Titandioxid – Gefahr für die Kreislaufwirtschaft?

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Seit 2008 schafft die Verordnung 1272/2008 (sog. CLP-VO) eine harmonisierte Grundlage für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen in Europa. Kern dieser Verordnung ist die Einstufung von sog. gefährlichen Stoffen und als solcher soll in Zukunft teilweise auch Titandioxid gelten. Was das für die Abfallwirtschaft bedeuten wird, ist derzeit noch nicht abzusehen, da Titanoxid in Lebensmitteln, Kosmetika und Verpackungen Verwendung findet.

Titandioxid als gefährlicher Stoff

Die CLP-VO wird flankiert von der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (sog. REACH-VO), die wiederum die Grundlagen für eine vorherige Marktregistrierung schafft. Die CLP-VO wird regelmäßig mittels des sog. ATP-Prozesses (Adaption to technical and scientific progress) an den jeweils geltenden wissenschaftlichen Kenntnisstand angepasst. Am 4.10.2019 hat die Kommission einen Vorschlag für die 14. ATP veröffentlicht, gegen die weder der Rat der Europäischen Union noch das EU-Parlament Einwände hatte. Am 18.2.2020 wurde der Verordnungstext im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht, tritt am 9.3.2020 in Kraft und gilt grundsätzlich ab dem 9.9.2021.

Kern der 14. ATP ist die umstrittene teilweise Einstufung von Titandioxid (Titan(IV)-oxid) als gefährlicher Stoff im Sinne der CLP-VO. Nach Ablauf der Umsetzungsfrist wären die Pulverform (bzw. Stoffe mit mehr als 1 Prozent Partikel mit < 10 µm) von TiO2 als karzinogen der Kategorie 2 (Carc. 2) und mit dem Warnhinweis H351 („kann vermutlich Krebs erzeugen“) zu kennzeichnen. Auch die flüssigen und festen Formen des Stoffes sind mit einem Warnhinweis (respektive EUH211 u. EUH 212) hinsichtlich des Einatmens von Staub oder Aerosolen zu versehen.

Die Entscheidung steht unter erheblicher Kritik. Nicht nur die Fraktion der Konservativen und Reformer im Europäischen Parlament hatte Einwände gegen die Einordnung erhoben, sondern das Vorhaben wurde auch im Rat der Europäischen Union teilweise abgelehnt. Einerseits stellt die Einordnung von Titandioxid in die CLP-VO nach Ansicht vieler Industrieverbände ein Novum dar. Es würde erstmals ein Stoff als gefährlich gekennzeichnet, dessen karzinogene Wirkung aus der Wirkungsweise der Partikel, nicht jedoch des Stoffes selbst entstünde. Eine solche Wirkung solle grundsätzlich unter die Bestimmungen der Arbeitssicherheit, also der Feinstaubbelastung, nicht der Chemikaliensicherheit fallen. Andererseits wird auch die Übertragbarkeit der an Ratten vorgenommenen Versuche auf den menschlichen Organismus bezweifelt. Umweltverbände wiederum forderten ein vollständiges Verbot aller Formen von Titandioxid, insbesondere auch in Lebensmitteln und Kosmetika, um die Möglichkeiten von Krebserkrankungen deutlich zu reduzieren.

Nicht absehbare Folgen für die Wirtschaft

Doch was bedeutet die Entscheidung konkret für die Wirtschaft? Zumindest in der Arbeitsplatzsicherheit dürfte sich außer der Kennzeichnung nicht viel ändern. Die Belastung durch Titandioxid wird vom allgemeinen Staubgrenzwert nach Einordnung der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) bereits vollumfänglich abgedeckt.

Unklar ist jedoch die Rechtslage hinsichtlich der Kennzeichnung bei der Verwendung in Lebensmitteln und Kosmetika, aber gerade auch bei der Nutzung in Verpackungen und auf dem Bau. Denn Titandioxid wird derzeit in all diesen Sektoren als Weißmacher bzw. als Farbe verwendet. So ist derzeit noch nicht genau abzusehen, welche Pflichten in den nächsten Jahren auf die Abfallwirtschaft zukommen werden. Klar ist: Sowohl die Abfallrahmenrichtlinie (RL 2008/98/EG) als auch die nationale Umsetzung, das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG), greifen auf die Einstufung als gefährlicher Stoff in der CLP-VO zurück. So sind im Sinne vom §48 KrWG gefährliche Abfälle jene, die gemäß § 3 Abs. 1 Abfallverzeichnis-Verordnung (AVV) gesondert gekennzeichnet ist. Eine Kennzeichnung erfolgt gemäß § 2 Abs. 1 AVV i.V.m. Anhang 1 1.1, 2.2 AVV bereits dann, wenn der Abfall in relevanter Weise gefährliche Stoffe aus dem Anhang III der CLP-VO enthält. Eine Einordnung von titandioxidhaltigen Abfallstoffen als gefährlicher Abfall im Sinne des KrWG erscheint mithin möglich. Tatsächlich warnen Abfallverbände bereits vor genau dieser Situation. Demnach wären allein in Deutschland 400.000 Tonnen Verpackungsmüll nicht, oder nur unter erheblichem Aufwand, recycelbar. Dies widerspräche der EU-Kunststoffstrategie und den Überlegungen, die Abfallwirtschaft auch im Rahmen des Green Deals (wir berichteten) noch stärker mit einzubeziehen. Angesichts dieser Entwicklungen bleibt die Situation gerade für die Recyclingunternehmen unklar.

Die Kennzeichnung von pulverförmigen TiO2 als Gefahrenstoff mag im Ansatz prinzipiell eine gute Idee sein. In der Praxis kann das jedoch Unsicherheit schaffen, ohne das Schutzniveau für die menschliche Gesundheit der Bürger*innen praktisch zu verbessern. Wie genau nun insoweit die AVV angepasst wird und wie die Gefährlichkeit von titandioxidhaltigen Abfällen zu bewerten ist, ist nun Sache des Bundesumweltministeriums. Vielleicht lässt sich an dieser Stelle noch eine Lösung finden, die die Gefahren von Titandioxid verringert, ohne die Kreislaufwirtschaft über Gebühr zu belasten.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

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