aufschrei der Wirtschaft ließ nicht lange auf sich warten, darum wurde von der Regierung das Dekret „Cura Italia“ beschlossen. Damit wurden Mitte März 25 Milliarden Euro Direkthilfe für den Gesundheitsbereich, Familien und Unternehmen freigegeben. Nicht viel mehr als ein Taschengeld und Trostpflaster, deshalb kündigte die Regierung Conte am 17. März zudem ein 300 Milliarden Euro Hilfspaket an. Mit der jüngsten Notverordnung sicherte die Regierung weitere 450 Milliarden zu. Die autonome Provinz Südtirol hat zum eigenen Jahreshaushalt eine Summe von etwa 2 Milliarden Euro freigeschaltet. Und schließlich folgte der Hilferuf nach Brüssel. Eine Antwort steht bekanntlich noch immer aus.
BBH-Blog: Wie beurteilen Sie das Krisenmanagement der EU?
Rienzner: Das Coronavirus hat neben seinen verheerenden Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft auch ein Gutes, auch wenn das jetzt sehr zynisch klingt. Es macht die Mediokratie sichtbar. Mittelmäßige Menschen treffen mittelmäßige Entscheidungen. Was man vorher vielleicht schon erahnt hat, aber jetzt wird das sichtbar. Die EU war praktisch nicht präsent. Die Reaktionen aus Brüssel wurden ja auch hinsichtlich des Schutzes der dort tätigen Politiker und ihrer Mitarbeiter im Verhältnis zur rasanten Ausbreitung des Virus mit enormer Verzögerung ergriffen.
In Italien war das Gesundheitssystem durch den rapiden Anstieg der Todesopfer schnell überlastet, Hilferufe schienen nicht in Brüssel anzukommen, es gab zunächst auch keinerlei Hilfsangebote, Italien wenigstens medizinisch unter die Arme zu greifen. Die ersten waren Kuba und Russland, die Flugzeuge mit medizinischer Ausrüstung und Experten nach Norditalien schickten. Eine Entschuldigung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die Bekundung, Italien beistehen zu wollen, war nicht viel mehr, als eine freundliche Geste. Es gab weder einen Plan A, noch gibt es derzeit einen Plan B. Das lässt sowohl Zweifel an der Kompetenz der in Brüssel Agierenden, als auch an der Rolle der EU an sich aufkommen. Ähnlich verhält es sich mit der Rolle der Weltgesundheitsorganisation. Nachdem Virologen weltweit gewarnt hatten und jeder Laie die rapide Ausbreitung des SARS-CoV-2 verstanden hatte, schaltete sich die WHO aktiv ein.
BBH-Blog: Haben Sie den Eindruck, dass die Unternehmen gut auf einen solchen Krisenfall vorbereitet sind, um den Betrieb weiterzuführen?
Rienzner: Die Reaktionen in Südtirol waren durchwachsen. Einige Unternehmen waren gut vorbereitet, andere haben nicht agiert, sondern reagiert.
BBH-Blog: Die Energieversorgung gehört zu den besonders sensiblen Infrastrukturen. Fällt diese aus, wird das Gemeinwohl stark gefährdet. Wie geht die Energiewirtschaft mit der aktuellen Situation um?
Rienzner: Ich bin der Geschäftsführer eines Verbandes, der kleine und mittelständische Energieunternehmen vertritt. Seit jeher ist die Energieversorgung dezentral und damit flexibel. Einige werden empfindlich durch die sinkenden Energiepreise getroffen werden, die meisten werden die Zähne zusammenbeißen und durch das lokale Management gut durch die Krise und die Zeit danach kommen. Es herrscht viel Solidarität und es wird viel stille Hilfe geleistet. Bei unseren mittelständischen Unternehmen steht die unbürokratische Kooperation gerade jetzt im Vordergrund.
BBH-Blog: Die Unternehmen stehen ja vor dem Anspruch, weitestgehend den „Normalbetrieb“ aufrecht zu erhalten, gleichzeitig aber situationsbedingt sehr flexibel, kreativ und innovativ reagieren zu müssen, auch um das Infektionsrisiko zu minimieren. Können Sie uns an einem konkreten Fallbeispiel aufzeigen, wie Unternehmen das umsetzen? Kennen Sie eine Story aus der Praxis?
Rienzner: Unser Verband hat weitestgehend auf „Smartworking“ umgestellt. Mithilfe regelmäßiger Videokonferenzen ist ein lebendiger und recht persönlicher und auch humorvoller Austausch gewährleistet. Als Geschäftsführer bin ich gemeinsam mit wenigen Mitarbeiter*innen im Verbandsitz geblieben. Wer als Vorsitzender eines Unternehmens in diesen Zeiten geht, verhält sich wie ein Kapitän eines havarierten Kreuzschiffes. Italien ist da ja ein gebranntes Kind und solche Fehler sollte man nicht wiederholen. Es herrscht viel Verunsicherung, auch weil zu den wöchentlich neuen Notverordnungen aus Rom, die rasant wachsenden Infektions- und Opferzahlen kommen. Damit auch immer neue und strengere Verordnungen vom Ausgangsverbot bis zur Masken- und Handschuhpflicht am Arbeitsplatz. Da ist es wichtig an Deck zu bleiben.
Die Situation hat auch Vorteile: Wir können uns auf das Kernbusiness konzentrieren. Keine zusätzlichen Termine, keine Veranstaltungen u.v.m. Planung ist nur schwer möglich, weil Italien noch keine konkreten Zeichen gesetzt hat, wann der Lockdown aufgehoben wird. Es wurde lediglich ein Zwei-Phasen-Ausstiegsplan angekündigt, jedoch ohne konkrete Inhalte. Carpe Diem!
BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Dr. Rienzner, vielen Dank für das Gespräch!