Das neue Strompreispaket: Die erhoffte Rettung des Industriestandorts Deutschland?

Vergangene Woche einigten sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf ein sog. Strompreispaket. Das Paket umfasst im Kern zwei Teile. Neben der Stromsteuersenkung für Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf das europäische Mindestmaß von 0,05 Cent pro Kilowattstunde soll die Strompreiskompensation samt sog. Supercap verlängert werden, als Kompromiss zum ursprünglich vom Wirtschaftsminister vorgeschlagenen und an die Unternehmen der sog. BesAR-Liste adressierten Brückenstrompreis. Dagegen soll der bisher geltende Spitzenausgleich auslaufen, unter dem Unternehmen des produzierenden Gewerbes bislang ein Großteil (bis zu 90 Prozent) der gezahlten Stromsteuer erstattet wird. Laut Bundesregierung könnten allein im nächsten Jahr Entlastungen in Höhe von insgesamt bis zu 12 Milliarden Euro gewährt werden. Außerdem würden nun alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes profitieren. Unternehmen, die bislang den Spitzenausgleich nutzten, könnten dazu Bürokratiekosten sparen. Flankiert wird das Paket von ebenfalls von der Bundesregierung bereits beschlossenen Entlastungen durch die Stabilisierung der Netzentgelte über Zuschüsse an die Übertragungsnetzbetreiber.

Stromsteuerentlastung

Ein Kernpunkt des Pakets ist die Stromsteuersenkung für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes. Dazu gehören nach der gesetzlichen Definition im Stromsteuergesetz alle Unternehmen, die im Bergbau und der Gewinnung von Steinen und Erden, in der Energie- und Wasserversorgung, im Baugewerbe und verarbeitendem Gewerbe tätig sind. Die Stromsteuer soll für diese Unternehmen von dem bisherigen reduzierten Stromsteuersatz von 1,537 Cent pro Kilowattstunde (bzw. 15,37 Euro pro Megawattstunde) auf den unionsrechtlich zulässigen Mindestwert von 0,05 Cent pro Kilowattstunde (das entspricht 50 Cent pro Megawattstunde) gesenkt werden. Die Umsetzung wird laut Pressemitteilung über eine nachträgliche Entlastung (in Höhe von 20,00 Euro pro Megawattstunde) erfolgen, die (nur) auf Antrag eines Unternehmens gewährt wird. Da der Spitzenausgleich wegfallen soll, entfällt zugleich die bisherige Verrechnung mit den Einsparungen bei den Rentenversicherungsbeiträgen und dem Nachweis eines Energiemanagementsystems.

Die Finanzierung der benötigten 2,75 Milliarden Euro für die Senkung der Stromsteuer soll aus dem Bundeshaushalt erfolgen, den der Haushaltsausschuss im Bundestag für 2024 am 16.11.2023 festgelegt hat. Die Einigung über die nun vorgesehene Stromsteuersenkung erfolgte also gerade rechtzeitig. Die jüngste Steuerschätzung ergab, dass der Bund über zusätzliche Einnahmen in Höhe von 2,3 Milliarden Euro verfügen könnte; außerdem darf der Bund aufgrund der schwachen Konjunktur etwas mehr Schulden aufnehmen als geplant. Die Senkung der Stromsteuer könne demnach im Bundeshaushalt realisiert und im Rahmen der Schuldenbremse finanziert werden, so Bundesfinanzminister Lindner.

Die Stromsteuer soll insgesamt bis 2028 gesenkt bleiben. Die Jahre 2026 bis 2028 wurden unter den Vorbehalt der Gegenfinanzierung im Bundeshaushalt gestellt.

Verlängerung der Strompreiskompensation und des Supercaps

Außerdem soll die Strompreiskompensation für fünf weitere Jahre verlängert werden. Sie wird aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert, dessen Errichtung, Zweck, Verwendung und Abwicklungsvorgaben im Klima- und Transformationsfondsgesetz (KTFG) geregelt sind. Innerhalb des KTF werden die Mittel für die Strompreiskompensation (§ 2 Abs. 2 Nr. 1) regulär v.a. über kontinuierliche Einnahmen aus dem Emissionshandel bereitgestellt (§ 4). Dabei handelt es sich also nicht um die in der Corona-Pandemie gebilligten Sondermittel in Höhe von 60 Mrd. €, die durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 für die in § 2a KTFG genannten Investitionsvorhaben (wie Energieeffizienz und Erneuerbare Energien im Gebäudebereich, CO2-freie Mobilität und Energieinfrastruktur, die Dekarbonisierung der Industrie über Klimaschutzverträge und die Abschaffung der EEG-Umlage) umgewidmet wurden. Deren nachträgliche Zuweisung zum KTF hat das Bundesverfassungsgericht gerade erst für nichtig erklärt.

