Rekonfiguration der Gebotszonen: Anpassungen mit Folgen

Eine Gebotszone, auch oft Preiszone genannt, ist das Gebiet, in dem der gleiche Großhandelspreis für Strom gilt. Vom Prinzip her ist die Gebotszone ein Netzgebiet, innerhalb dessen es keine Engpässe beim Transport des Stroms gibt. Gerade wird ermittelt, wo diese Gebotszonen und ihre Grenzen liegen sollten. Anpassungen können gravierende Auswirkungen haben.

Theorie und Praxis

Deutschland stellt – trotz vier verschiedener Übertragungsnetzbetreiber – eine einheitliche Gebotszone dar (zu der auch Luxemburg gehört).

Art. 14 Abs. 1 Satz 3 der Elektrizitätsverordnung sieht vor, dass es innerhalb einer Gebotszone keine Netzengpässe geben soll. Und genau hier setzt die Kritik an der einheitlichen deutschen Preiszone an: In Wahrheit gibt es ja innerdeutsche Engpässe, die sich nicht nur in relativ hohen Redispatch-Kosten ausdrücken, sondern auch physikalisch zu Ausweichbewegungen über unsere Nachbarnetze führen, die sog. Ringflüsse. Und weil die Nachbarländer mit betroffen sind, kann das Problem auch Deutschland nicht mit sich selbst ausmachen.

Wer bin ich und wenn ja wie viele?

Entsprechend ist das Thema Gegenstand eines bereits seit 2022 laufenden formalen Prozesses, des sog. Bidding Zone Reviews. In diesem arbeiten die europäischen Übertragungsnetzbetreiber mit ihrem Verband Entso-E, den Regulierern, der ACER und zwischendrin der Öffentlichkeit zusammen, um zu ermitteln, wo eigentlich genau die Gebotszonengrenzen liegen sollten. Im Frühjahr sollen Ergebnisse öffentlich konsultiert werden. Der abschließende Bericht ist für das Ende des Jahres geplant.

Auf der Basis dieses Berichts müssen sich die betroffenen Länder für eine Lösung entscheiden, sei es mit oder ohne Gebotszonenrekonfiguration. Aber sollten sie sich am Ende nicht einig sein, muss die Kommission als ultima ratio übernehmen (Art. 14 Abs. 8 Satz 5 der Elektrizitätsverordnung).

Neben der Möglichkeit, dass die deutsche Gebotszone bleibt, wie sie ist, sind vier alternative Konfigurationen auch Prüfungsgegenstand. Diese reichen von einem simplen Schnitt zwischen Nord und Süd bis zu ganz neuen Gebotszonen mit jeweils Teilen der Nachbarnetze.

Die wesentliche Folge einer Anpassung der Gebotszonen wären separate Märkte und separate Preise. Nehmen wir als Beispiel die einfache Konfiguration einer norddeutschen und einer süddeutschen Preiszone: Es würde dann einen norddeutschen Markt geben, der von der Verfügbarkeit von Windenergie geprägt wäre. Und einen süddeutschen Markt, der insgesamt weniger erneuerbare Energien umfasste und damit vermutlich im Schnitt teurer würde. Die teuren Redispatch-Kosten könnten immerhin teilweise entfallen. Stattdessen müssten Unternehmen, die Energie von Nord nach Süd importieren wollen, ein Engpassentgelt zahlen (was den Strom im Süden teurer macht).

Gründliche Abwägung aller direkten und indirekten Folgen

Einige norddeutsche Bundesländer haben in den letzten Monaten große Sympathie für eine solche Lösung gezeigt. Es würde die Stromkosten in ihren Bundesländern senken und sie somit attraktiver für die Industrie machen. Man kann sich vorstellen, dass die Meinung im Süden dazu konträr ist.

Die Konsequenzen beschränken sich aber nicht auf dicke Luft in Bundesratssitzungen. Ebenso spielen die Interessen aus dem Netzbetrieb eine Rolle: klare Verhältnisse, keine Ringflüsse, Erlöse aus dem Engpassmanagement für den weiteren Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindungen. Alles vernünftig und nachvollziehbar.

Dem gegenüber stehen die Interessen des Marktes. Die große deutsche Gebotszone hat eine ausgezeichnete Liquidität, jede Aufteilung würde diese verringern, würde den Handel erschweren und damit marktliche Ineffizienzen erzeugen. Das Zielmodell ist in Europa ja ein einheitlicher Markt – und ein Split ist ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung.

Außerhalb der Energiewelt stehen industriepolitische Interessen, denn stabile und niedrige Strompreise sind ein interessanter Faktor für die Ansiedlungspolitik. Aber kein süddeutsches Unternehmen wird seine Produktion kurzfristig nach Norddeutschland verlegen, nur weil dort der Strom etwas billiger ist. Wenn man schon seine Wurzeln aus dem Boden zieht, kann man auch gleich irgendwo hingehen, wo der Strom deutlich günstiger ist (oder andere Förderungen locken).

Und dann gibt es noch die Interessen von allen, die von einem massiven Einschnitt wie einer Gebotszonentrennung operativ betroffen wären. Neben anderem wären sicherlich Prozesse, IT und Verträge anzufassen. Ein riesiger Aufwand für … eine temporäre Lösung? Tatsächlich ist Deutschland mit den Ausbauprojekten für die großen Nord-Süd-Verbindungen ja gerade dabei, die Engpässe zu verringern. Wie immer dauert alles länger als ursprünglich gehofft. Aber ein Ende ist absehbar. Wenn in ein paar Jahren die „Stromautobahnen“ in Betrieb sind, wäre es dann Zeit für die nächste Gebotszonenreform? Theoretisch ja. Aber hier hat der europäische Normgeber mitgedacht. Den Gebotszonengrenzen müssen nämlich „langfristige, strukturelle Engpässe“ zugrunde liegen (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 der Elektrizitätsverordnung). Kurzfristiger Aktionismus für ein paar Jahre steht damit aber nicht im Einklang.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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