„Fit for 55“ – Teil 6: Der Vorschlag zur Reform der Marktstabilitätsreserve

Um das verschärfte EU-Klimaziel zu erreichen, sollen weniger CO2-Zertifikate auf den Markt kommen (wir berichteten). Mit ihrem Vorschlag zur Reform der Marktstabilitätsreserve (MSR) hat die Kommission dafür die bereits im Markt zirkulierenden Zertifikate ins Visier genommen.

Was ist die Marktstabilitätsreserve und wie funktioniert sie?

Das EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) ist ein marktbasiertes Klimaschutzinstrument. Damit steht und fällt es mit einem stabilen Preisniveau des gehandelten Guts, der CO2-Zertifikate. Zu niedrige Preise bieten keinen Anreiz zu Emissionsminderungen, zu hohe Preise bergen die Gefahr der Verlagerung von Produktion in Länder mit niedrigeren CO2-Kosten, wodurch der Effekt für den Klimaschutz ebenfalls konterkariert wird.

2015 waren das Europäische Parlament und der Rat zu der Einschätzung gekommen, dass ein erheblicher Überschuss an Zertifikaten im Markt bestand, der reduziert werden müsse, um den Zertifikatepreis zu stabilisieren und so die Wirksamkeit des EU-ETS zu erhöhen. Hierzu wurde mit dem Beschluss (EU) 2015/1814 die MSR eingerichtet, in die seit 2019 Zertifikate eingestellt werden. Die MSR sieht vor, dass die Europäische Kommission jährlich die Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate (Total Number of Allowances in Circulation – TNAC) ermittelt. Erreicht sie die festgelegte Obergrenze von 833 Millionen, werden Zertifikate dem Versteigerungsbudget entnommen und der MSR hinzugefügt. Wird die definierte Untergrenze von 400 Millionen handelbarer Berechtigungen hingegen unterschritten, gibt die MSR eingelagerte Zertifikate wieder frei.

Ursprünglich sah der Mechanismus vor, 12% der festgestellten Überschüsse in die MSR zu überführen. Mit der Richtlinie (EU) 2018/410 wurde der Prozentsatz, der für die Bestimmung der Anzahl der jährlich in die Reserve aufzunehmenden Zertifikate zu verwenden ist, bis zum 31. Dezember 2023 auf 24 % verdoppelt. Das heißt also: Sobald die Überschussmenge 833 Millionen Zertifikate übersteigt, wird die Versteigerungsmenge des jeweiligen Jahres um 24 % des Überschusses verringert. Ab 2024 sollte die Aufnahmequote dann wieder auf 12% sinken. Gleichzeitig wurde festgelegt, dass ab 2023 auch Zertifikate aus der MSR gelöscht werden können, und zwar dann, wenn die Anzahl der in der Reserve befindlichen Zertifikate die Gesamtzahl der im vorangegangenen Jahr versteigerten Zertifikate übersteigt. Zur Veranschaulichung: Zuletzt hatte die Europäische Kommission eine TNAC von 1 578 772 426 Emissionsberechtigungen festgestellt und auf dieser Grundlage entschieden, dass von den Auktionsmengen für den Zeitraum von September 2021 bis August 2022 378 905 382 Zertifikate abzuziehen und in die MSR zu überführen sind. Die EU-weite Versteigerungsmenge lag derweil 2020 bei rund 778.505.000 Zertifikaten.

Was ändert sich durch „Fit for 55“?

Die im Zusammenhang mit der Überprüfung der MSR durchgeführte Analyse – so die Europäische Kommission – habe gezeigt, dass eine Rückkehr zur Aufnahmequote von 12% ab 2023 zu einem neuen Zertifikateüberschuss führen könnte, der sich destabilisierend auf den Markt auswirkt. Deshalb soll die Quote von 24 % auch noch über 2023 hinaus bis zum Ende der vierten Handelsperiode gelten. Erst ab 2031 soll der Aufnahmeanteil wieder bei 12 % liegen. Zudem wird eine zweite Schwelle von 1 096 Millionen Zertifikaten eingezogen und der Abschöpfungsmechanismus modifiziert: Das Delta zwischen dieser und der Schwelle von 833 Millionen Zertifikaten soll vollständig in die MSR fließen, also bis zu 263 Millionen Zertifikate. Überschreitet die TNAC die Schwelle von 1 096 Millionen, wird auf die gesamte TNAC die Aufnahmequote angewandt. Auch dann werden also mindestens 263 Millionen Zertifikate abgeschöpft, jeder weitere Anstieg der Überschussmenge dann aber nur noch anteilig.

