Weil die EVUs schließlich schuld sind an der Lehman-Brothers-Pleite …

Dass die Energiebranche an der Finanzkrise schuld ist, hat noch niemand behauptet. Niemand hat Angst davor, dass eines Tages ein Energieversorger auf Kosten des Steuerzahlers gerettet werden müsste, weil dessen Ausfall das System ins Wanken brächte. Kein Mensch glaubt, dass sich an den Strombörsen Spekulationsblasen aufpumpen, deren Platzen womöglich die ganze Wirtschaft in den Abgrund reißen könnten.

Und doch trifft der Regulierungsaktionismus, mit dem die Politik auf die Finanzkrise reagiert, die Energieunternehmen mit solcher Wucht und an so vielen Stellen, dass die Folgen sich kaum abschätzen lassen.

Termingeschäfte werden teuer

Finanzmarktregulierung ist für die Energiebranche vor allem deshalb ein heißes Eisen, weil Strom und Gas über langfristige Verträge gehandelt werden: Man kauft jetzt, geliefert wird später. Mit anderen Worten: Es handelt sich um Termingeschäfte. Und die unterliegen schnell mal der Finanzmarktaufsicht.

Vor zehn Jahren gab es die Diskussion, ob die Verträge der Energiewirtschaft unter die Aufsichtspflicht fallen, schon einmal. Am Ende ließ sich die BaFin überzeugen, die Warentermingeschäfte der Energiewirtschaft nicht als aufsichtspflichtig zu betrachten. Wäre es anders gekommen – die Folgen wären dramatisch gewesen: Die Energieunternehmen hätten plötzlich die meisten ihrer Geschäftsführer, denen die geforderte bankwirtschaftliche Erfahrung fehlte, austauschen müssen. Vor allem aber hätten sie ihre Verträge fast durchgängig mit 12 Prozent Eigenkapital unterlegen müssen. Das hätte kaum einer überlebt. Beziehungsweise: Das Geschrei wegen der Energiepreise wäre ohrenbetäubend gewesen.

Dann trat die Europäische Kommission mit ihrer Finanzmarktrichtlinie (MiFID – Markets in Financial Instruments Directive) auf den Plan. Auch sie ließ nach zahlreichen Gesprächen am Ende die Energiewirtschaft zunächst ungeschoren.

Doch jetzt steht die Überprüfung der MiFID an; noch dieses Jahr soll der Entwurf kommen. Und die Europäische Kommission macht aus ihren Plänen keinen Hehl: Die Ausnahmen, über die die Energiehändler bisher von der Bankenaufsicht verschont blieben, sollen deutlich eingeschränkt werden. Unternehmen, die im Hauptgeschäft mit Energiederivaten handeln, würden komplett unter die Richtlinie fallen, Nebentätigkeitshändler zumindest öfter als bisher. Auch Brokerplattformen sollen komplett aufsichtspflichtig werden.

Richtig schön wird dieser Vorstoß aber erst in Ergänzung mit einer zweiten geplanten Verordnung, die der Regulierung außerbörslich gehandelter Derivate gilt – den berüchtigten „mortgage backed securities“ beispielsweise, die bekanntlich in den USA die Immobilien- und Finanzkrise auslösen halfen. Auch diese Verordnung soll im nächsten Jahr in Kraft treten; ein Entwurf der EMIR genannten Verordnung liegt schon vor.

So sieht sie vor, dass Derivate künftig nur noch an der Börse gehandelt werden oder aber bankrechtlich mit Eigenkapital unterlegt sein müssen. Für Energiehändler und Energieversorger, die mit solchen Derivaten ihre Käufe und Verkäufe absichern, heißt das – sofern sie nicht von erst noch zu definierenden Erleichterungen profitieren können –, dass sie zwischen teuer und noch teurer zu wählen hätten: Wenn sie die Eigenkapitalunterlegung vermeiden wollen, müssen sie an der Börse am Clearingverfahren teilnehmen, und das kostet Liquidität.

