Wie innovativ ist die Energiewirtschaft in der Schweiz?

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„Autonomer Nachvollzug“: Dieses schöne Wort wird den rund 160 Teilnehmern des  Innovationsforums Schweiz am 15. und 16.3. in Zürich im Gedächtnis bleiben. Marc Steiner, Richter am Bundesverwaltungsgericht der Schweiz, verwendete diesen Begriff in seinem Vortrag und meinte damit die gesichtswahrende Manier der Schweiz, Regelungen und Gesetze der EU zu übernehmen, ohne diese explizit anzuerkennen bzw. abzuschreiben.

Was die Energiewirtschaft betrifft, so könnte man die aktuelle Situation in der Schweiz wohl auch als „aggressives Abwarten“ beschreiben. Die regulatorischen Randbedingungen in unserem Nachbarland beschränken sich nach wie vor auf ein Mindestmaß: Es gibt kaum mehr als eine Art Kostenanerkennung bei der Berechnung der Netzentgelte, welche die Schweizer Regulierungsbehörde ElCom durchführt. Die Liberalisierung und der in der EU vorgeschriebene Wettbewerb sind der Schweizer Energiewirtschaft nach wie vor weitgehend fremd. Nur Kunden mit einem Verbrauch von mehr als 100.000 kWh können den Lieferanten frei wählen.

Das dürfte auch Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft bei Lichtblick, noch zu denken geben. Lücking stellte die verschiedenen in Deutschland praktizierten Geschäftsmodelle der Zukunft vor, wie z.B. Mieterstrommodell, Schwarmmobilität oder Strombelieferung der Kunden untereinander. Diese in der Schweiz umzusetzen, wird wohl auf Schwierigkeiten stoßen. „Die Schweizer lieben ihre Staatsunternehmen“, sagte Aeneas Wanner, Direktor der Energie Zukunft Schweiz. „Komplettes Unbundling schafft mehr Probleme als es löst.“ Die Schweizer hätten sich bislang noch in jedem Volksentscheid gegen energiewirtschaftlichen Wettbewerb entschieden, wahrscheinlich weil sie in Europa Qualitäts- statt Preiswettbewerb – oder in den Worten von Marc Steiner nicht dem „neuliberalen Groove der späten 90er Jahre“ – folgen wollen.

Nichtsdestotrotz werden bei unseren Nachbarn Smart Meter bei 80 Prozent der Verbraucher und somit eher flächendeckend ausgerollt, u.a. um digitalen Geschäftsmodellen den Weg zu ebnen. Die technischen Weiterentwicklungen, z.B. bei der Eidgenössischen Material-Prüf-Anstalt (EMPA), rund um die Sektorkopplung und Smart-City-Aktivitäten sind auch im internationalen Maßstab mehr als innovativ. Prototypische Quartierlösungen mit vollständiger, ganzjähriger autonomer Strom- und Wärmeversorgung werden hier nicht nur projektiert, sondern schon bewohnt, inklusive Wellnessbereich und Sauna.

Auch im Dienstleistungsbereich wie der Immobilienwirtschaft werden händeringend Anbieter von vollständigen Meter2Cash-Prozessen, d.h. inklusive der Neben- und Heizkostenabrechnung, gesucht, wie Christian Erb, Leiter Energie und Gebäudetechnik der Halter AG, betonte.

Zusammenfassend kann man sagen, dass in der Schweiz in den nicht regulierten Bereichen der Energiewirtschaft die Digitalisierung auf dem Vormarsch ist, ohne die Kosten einer überregulierten Energiewirtschaft den Bürgern aufzubürden. Man darf bei allem Wettbewerbsgedanken nämlich nicht aus den Augen verlieren, dass der Strom die Haushaltskunden nur gut die Hälfte dessen kostet, was deutsche Haushalte zahlen müssen. Insofern kann die dortige eher konservative Grundhaltung verbunden mit digitalen Innovationen zu einem guten Ergebnis führen. Warten wir es ab!

Ansprechpartner: Dr. Andreas Lied/Jan-Hendrik vom Wege

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