Stabilität durch Flexibilität – Was braucht das Energiesystem übermorgen?

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(c) Martin Beckmann
(c) Martin Beckmann

Die Energiewende hört seit ihrem Start im Jahr 2011 nicht auf, die Energiepolitiker, Energiewissenschaftler, Energieregulierer, Energiepraktiker und natürlich auch die Energieverbraucher konstant beschäftigt zu halten. Sie alle zerbrechen sich die Köpfe, woher die Energie kommen soll, wie sie ordnungsgemäß transportiert und möglichst maßvoll konsumiert wird. Gerade im Strombereich wird gefragt: Können wir noch genug Strom produzieren und bekommen wir ihn sicher zu den Verbrauchern?

Die erste Frage scheint aktuell noch unproblematisch zu sein: Immerhin exportiert Deutschland mehr Strom als je zuvor (was die Presse auch breit um Ostern kommunizierte). Die Menge darf aber nicht täuschen, weil es trotzdem Zeiten geben kann, an denen die Produktion insgesamt nicht oder zumindest regional nicht reicht. Hier gibt es einerseits europäische Lösungen, zum Beispiel mit unseren Nachbarländern. Andererseits greift der Regulierer ein und kontrahiert Kraftwerke als „Winterreserve“ bzw. verbietet das Abschalten von unprofitablen Kraftwerken.

Die zweite Frage ist mit der ersten verknüpft. Kurze Wege von den Stromerzeugern zu den Verbrauchern belasten das Netz deutlich weniger als weite Wege quer durch die Republik. Je ungleichmäßiger die Erzeugung in zeitlicher und örtlicher Hinsicht ist, desto größer werden die Anforderungen an die Netztechnik. In heutigen Zeiten ist das keine Aussage mit Neuigkeitswert, auch der BBH-Blog hat darüber schon mehrfach berichtet.

Die Diskussion hat sich aber verändert. Während vor einem Jahr vor allem diskutiert wurde, ob die Kapazitäten ausreichen (was Wortungetüme wie „Kapazitätsmechanismen“ erzeugte), geht es inzwischen mehr um Flexibilität. Um den Unterschied zu verdeutlichen, kann man sich das Bild einer Brücke vorstellen, die Erdbeben sicher gemacht werden will. Die Kapazitätslösung wäre, die tiefsten Fundamente und die härtesten Materialen zu nutzen. Die Flexibilitätslösung wäre, die Brücke so zu konstruieren, dass sie mit den Schockwellen mitschwingen kann, um die Bebenenergie aufzufangen.

DerBBH-Blog wird daher in loser Folge demnächst Aspekte der Energiewirtschaft unter der gemeinsamen Überschrift „Stabilität durch Flexibilität“ beleuchten. Den Anfang macht die Flexibilität auf der Verbrauchsseite. Denn längst ist klar: Die Erzeugungsseite allein wird das Netz nicht stabil halten können. Auch die Verbrauchsseite wird einen nicht unerheblichen Beitrag leisten müssen. Die Möglichkeiten hierfür sind zahlreich. Zwei davon setzen auf eine schlichte Lösung: Überlastet? Einfach mal abschalten …

Demand-Response

Eine Möglichkeit zum „Abschalten“ bietet das sog. Demand-Response-System. Dieses System wird unter anderem in den USA bereits seit Jahren erfolgreich zu Netzstabilisierung eingesetzt. Es steuert zentral flexible elektrische Lasten, energetische Speicher und Erzeugungsanlagen abhängig von den Bedingungen im Verteil- oder Übertragungsnetz oder aufgrund von Marktsignalen. Vereinfacht gesagt: Eine flexible Verbraucher- und Erzeugerseite antwortet automatisch auf Anforderungen aus dem Netz.

Das Herz des Systems ist der Demand-Response-Aggregator. Dieser vernetzt und bündelt aufgrund vertraglicher Vereinbarungen die Teilnehmer mit Hilfe von Informations- und Telekommunikationstechnologien und passt über Steuerungssignale ihren Stromverbrauch bzw. ihre Erzeugung an die Anforderungen des übergeordneten Stromversorgungssystems an. Im Gegenzug für die Bereitstellung der Flexibilitätspotentiale erhalten die Anbieter eine angemessene Vergütung.

Das Potential eines solchen Systems ist enorm: Durch die Flexibilisierung der Stromerzeugung und der Stromnachfrage können allein in Deutschland bis zu 9 GW an konventionellen Kraftwerken zeitweilig ersetzt werden. Und das Beste ist: Die 9 GW gibt es ganz ohne zusätzliche Umweltbelastungen, denn das System nutzt ausschließlich bereits bestehende Infrastrukturen und ist dadurch nicht nur effizient, sondern auch umweltfreundlich.

Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten

Eine weitere „Abschaltmöglichkeit“ hat der Verordnungsgeber zu Beginn des Jahres ins Leben gerufen – die Verordnung über Vereinbarungen zu abschaltbaren Lasten (AbLastV). Gemeinsam mit § 13 Abs. 4a und 4b EnWG soll diese Verordnung Anreize schaffen, die vorhandenen Abschaltkapazitäten zum Zwecke der Netzstabilität zur Verfügung zu stellen.

Hierfür wurde – ähnlich dem Regelenergiemarkt – ein Ausschreibungsverfahren vorgesehen. Teilnehmen kann daran jeder Anbieter von abschaltbaren Lasten, der erfolgreich ein Präqualifikationsverfahren bei dem Übertragungsnetzbetreiber durchgeführt und mit diesem eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen hat. Daneben müssen selbstverständlich einige technische Anforderungen erfüllt werden, welche die neue Verordnung in den §§ 5 bis 7 detailliert festlegt.

Dass die Bereithaltung der Abschaltkapazitäten ein wirtschaftlicher Wert ist, wurde schon längst erkannt. Gestritten wurde in den vergangenen Jahren nur über die Höhe der Vergütung. Doch auch diese steht nun fest: Wer sich zur Abschaltung bereithält, soll einen monatlichen Leistungspreis von 2.500 Euro pro Megawatt erhalten. Dies sogar dann, wenn er tatsächlich gar nicht in Anspruch genommen wird. Daneben gibt es einen Arbeitspreis in Höhe von 100 bis 400 Euro pro Megawattstunde.

Demand-Response und die AbLastV: Zwei interessante Instrumente im bunten Strauß vorhandener Flexibilitäten, die dafür sorgen können, dass sich Energiewende und Netzstabilität nicht länger unversöhnlich gegenüber stehen. Falls der Artikel Ihr Interesse geweckt hat oder das Thema Netzstabilität Sie generell interessiert, möchten wir Sie auf unseren Parlamentarischen Abend zum Thema „Stabilität durch Flexibilität – Was braucht das Energiesystem übermorgen?“ am 16.5.2013 hinweisen.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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