Transparenz in doppelt- und dreifacher Ausführung

Das ist aber noch nicht alles. Nicht nur die für die Finanzmarktregulierung zuständigen Teile der Europäischen Kommission nehmen die Finanzkrise zum Anlass für hektische Aktivität, sondern auch der eigentlich für die Energiewirtschaft zuständige Kommissar Günther Oettinger: Er hat ebenfalls einen Verordnungsentwurf (REMIT genannt) vorgelegt.

Oettingers Plan: Er will Lücken in der Marktmissbrauchsrichtlinie stopfen, die das Verbot von Insidergeschäften regelt. Solche Insidergeschäfte, bei denen sich Unternehmensmitarbeiter ihren Wissensvorsprung an der Börse vergolden lassen, sind verboten und strafbar – nicht aber im Energiebereich. Theoretisch könnte also ein Manager, der weiß, dass morgen ein großes Kraftwerk vom Netz geht, mit diesem Wissen in aller Ruhe auf steigende Strompreise spekulieren und damit viel Geld verdienen. Damit soll nach Oettingers Willen Schluss sein.

Wogegen im Prinzip nichts einzuwenden ist. Allerdings ist die Insideraufsicht an allerhand Transparenzvorgaben geknüpft: Wer am Energiemarkt handelt, müsste künftig alle seine Geschäfte der Bundesnetzagentur (BNetzA) melden – und das dazu nötige Personal ein- und seine IT umstellen. Und zwar egal, in welchem Umfang er solche Geschäfte tätigt: Auch wer nur zweimal im Jahr einen Posten Strom einkauft, müsste dies melden und die dazu nötige Infrastruktur schaffen.

Reicht das nicht allmählich? Oh nein! Denn auch die Bundesregierung in Berlin verspürt den Drang, sich bei der Regulierung des Energiesektors durch besondere Tatkraft auszuzeichnen.

Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle will unbewiesenen Gerüchten entgegentreten, an der Strombörse gehe es nicht immer mit rechten Dingen zu. Zu diesem Zweck soll das Bundeskartellamt (BKartA) mit einer Markttransparenzstelle ausgestattet werden, die ebenfalls die Energiemärkte überwachen soll und von den Marktteilnehmern mit Daten versorgt werden muss – wenngleich keineswegs automatisch mit den gleichen wie die BNetzA nach den EU-Plänen. Generell scheint dem deutschen Minister bisher nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass es sich vielleicht anbieten würde, sich mit den EU-Kollegen in Brüssel abzustimmen.

Keiner darf entwischen

Damit wäre ein großer Teil der Energiewirtschaft fest ins Kontrollsystem der Finanz- und Energiemarktregulierung eingespannt – aber noch nicht alle.

Damit auch nicht die kleinste Maus entwischt, haben die Europäischen Energieregulierer jüngst den Vorschlag einer europaweiten Energiegroßhandelslizenz entwickelt. Die Idee entspringt der Beobachtung, dass die Teilnahme am Energiehandel in manchen EU-Ländern erlaubnispflichtig ist, in anderen Ländern nicht. Das wollen die Energieregulierer beenden, was bedeuten würde, dass auch in Ländern, wo es bisher gar keine Lizenzpflicht gab, künftig eine eingeführt würde. Zu diesen Ländern gehört auch Deutschland – was umso bemerkenswerter ist, als der Vorschlag aus Deutschland selber stammt. Der zuständige Berichterstatter im Europäischen Parlament plädiert übrigens inzwischen dafür, die Großhandelslizenz in die oben angesprochene Transparenzverordnung aufzunehmen.

So disparat und unabgestimmt diese verschiedenen Vorstöße auch sind – eine Logik ist ihnen allen gemeinsam: Alles, was irgendwie mit Energiehandel zu tun hat, muss überwacht werden. Im Zweifel von mehreren Behörden gleichzeitig. Und im Zweifelszweifel werden sich die dann noch untereinander streiten, wer zuständig ist.

Ging es denn nicht ursprünglich eigentlich um Banken? Um Finanzinstrumente, um Systemrisiken, um Vorsorge, dass Dinge wie die Lehman-Brother-Pleite nicht wieder vorkommen können?

Sicher. Aber wie es eben so ist: Die Bürokratie schafft sich ihre Aufgaben selber.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

Sie interessieren sich für den Energiehandel? Dann schauen Sie z.B. bittehier.

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