In Zukunft höhere Geldbußen vom Kartellamt für große Unternehmen?

(c) BBH
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Unternehmen, die sich an Kartellen beteiligen, müssen künftig mit höheren Bußgeldern rechnen. Das prophezeite der Präsident des Bundeskartellamts (BKartA) Andreas Mundt kürzlich in einer Pressemitteilung. Anlass für diese Prophezeiung ist der jüngst ergangene Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26.2.2013 zum so genannten Grauzementkartell.

Die daran beteiligten Unternehmen wurden zu einer Rekordgeldbuße in dreistelliger Millionenhöhe verurteilt. Die Höhe der Bußgelder bestätigte der BGH nun im Grundsatz. Bedeutsam ist die Entscheidung – so bitter sie für die Betroffenen auch sein mag – aber weniger wegen der konkreten wirtschaftlichen Dimensionen der verhängten Bußgelder. Im Fokus stand das Verfahren vielmehr deswegen, weil es um nicht weniger als die Verfassungsmäßigkeit des im Jahre 2005 neu eingeführten § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB als Ermächtigungsgrundlage für die Bußgeldbemessung insgesamt ging.

Zehn Prozent als Kappungsgrenze

§ 81 Abs. 4 Satz 2 GWB besagt, dass bei Kartellverstößen im Einzelfall eine Geldbuße von mehr als 1 Mio. Euro (das ist die Regelhöchstbetrag) verhängt werden kann. Dabei darf die Geldbuße jedoch 10 Prozent des im Geschäftsjahr vor der Behördenentscheidung erzielten Gesamtumsatzes des Betroffenen nicht übersteigen. Das Bußgeld wird also – angelehnt an das Europäische Recht – prinzipiell ausgehend vom Umsatz eines Unternehmens berechnet. Dabei ist der Begriff des „Unternehmens“ weit auszulegen. Gemeint ist der Umsatz der gesamten Unternehmensgruppe und nicht nur der vollständig untergliederten juristischen Person (z. B. hundertprozentige Tochtergesellschaft).

Um die Bußgeldbemessung zu konkretisieren, hat das Bundeskartellamt im Jahr 2006 Leitlinien bekannt gemacht, in denen die einzelnen Schritte und die maßgeblichen Faktoren der Bußgeldberechnung niedergelegt sind. Seither hat sich die deutsche Kartellpraxis auch stets an diesen Grundsätzen orientiert und methodisch bei der Bußgeldfestsetzung eine dreistufige Berechnung vorgenommen:

  • Im ersten Schritt wurde zunächst ein Grundbetrag ermittelt, bei dem die Schwere und Dauer des Verstoßes berücksichtigt wurde. Dieser Grundbetrag durfte 30 Prozent des tatbezogenen Umsatzes während der Dauer der Zuwiderhandlung nicht überschreiten.
  • Im zweiten Schritt wurde dieser Betrag nach bestimmten Faktoren angepasst wie z. B. Abschreckung oder aber erschwerende (z. B. Wiederholungstaten) oder mildernde Umstände (z. B. freiwilliger Ausgleich gegenüber Geschädigten).
  • Im dritten und letzten Schritt schließlich wurde der in den ersten beiden Schritten ermittelte Bußgeldbetrag auf die in § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB festgesetzte 10-Prozent-Grenze gekappt.

Genau wegen dieser Praxis der Bußgeldbemessung, bei der die 10-Prozent-Grenze als bloße Kappungsgrenze verstanden wurde, ist § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten verfassungsrechtlich in Frage gestellt worden. Der Vorwurf lautete in erster Linie, dass die Regelung nicht bestimmt genug sei.

Zehn Prozent als Obergrenze

Verfassungswidrig ist die Vorschrift nicht, so der BGH, aber verfassungskonform auszulegen. Der Bestimmtheitsgrundsatz und das Rückwirkungsverbot seien dann gewahrt, wenn die Regelung so ausgelegt werde, dass die dort festgeschriebene 10-Prozent-Grenze eine Obergrenze – und nicht wie bisher verstanden eine Kappungsgrenze – der Bußgeldbemessung darstellt.

Maßgeblich für diese Einschätzung des BGH war die Überlegung, dass Richter im gerichtlichen Bußgeldverfahren (ebenso wie im Strafverfahren) die Möglichkeit haben müssen, die konkrete Sanktion innerhalb des vom Gesetz vorgegebenen Rahmens zu finden und dabei etwaige schärfende oder mildernde Faktoren angemessen zu berücksichtigen. Um dem Richter unter dieser Maßgabe zu ermöglichen, Ordnungswidrigkeiten sachgerecht und eigenständig zu ahnden, bedarf es neben einer Untergrenze einer festen, wenngleich im Einzelfall auch erst über den Umsatz zu bestimmenden Obergrenze, die § 81 Abs. 4 Satz 2 GWB bei der gebotenen verfassungsgemäßen Auslegung auch zu entnehmen ist.

Wie sich das BGH-Urteil konkret auf die künftige Bemessung von Bußgeldern auswirken wird, lässt sich derzeit nur schwer einschätzen. Klar ist allerdings, dass die Leitlinien des Bundeskartellamts und die Bußgeldpraxis geändert werden müssen, um Kartellverstöße künftig rechtssicher zu sanktionieren. Ob dies dann auch mit tendenziell höheren Bußgeldern einhergeht, wie der Präsident des Bundeskartellamts es formulierte, wird sich erst zeigen. Dafür spricht jedenfalls, dass der BGH der Kartellpraxis mit der Entscheidung den Weg frei gemacht hat, die Bußgelder künftig auf Basis einer typisierenden Betrachtung zu verhängen und den Bußgeldrahmen bei schwerwiegenden, lang anhaltenden Kartellverstößen bis zur Höhe der Obergrenze vollständig auszuschöpfen. Die – in der Praxis ohnehin kaum mögliche – genaue Ermittlung des tatbezogenen Umsatzes aus dem Kartellverstoß wird damit weitestgehend entbehrlich.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann

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