Black Box Brüssel?

(c) BBH
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Der Emissionshandel lebt von der Gesamtmengensteuerung. Das bedeutet: Die Staaten (heute die Europäische Union) legen fest, wie viel insgesamt maximal emittiert werden darf. Eine entsprechende Anzahl an Zertifikaten wird dann ausgeschüttet – teils versteigert, teils zugeteilt. Entsprechend wichtig ist es für das Funktionieren des Emissionshandels, dass die Summe aller Zuteilungen, die in diesem Budget vorgesehene Emissionsmenge auf keinen Fall überschreitet. Wenn sich also im Zuteilungsverfahren herausstellt, dass nach Anwendung aller Zuteilungsregeln mehr zugeteilt werden müsste als beabsichtigt, so muss gekürzt werden.

Zuständig für die Berechnung dieser Kürzung war bisher (also in der 1. und 2. Handelsperiode) die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt). Seit europäische Zuteilungsregeln ein europäisches Budget verteilen, ist es die Europäische Kommission. Die anteilige Kürzung heißt auch nicht mehr so, sondern versteckt sich nun hinter dem pompösen Namen „sektorübergreifender Korrekturfaktor“. Mit Beschluss (sog. NIMs Decision) vom 5.9.2013 hat die Europäische Kommission denselben jetzt festgesetzt: Er startet 2013 mit (gerundet) 5,7 Prozent und steigert sich dann bis auf 17,5 Prozent im Jahr 2020.

Dass die Kürzung so hoch ausfällt, hat keiner der betroffenen Anlagenbetreiber erwartet. Denn der sektorübergreifende Korrekturfaktor betrifft ja gerade die Industrie, deren Wettbewerbsfähigkeit sich durch den Emissionshandel nicht über Gebühr verschlechtern sollte. Dass nun ausgerechnet diese Gruppe mit einer noch steileren Kürzung rechnen muss als die Gruppe der stromerzeugenden Wärmeproduzenten mit 1,74 Prozent jährlich, ist deswegen ein unerwartet herber Schlag.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass die Höhe der Kürzung schon wenige Tage nach Erlass der Kommissionsentscheidung viel diskutiert wird. Unternehmen und Verbände fragen sich, ob auch wirklich richtig gerechnet wurde. Oder ob möglicherweise sogar systematische Fehler die Einzelzuteilungen verzerren und so die auf dieser Basis berechnete Kürzung unrichtig ist.

Diese Diskussion knüpft an einen alten Rechtsstreit aus der 1. und 2. Handelsperiode an. Damals wurde noch auf nationaler Ebene ausgefochten, ob eigentlich die DEHSt hinter verschlossenen Türen die anteilige Kürzung berechnen darf, ohne sich irgendeiner richterlichen Kontrolle stellen zu müssen. Die DEHSt meinte, hier einen nicht überprüfbaren Spielraum zu haben. Die Gerichte sahen dies aber letztlich anders: Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) sollten zumindest systemische Fehler dazu führen, dass die Kürzung rückabgewickelt und die zu viel abgezogenen Zertifikate nachträglich ausgeschüttet werden sollten.

An und für sich muss dies auch auf europäischer Ebene gelten. Denn schließlich gibt es auch europaweit eine Rechtsschutzgarantie gegenüber Rechtsakten der Europäischen Kommission. Rechtstechnisch wäre etwa an eine Vorabentscheidung zu denken, bei der ein Verwaltungsgericht die Frage, ob die Kürzung korrekt ist, dem EuGH vorlegt. Doch dies kann dauern. Schneller und effizienter wäre es wohl, wenn die Bundesrepublik Deutschland die Entscheidung überprüfen lässt. Hier setzen die Betreiber nun auf die Bundesregierung als ihren Sachwalter. Schließlich ist eine Black Box bei der Festlegung von Kürzungen auf EU-Ebene ebenso wenig akzeptabel wie in Deutschland.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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