Neue Märkte für Systemdienstleistungen: Bundestag beschließt Änderung des EnWG

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Am 8.10.2020 hat der Bundestag ein Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes zur marktgestützten Beschaffung von Systemdienstleistungen beschlossen. Es führt einen neuen § 12h EnWG zur marktgestützten Beschaffung von sog. nicht-frequenzbezogenen Systemdienstleistungen ein. Darunter fallen Spannungsregelung (Blindleistung), Trägheit der lokalen Netzstabilität, Kurzschlussstrom, dynamische Blindstromstützung, Schwarzstartfähigkeit und Inselbetriebsfähigkeit. Mit seinem Beschluss hat der Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom August 2020 ohne Änderungen angenommen.

Hintergrund für die neue gesetzliche Regelung sind Vorgaben aus der Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie 2019/944 (EU), die Teil des EU-Winterpakets (Clean Energy Package) ist und bis Ende 2020 umzusetzen ist. Nach Art. 31 Abs. 6 bis 8 und Art. 40 Abs. 5 bis 7 i.V.m. Abs. 1 und 4 der Richtlinie sollen Verteiler- und Übertragungsnetzbetreiber die nicht-frequenzgebundenen Systemdienstleistungen, die sie für ihr Netz benötigen, in transparenten, diskriminierungsfreien und marktgestützten Verfahren beschaffen. Eine Ausnahme kann die Regulierungsbehörde gewähren, wenn nach ihrer Einschätzung die marktgestützte Beschaffung wirtschaftlich nicht effizient ist. Nach gegenwärtiger Praxis werden die nicht-frequenzbezogenen Systemdienstleistungen überwiegend über technische Vorgaben der Netzbetreiber oder über vertragliche Regelungen beschafft. Das neue Beschaffungssystem soll den Markt für alle Teilnehmer öffnen und die Beschaffung dieser Systemdienstleitungen volkswirtschaftlich effizienter machen.

Nach Absatz 1 des neuen § 12h EnWG müssen Betreiber von Übertragungsnetzen mit Regelzonenverantwortung und Betreiber von Elektrizitätsverteilernetzen Systemdienstleistungen zu Spannungsregelung, Trägheit der lokalen Netzstabilität, Kurzschlussstrom, dynamischer Blindstromstützung, Schwarzstartfähigkeit und Inselbetriebsfähigkeit für ihr jeweiliges Netz in einem transparenten, diskriminierungsfreien und marktgestützten Verfahren beschaffen. Nach Absatz 4 kann die Bundesnetzagentur (BNetzA) Ausnahmen von der Verpflichtung der marktgestützten Beschaffung von Systemdienstleistungen festlegen, wenn diese wirtschaftlich nicht effizient ist.

Nach den Ergebnissen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie beauftragten wissenschaftlichen Begleitvorhabens (ef.ruhr, House of Energy Markets and Finance (HEMF), neon, Re-Expertise und BBH: „Zukünftiger Bedarf und Beschaffung von Systemdienstleistungen“) erscheint eine marktgestützte Beschaffung nur hinsichtlich Spannungsregelung und Schwarzstartfähigkeit wirtschaftlich effizient. Die Ergebnisse des Forschungsvorhabens sind zwar für die BNetzA nicht bindend. Es spricht aber viel dafür, dass die BNetzA voraussichtlich Ausnahmen für die anderen Systemdienstleistungen außer Spannungsregelung und Schwarzstartfähigkeit festlegen wird (der Bericht wird in den nächsten Tagen veröffentlicht). Die Ausnahmen muss die BNetzA bis zum 31.12.2020 erklären.

Wenn keine Ausnahme erklärt wird, hat die BNetzA nach Absatz 5 des neuen § 12h EnWG die Spezifikationen und technischen Anforderungen der transparenten, diskriminierungsfreien und marktgestützten Beschaffung für die jeweilige Systemdienstleistung festzulegen. Da eine marktgestützte Beschaffung nach den Ergebnissen des Forschungsvorhabens nur für Blindleistung und Schwarzstartfähigkeit in Frage kommt, entwickelt das Forschungskonsortium nunmehr Beschaffungskonzepte für diese Systemdienstleistungen. Hierzu haben bereits intensive Diskussionen mit der Branche stattgefunden. Die Empfehlungen des Forscherkonsortiums werden die wissenschaftliche Grundlage für die Festlegungen der BNetzA über die marktgestützte Beschaffung sein. Die Festlegungsverfahren dazu sind im Jahre 2021 zu erwarten. Wir werden an dieser Stelle weiter darüber berichten.

Ansprechpartner: Jens Vollprecht/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Wieland Lehnert

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