Unternehmensbewertungen bei Wegzug und Funktionsverlagerung

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Wenn ein Gesellschafter persönlich wegzieht oder ein Unternehmen seine betriebliche Tätigkeit ins Ausland verlagert (Funktionsverlagerung), entgehen dem deutschen Fiskus Ertrags- bzw. Kapitalertragssteuern. Darauf hat der deutsche Gesetzgeber mit einer Exit-Tax reagiert. In beiden Fällen sieht der Gesetzgeber für die Besteuerung eine Bewertung der Gesellschaft bzw. der betrieblichen Bereiche vor. Dabei empfiehlt es sich, professionelle Beratung in Anspruch zu nehmen.

Wegzugsbesteuerung

Die Wegzugsbesteuerung sieht eine Besteuerung einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft vor, wenn ein Gesellschafter ins Ausland verzieht, die Anteile an der Gesellschaft aber weiterhin hält. Für die Besteuerung wird eine fiktive Veräußerung der Beteiligung unterstellt und diese dann besteuert.

§ 6 AStG knüpft die Wegzugsbesteuerung sowohl an persönliche als auch an sachliche Voraussetzungen. Zu den persönlichen Voraussetzungen zählen der Status als natürliche Person (sowohl In- als auch Ausländer), die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht in Deutschland von mindestens zehn Jahren (Zehnjahresfrist) sowie die Aufgabe des Wohnsitzes oder die Beendigung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland. Als sachliche Voraussetzung gilt, dass mindestens 1 Prozent der Anteile einer Kapitalgesellschaft (i.S.d. § 17 EStG) gehalten wird. Ob sich die Gesellschaft im In- oder Ausland befindet, ist unerheblich.

Um die Bemessungsgrundlage, also den fiktiven Veräußerungsgewinn, festzulegen, ist der „gemeine Wert“ (vgl. § 9 Abs. 1 BewG) heranzuziehen. Dabei gilt folgende Methodenhierarchie: Liegt ein Börsenkurs der Gesellschaft vor, ist dieser anzuwenden. Falls ein solcher nicht vorliegt, werden Verkäufe an fremde Dritte herangezogen, die weniger als ein Jahr zurückliegen. Ist auch das nicht einschlägig, ist der Wert unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode, zu ermitteln (vgl. § 11 Abs. 2 BewG). In den meisten Fällen wird die letztgenannte Vorgehensweise gewählt.

Theoretisch könnte das vereinfachte Ertragswertverfahren gem. §§ 199 ff. BewG angewendet werden, wenn es nicht zu unzutreffenden Ergebnissen führt. Aufgrund des volatilen Marktumfelds wird jedoch für die Ermittlung des gemeinen Werts zum Großteil auf den objektivierten Wert abgestellt (vgl. § 9 BewG). Der objektivierte Wert stellt gemäß des IDW S 1-Standards einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert aus Sicht der Anteilseigner dar, der sich bei Fortführung des Unternehmens auf Basis des bestehenden Unternehmenskonzepts und unter Einbeziehung aller realistischen Zukunftserwartungen im Rahmen der Marktchancen und -risiken und finanziellen Möglichkeiten des Unternehmens sowie sonstigen Einflussfaktoren ergibt. Die Bewertung stützt sich dabei auf die zum Bewertungsstichtag vorhandene zukünftige Ertragskraft. Die methodische Wertermittlung erfolgt über das Discounted-Cash-Flow- oder Ertragswertverfahren.

Ein besonderer Aspekt in der steuerlichen Unternehmensbewertung liegt in der Einbeziehung der „übertragbaren Ertragskraft“. Bei großen Kapitalgesellschaften bzw. bei ausscheidenden Gesellschaftern, die nicht an der Geschäftsführung der Gesellschaft beteiligt waren und keinen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung hatten, ist regelmäßig von einer vollständigen Übertragung der Ertragskraft auszugehen. War der ausscheidende Gesellschafter hingegen maßgeblich an der Geschäftsführung beteiligt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sich die Ertragskraft partiell oder temporär reduziert.

