Fernwärme: Ohne schriftlichen Vertrag keine Geltung der Lieferbedingungen

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Ein Fernwärmeliefervertrag kommt in der Regel dadurch zustande, dass der Kunde ein Vertragsdokument unterzeichnet und erst dann in seiner Verbrauchsstelle Wärme aus dem Netz entnimmt. Nicht selten ist aber auch, dass der Kunde die Formalitäten weglässt und sogleich mit der Entnahme von Wärme beginnt. Dieser Fall ist in § 2 Abs. 2 AVBFernwärmeV ausdrücklich berücksichtigt: Dann gelten die „für gleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden Preise“.

Bislang wurde häufig die Auffassung vertreten, dass dieser Begriff weit zu verstehen sei. Nicht nur das Entgelt für Wärmelieferungen solle darunter fallen, sondern auch die weiteren Allgemeinen Vertragsbedingungen des jeweiligen Versorgers, wie beispielsweise Vertragslaufzeit, Kündigungsregelung, Preisanpassungsklauseln und Zahlungsmodalitäten. Mit Urteil vom 15.1.2014 (Az. VIII ZR 111/13) hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) jedoch gegen diese Lösung ausgesprochen.

In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kunde Wärme aus dem Netz entnommen, ohne zuvor einen schriftlichen Fernwärmeliefervertrag abgeschlossen zu haben. Der örtliche Fernwärmeversorger schickte ihm daraufhin ein Bestätigungsschreiben (§ 2 Abs. 1 Satz 2 AVBFernwärmeV) und kurze Zeit später einen Versorgungsvertrag, der eine dreijährige Vertragslaufzeit vorsah und sich jeweils um ein Jahr verlängern sollte, sofern er nicht mit einer Frist von neun Monaten vor Ablauf gekündigt werde. Der Kunde unterzeichnete diesen Vertrag nicht.

Außerdem verwies der Fernwärmeversorger auf seine „Ergänzenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen“, in denen geregelt war, dass Wärmelieferverträge eine Mindestlaufzeit von einem Jahr haben, sich automatisch um jeweils ein weiteres Jahr verlängern und mit einer Frist von sechs Monaten vor Ablauf der jeweiligen Laufzeit gekündigt werden können. Der Kunde erklärte sich auch hiermit nicht ausdrücklich einverstanden.

Stattdessen kündigte er seinen Wärmeliefervertrag schon nach einem halben Jahr „mit sofortiger Wirkung“. Der Versorger war der Auffassung, die Kündigung werde aufgrund der „Ergänzenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen“ frühestens zum Ablauf des ersten Lieferjahres wirksam. Ein Wärmeverbrauch fand bis dahin zwar nicht mehr statt, der Versorger machte aber fortlaufend Grund- und Verrechnungspreise geltend. Weil sich der Kunde weigerte, die Entgelte zu bezahlen, musste letztlich der BGH entscheiden.

Was hat der BGH entschieden?

Der BGH gab dem Kunden recht: Weder aus Vertrag noch aus Gesetz ergebe sich eine bestimmte Mindestlaufzeit des Fernwärmeliefervertrages. Der Versorger habe daher schon nach einem halben Jahr kurzfristig kündigen können und müsse keine weiteren Entgelte leisten.

Ein schriftlicher Liefervertrag, der eine mehrjährige Vertragslaufzeit regelt, wurde mangels Unterschrift des Kunden nicht abgeschlossen. Auch die „Ergänzenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen“ hatten die Parteien nicht ausdrücklich vereinbart – und auch nicht stillschweigend: Dass die Bedingungen branchenüblich sind, reiche nicht aus, da Fernwärmeversorger nicht zwingend jedem Vertrag die gleichen Bedingungen zugrunde legen, sondern auch individuelle Verträge anbieten.

Ohne rechtsgeschäftliche Vereinbarung der Parteien, allein aufgrund der AVBFernwärmeV, werden diese Bedingungen nicht zum Inhalt des Liefervertrages. Weder in § 1 Abs. 1 AVBFernwärmeV noch in § 2 Abs. 3 AVBFernwärmeV sei von einer Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen kraft Verordnung die Rede: Diese Normen verpflichten das Fernwärmeversorgungsunternehmen lediglich, jedem Neukunden die dem Vertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszuhändigen.

