BGH entschärft Preisanpassungs-Bombe des EuGH

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Gas- und Stromversorger können vorerst aufatmen. Nach den mit Spannung erwarteten  Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2015 (Az. VIII ZR 13/12 und VIII ZR 158/11) zu Preisanpassungen gegenüber Tarifkunden dürften ihnen weit weniger Kundenrückforderungen ins Haus stehen als zwischenzeitlich befürchtet.

Gegenstand beider Verfahren waren Zahlungsklagen des Tarifversorgers gegen Gaskunden, die durchgeführten Preiserhöhungen widersprochen und die Erhöhungsbeträge nicht (vollständig) bezahlt hatten. Der Europäischen Gerichtshof (EuGH) hatte 2014 entschieden (wir berichteten), dass die Preisanpassungsklausel in § 4 AVBGasV den Transparenzanforderungen der Gasbinnenmarktrichtlinie 2003/55/EG (GasRL 2003) nicht genüge und unwirksam sei. Infolgedessen wurden die Strom- und GasGVV, die Nachfolgeregelungen der AVG, Ende 2014 unter Berücksichtigung der Aussagen des EuGH reformiert.

Vor dem BGH ging es jetzt um die Frage, was aus der Unwirksamkeit der Preisanpassungsregelung für die Ansprüche des Versorgers folgt. Eine Frage von enormer Tragweite: Zwar hatte der BGH formell lediglich § 4 AVBGasV zu bewerten, aber seine Erwägungen dürften auch auf die Regelungen in § 5 GVV – Strom bzw. Gas – (in den alten Fassungen vor dem 30.10.2014) übertragbar sein. Insbesondere ist auch davon auszugehen, dass die unterinstanzliche Rechtsprechung diese Leitlinien des BGH übertragen wird.

Zunächst hat der BGH – entgegen seiner bisherigen Auffassung – mit Blick auf die bindende Rechtsauffassung des EuGH die Preisänderungsregelung des § 4 AVBGasV für unwirksam erklärt. Werde der Kunde nicht rechtzeitig vor dem Inkrafttreten von Preisänderungen über deren Anlass, Voraussetzungen und Umfang informiert – bislang in § 4 AVBGasV und AVBEltV, bzw. § 5 GVV Gas und Strom nicht vorgesehen – genüge dies nicht den Transparenzanforderungen. Allerdings entschied der BGH, dass der Versorger im Ergebnis dennoch seine Preise anpassen darf, soweit er damit unstreitig lediglich seine (Bezugs-)Kostensteigerungen weitergibt. Die insoweit inhaltlich gerechtfertigten Preiserhöhungen konnten zwar nicht auf § 4 AVBGasV gestützt werden, ließen sich jedoch auf eine ergänzende Vertragsauslegung stützen.

Diese hält der BGH wegen der Besonderheiten des Grundversorgungsverhältnisses (unbefristete Versorgungsverträge mit Kontrahierungszwang) für geboten. Eine solche ergänzende Vertragsauslegung hatte der BGH in der Vergangenheit im Rahmen von Sonderverträgen noch abgelehnt. Der BGH unterstellt, dass in der Grundversorgung redliche Vertragspartner (hypothetisch) vereinbart hätten, dass das Gasversorgungsunternehmen berechtigt ist, Steigerungen seiner eigenen (Bezugs-)Kosten, soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Kunden weiterzugeben, und dass das Gasversorgungsunternehmen verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen. Da die Vorinstanzen des BGH in beiden Fällen festgestellt hatten, dass lediglich Bezugskostensteigerungen weitergegeben wurden, konnte der BGH den Klagen abschließend stattgeben.

Zur Frage, was unter „(Bezugs-)Kosten“ zu verstehen ist, lassen sich der Pressemitteilung zwar noch keine Details entnehmen. Der Klammerzusatz lässt jedoch vermuten, dass nicht nur Bezugskosten im engeren Sinne, gemeint sind.

Ergänzend bestätigt der BGH seine Rechtsprechung zur sog. Fristenlösung bei Sonderlieferverträgen auch im Rahmen der Grundversorgung. Danach könne sich der Kunde bei einem langjährigen Energielieferungsverhältnis nicht mehr mit Erfolg gegen die Preiserhöhung wenden, wenn er die Preiserhöhung nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat. Das gelte selbst dann, wenn eine Preiserhöhung über die bloße Weitergabe von Kostensteigerungen hinaus gehe und der Versorger damit einen (zusätzlichen) Gewinn erziele. Im Falle von Rückforderungsansprüchen ist der letzte nicht wirksam gerügte Preis dann auch der Ausgangspunkt für etwaige Rückforderungen.

Auch wenn die Entscheidungen des BGH für Energieversorger im Hinblick auf das Bestehen eines Rechts zur Preisanpassung für den Zeitraum vor dem 30.10.2014 grundsätzlich positiv sind, bleibt der Grundversorger nach wie vor in der Pflicht. Er muss im Einzelfall nachweisen, dass seine Preiserhöhungen auf gestiegenen Kosten beruhen. Den Maßstab für eine solche Nachweisführung werden ausweislich der hier vorliegenden Pressemitteilung die früheren Urteile des BGH zum Billigkeitsnachweis (§ 315 BGB) bilden.

Der BGH hat darüber hinaus jetzt erfreulicherweise klargestellt, dass Kostensenkungen und Kostenerhöhungen nicht tagesgenau weitergegeben werden müssen. Vielmehr sei auf die Kostenentwicklung in einem gewissen Zeitraum abzustellen. Die Bemessung dieses Zeitraums sei einzelfallabhängig und obliege dem Tatrichter, wobei z.B. das Gaswirtschaftsjahr regelmäßig eine angemessene Zeitspanne bilde. Den Instanzgerichten eröffnet sich hierdurch ein weiterer Bewertungsspielraum.

Im Ergebnis können nunmehr all jene Gerichtsverfahren, die aufgrund der Vorlage an den EuGH ausgesetzt oder ruhend gestellt worden sind, nach Vorliegen der Urteilsgründe des BGH fortgeführt und entschieden werden. Es ist nicht auszuschließen, dass aufgrund der aktuellen Rechtsprechung weitere Kunden die Rechtmäßigkeit von Preisanpassungen in Zweifel ziehen. Insoweit sollte der Versorger – auch um Streitschlichtungsverfahren zu vermeiden – rechtzeitig plausible Antworten im Rahmen einer Kommunikationsstrategie im Umgang mit Presse- und Widerspruchskunden parat zu haben, damit es nicht zu Flächenbränden kommt.

Ansprechpartner Vertrieb/Vertragsgestaltung: Dr. Christian de Wyl/Dr. Jost Eder/Dr. Erik Ahnis/Dominique Couval

Ansprechpartner § 315 BGB: Stefan Wollschläger

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