Besteuerung bei Funktionsverlagerung

Zieht ein Unternehmen als Ganzes oder in Teilen ins Ausland, wird diese vollständige oder teilweise Funktionsverlagerung vom deutschen Fiskus besteuert. Um die Bemessungsgrundlage für die Funktionsverlagerung zu bestimmen, wird der als hypothetischer Fremdvergleichspreis anzusetzende Wert aus einer erwartungswertorientierten Bewertungsmethode abgeleitet.

Eine Funktion kann als Bündel von betrieblichen Aufgaben verstanden werden, das zusammengefasst einen Teilbereich der unternehmerischen Gesamtaufgabe darstellt. Die Abgrenzung einer Funktion erfolgt ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Prämissen. Zu beachten ist, dass die in der Funktion zusammengefassten Aufgaben einen sachlichen Zusammenhang haben und die Funktion insofern als eigenständig betrachtet werden kann, dass die Zuordnung bestimmter Erträge und Aufwendungen möglich ist. Beispiele sind Produktion, Logistik, Marketing, Forschung und Entwicklung oder Vertrieb. Werden einzelne oder alle Funktionen ins Ausland verlagert, unterliegen nicht nur die einzelnen Funktionen der Besteuerung, sondern das gesamte sog. Transferpaket. Neben den übertragbaren oder überlassenen Wirtschaftsgütern und sonstigen Vorteilen werden also auch die dazugehörigen Chancen und Risiken (zukünftiges Gewinnpotenzial) einbezogen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 9 AStG).

Der als hypothetischer Fremdvergleichspreis anzusetzende Wert des Transferpakets soll dabei aus einer erwartungswertorientierten Bewertungsmethode abgeleitet werden. Im Detail heißt das, dass sowohl das abgebende bzw. leistende Unternehmen im Inland als auch das empfangende Unternehmen im Ausland sog. Grenzpreise ermitteln muss, die deren subjektive Preisbereitschaft widerspiegeln. Die Finanzverwaltung erkennt zur Bestimmung der Grenzpreise (subjektive (Unternehmens-)Werte) sowohl das Ertragswertverfahren als auch die Discounted-Cash-Flow-Methode an.

Dabei ist zu beachten, dass das abgebende Unternehmen zweimal bewertet werden muss: Einmal vor bzw. ohne die Funktionsverlagerung und einmal nach bzw. mit der Funktionsverlagerung. Die Differenz bildet dann den Wert des verlagerten Transferpakets. Die beiden Bewertungsvorgänge werden auch für das empfangende Unternehmen durchgeführt. Im nächsten Schritt werden die Kapitalisierungszinssätze einbezogen, die sich aufgrund der unterschiedlichen Risikostruktur sowohl für die beiden Unternehmen, als auch für die beiden Sachverhalte (mit und ohne Funktionsverlagerung) unterscheiden. Hieraus lassen sich dann die beiden subjektiven Grenzpreise (Werte) bestimmen, die dann die Ober- bzw. Untergrenze des sog. potenziellen Einigungsbereichs darstellen. Anschließend wird der Grenzpreis ausgewählt, der am wahrscheinlichsten gilt. Kann ein solcher nicht eindeutig identifiziert werden, wird der Mittelwert herangezogen. Diese stark pragmatische Herangehensweise erkennt die Finanzverwaltung an (vgl. BMF-Schreiben v. 13.10. 2010, GZ IV B 5 – S 1341/08/10003).

Anerkennung sicherstellen

Die sachlich und formal ordnungsgemäße Durchführung der Bewertung ist von wesentlicher Bedeutung. Die Bewertungsmaßstäbe und -funktionen müssen im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben und den einschlägigen Standards stehen. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die Finanzverwaltung die Bewertungen auch anerkennt.

Ansprechpartner*innen: Thomas Straßer/Christian Fesl/David Klee

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