Ohne besondere Vereinbarung der Parteien werden nach § 2 Abs. 2 AVBFernwärmeV ausschließlich die für gleichartige Versorgungsverhältnisse geltenden Preise automatisch zum Vertragsinhalt. Für sonstige Abreden gilt diese Norm nicht. Insbesondere die Vertragslaufzeit könne selbst im weitesten Sinn nicht als „Preis“ für die Lieferung von Wärme angesehen werden.

Auch aus § 32 Abs. 1 Satz 2 AVBFernwärmeV ergebe sich, so der BGH, in Fällen wie diesen keine Kündigungsfrist von neun Monaten. Denn diese Norm gelte nur für Verträge mit einer festen Laufzeit. Ohne feste Laufzeit sei es dagegen sachgerecht, dass beide Parteien den Vertrag „alsbald“ beenden können. Ob damit eine Kündigung „von einem Tag auf den anderen“ zulässig wäre, eine zweimonatige Frist analog § 32 Abs. 3 AVBFernwärmeV oder zumindest eine zweiwöchige Frist analog § 20 Abs. 1 Satz 1 der GasGVV gilt, hat der BGH ausdrücklich offen gelassen.

Konsequenzen für die Praxis

Die erste wichtige Konsequenz aus dem BGH-Urteil liegt auf der Hand: Wärmelieferverträge, die stillschweigend durch Entnahme von Wärme aus dem Netz zustande kommen, können vom Kunden jederzeit wieder gekündigt werden. Die Kündigung wird „alsbald“ wirksam. Die genaue Bedeutung von „alsbald“ ist zwar noch unklar, bewegt sich aber jedenfalls innerhalb einer sehr überschaubaren Frist.

Weitere ebenso wichtige Konsequenzen schließen sich an: Wenn bei der Entnahme von Wärme keine Vertragsbedingungen des Versorgers mit dem Kunden vereinbart werden, gibt es auch keine besonderen Regelungen zu Preisanpassungen, zu Abrechnungs- und Zahlungsmodalitäten, zu Zutrittsrechten etc. Im Zweifel gelten schlicht die §§ 2 ff. AVBFernwärmeV sowie die veröffentlichten Grund-, Arbeits- und Verrechnungspreise. Dass dies für ein langfristiges Lieferverhältnis unzureichend ist, liegt auf der Hand. Außerdem führt es dazu, dass letztlich gegenüber unterschiedlichen Kunden unterschiedliche Regelungen gelten, was im Massenkundengeschäft zusätzliche Probleme aufwirft.

Allein durch Übersendung eines Vertragsdokuments oder der „Ergänzenden Allgemeinen Versorgungsbedingungen“ lässt sich das Lieferverhältnis nicht näher ausgestalten. Erforderlich und empfehlenswert ist es stattdessen, mit dem Fernwärmekunden ausdrücklich einen Vertrag abzuschließen, im Idealfall mit Unterschrift von beiden Seiten.

Gegenüber Kunden, die einen Vertrag durch bloße Entnahme von Wärme abgeschlossen haben und bis heute auf dieser Basis versorgt werden, kann ein schriftlicher Vertrag jederzeit nachgeholt werden. Für die Zukunft können die Unklarheiten, die mit einem stillschweigenden Vertragsschluss verbunden sind, am effektivsten verhindert werden, wenn man technisch erst dann Wärme entnehmen kann, wenn man einen schriftlichen Vertrag unterzeichnet hat. Dies lässt sich allerdings nicht in jedem Fall umsetzen.

Sollte ein Kunde nach der Entnahme von Wärme einen schriftlichen Vertrag ablehnen, bleiben dem Versorger letztlich nur zwei Alternativen: Entweder der Kunde wird fortwährend auf Basis der AVBFernwärmeV zu den bei Vertragsschluss veröffentlichten Preisen beliefert (mit Preisänderungen gegebenenfalls nach § 4 Abs. 2 AVBFernwärmeV). Oder der Versorger nutzt seinerseits das jederzeitige Kündigungsrecht, stellt die Lieferungen ein und fordert von dem Kunden, zunächst einen schriftlichen Liefervertrag zu unterzeichnen.

Da Fernwärmelieferverhältnisse typischerweise auf eine mehrjährige Laufzeit ausgelegt sind, lohnt es sich, von Anfang an die Zustimmung des Kunden zu Ergänzenden Bedingungen einzufordern. Nur so lassen sich mögliche Unklarheiten in der Zukunft vermeiden.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger/Ulf Jacobshagen

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