Die im Zuge des Strompreispakets verlängerte Strompreiskompensation soll 350 Unternehmen, die am stärksten im internationalen Wettbewerb stehen, von den Kosten des CO2-Emissionshandels befreien – unter der Voraussetzung, dass bestimmte Maßnahmen im Bereich der Energieeffizienz durchgeführt werden. Die Höhe der Kompensation berechnet sich nach dem durchschnittlichen CO2-Zertifikatepreis.

Auch die bestehende Regelung zum Supercap für rund 90 besonders stromintensive Unternehmen soll in den nächsten fünf Jahren fortgeführt werden, ergänzt durch den Entfall des Sockelbetrags. Der Supercap begrenzt die indirekten CO2-Kosten auf 1,5 Prozent der individuellen Wertschöpfung im Unternehmen.

Zwischen Lob und Kritik

Bis zuletzt war über die Einführung eines Industriestrompreises gestritten worden und bei aller Erleichterung über das Ende der ministerialen Hängepartie wurde auch Kritik laut. Unmut wurde erwartungsgemäß aus Branchen geäußert, die ebenfalls anerkanntermaßen stromintensiv sind und im internationalen Wettbewerb stehen, deren Unternehmen aber nicht in den „350er“- und „90er“-Kreis fallen und daher die Strompreiskompensation nicht in Anspruch nehmen dürfen. Die durchaus nachvollziehbare Frage lautet hier: Warum soll sich der Adressatenkreises für Entlastungen vom Strompreis nicht an der „Besonderen Ausgleichsregelung“ (BesAR) bzw. der dort bewährten, beihilferechtlich gebilligten Branchenliste orientieren, unter der 2022 immerhin noch rund 2.200 Unternehmen bzw. Unternehmensteile entlastet worden waren? Ähnliches gilt etwa auch für die Schienenbahnen, die einen maßgeblichen Beitrag zur Verkehrswende leisten sollen und ebenfalls außen vor bleiben sollen.

Aber auch aus umgekehrter Richtung kommt Kritik: Es besteht die Sorge, die Maßnahmen könnten Anreize untergraben, den Energieverbrauch und Emissionen zu senken. Dem wiederum wird aber schon dadurch begegnet werden, dass die Strompreiskompensation von ökologischen Gegenleistungen abhängig gemacht wird. Zudem bekräftigte Bundeskanzler Olaf Scholz bei Bekanntgabe des Strompreispakets nochmals die unveränderte Aufgabe für den Industriestandort Deutschland, konsequent den Ausbau der Erneuerbaren Energie und der Stromnetze voranzutreiben.

Wie geht es weiter?

Das Strompreispaket steht laut Bundesregierung noch unter dem Vorbehalt hinreichender Mittel im Haushalt und muss überdies beihilferechtlich durch die Europäische Kommission gebilligt werden. Im nächsten Schritt muss das Strompreispaket in ein Gesetz gegossen und im Bundestag beschlossen werden. In der offiziellen Pressemitteilung der Bundesregierung heißt es, sie werde nun unverzüglich auf den Gesetzgeber zugehen, damit die Maßnahmen so schnell wie möglich beschlossen würden. Es bleibt nicht viel Zeit für die üblichen parlamentarischen Verfahren, denn die Entlastung soll schon ab 2024 greifen. Ob im parlamentarischen Verfahren den geäußerten Bedenken noch begegnet werden kann, also insbesondere der Adressatenkreis der Entlastungen ausgeweitet wird, bleibt abzuwarten.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Markus Kachel/Jens Panknin/Andreas Große

Zu Fragen der Strompreiskompensation (insbesondere Antragstellung): Carsten Telschow/Vera Grebe/Valentine Zheng

Zu Fragen der Stromsteuerentlastung (insbesondere Prozessvertretung bei den HZAs): Niko Liebheit/Jennifer Morgenstern

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