Der Umfang der MSR soll ab 2023 auf ein Volumen von 400 Millionen Zertifikaten begrenzt werden. Die Anzahl der über dieser Schwelle liegenden Berechtigungen soll ihre Gültigkeit verlieren. Die Löschung wäre damit also nicht mehr von den Versteigerungsmengen des Vorjahres abhängig. Dadurch ändert sich auch die Berechnung der Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate, denn nun werden die Zertifikate innerhalb der MSR nicht mehr mit einbezogen, sondern nur noch die handelbaren Berechtigungen berücksichtigt.

Auch die neuen Regelungen für den Luft- und Seeverkehr würden sich auf die MSR auswirken. In die Berechnung der Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate sollen die Emissionen des Luftverkehrs und die diesbezüglich vergebenen Zertifikate einbezogen werden. Ebenso soll eine schrittweise Einbeziehung des Schiffsverkehrs erfolgen, für den keine zusätzlichen Zertifikate vorgesehen sind. Um Verzerrungen zu vermeiden, soll die Differenz zwischen den geprüften Emissionen und den für den Seeverkehr abgegebenen Zertifikaten, die nicht versteigert, sondern gelöscht werden, auf die Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate angerechnet werden, als ob die Zertifikate ausgegeben worden wären.

Die geplante Erweiterung der EU-ETS auf die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude (wir berichteten) hätte zunächst keinen Einfluss auf die MSR. Für diese beiden Sektoren soll ein eigenes Emissionshandelssystem mit eigener MSR geschaffen werden, identisch zum bisher bekannten Mechanismus. Um von Beginn an einsatzfähig zu sein, wird die Reserve mit einer Ausstattung von 600 Millionen Zertifikaten eingerichtet. Die anfänglichen unteren und oberen Schwellenwerte, die die Freigabe oder Aufnahme von Zertifikaten aus der Reserve auslösen, unterliegen einer allgemeinen Überprüfungsklausel. Andere Elemente wie die Veröffentlichung der Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Zertifikate oder die Menge der freigegebenen oder in die Reserve eingestellten Zertifikate folgen den Regeln für die Reserve für andere Sektoren.

Ist der Preis noch verhandelbar?

Sofern betroffene Unternehmen der Umgestaltung der MSR mit Sorge entgegenblicken, können sie den Diskurs nach wie vor aktiv mitgestalten. Auf der Homepage der Kommission haben sie bis zum 03.11.2021 die Möglichkeit, eine Stellungnahme einzureichen.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Carsten Telschow

PS: Wenn Sie sich für das Thema interessieren, dann schauen Sie gerne hier.

Share
Weiterlesen

14 Oktober

Verfassungsbeschwerde gegen das StromPBG

Die sogenannte Überschusserlösabschöpfung nach §§ 13 ff. Strompreisbremsengesetz (StromPBG) steht auf dem verfassungsrechtlichen Prüfstand. Am 24.9.2024 fand die mündliche Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde von 26 Stromerzeugern gegen das StromPBG statt. Was sind die Hintergründe? Das StromPBG sah vor, bis zum...

09 Oktober

Ein Meilenstein der Gasnetztransformation: die Festlegung KANU 2.0 der BNetzA

Zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens hat sich die Bundesrepublik Deutschland die Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2045 zum Ziel gesetzt. Damit muss dann auch die erdgasbasierte Wärmeversorgung ihr Ende gefunden haben. Da die bestehende Infrastruktur in den Gasverteilernetzen zukünftig voraussichtlich nur...