Regulierung der Energienetze: 5 Fragen an den neuen Präsidenten der Bundesnetzagentur Klaus Müller

Konsequenzen aus dem EuGH-Urteil (Rs. C-718/18) zum deutschen Regulierungssystem, Zukunft der Gasnetze als Wasserstoffnetze, EK-Verzinsung etc. Klaus Müller hat das Amt als Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA) zu einer Zeit grundlegender Richtungsdebatten und inmitten einer weltpolitischen Krise angetreten. Wir haben im Vorfeld unserer Regulierungskonferenz am 17.5.2022 die Gelegenheit genutzt, mit dem neuen BNetzA-Präsidenten Klaus Müller ein Kurz-Interview zu führen.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Müller, mit einer möglicherweise drohenden Gasmangellage und der Übertragung der Treuhänderschaft für Gazprom Germania auf die BNetzA sind Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit gleich mit zwei noch die dagewesenen Situationen konfrontiert. Hätten Sie sich Ihren Amtsantritt so vorgestellt?

Müller: Der Krieg in der Ukraine hatte schon begonnen, als ich mein Amt am 1.3.2022 antrat. Natürlich hat er alle Vorzeichen für meine Arbeit verändert. Die fröhliche Videobotschaft an die Beschäftigten passte nicht mehr; wir haben ein neues Video aufgenommen. Meine und die Konzentration vieler Kolleginnen und Kolleginnen galt nun der Versorgungssicherheit. Das Tempo war vom ersten Tag an sehr hoch; ständig gab es Abstimmungen, neue Informationen, mögliche Szenarien und wieder Absprachen. Als das Wirtschaftsministerium die Frühwarnstufe ausrief, wurde es konkreter für uns. Seitdem veröffentlichen wir jeden Tag einen Lagebericht zur Gasversorgung. Uns erreichen viele Fragen über alle möglichen Kanäle, die zum Beispiel unsere Rolle als Bundeslastverteiler betreffen. Die Bevölkerung und die Industrie wollen wissen, ob eine Gaskrise droht. In einer Situation wie dieser ist eine verständliche und transparente Kommunikation sehr wichtig.

Was Gazprom Germania betrifft: Das Wichtigste ist, das Unternehmen weiter zu stabilisieren und damit einer Gefährdung der deutschen Gasversorgung vorzubeugen. Deshalb haben wir Egbert Laege als Generalbevollmächtigten eingesetzt. Er ist der ehemalige Vorstand der Energiebörse und bringt viel Expertise mit. Unsere Rolle als Treuhänderin bringt eine Verantwortung mit sich, die wir sehr ernst nehmen. Sie haben recht: Mit einer solchen Aufgabe habe ich nicht gerechnet, als ich zum Präsidenten der Bundesnetzagentur ernannt wurde. Ich nehme sie als Herausforderung. Und zum Glück kann ich mich auf ein sehr erfahrenes und kompetentes Team verlassen. Es sind unglaublich bewegte Zeiten, an die wir uns noch lange erinnern werden.

BBH-Blog: Wie schätzen Sie die Versorgungslage aktuell ein?

Müller: Die Gasversorgung ist seit Beginn des Angriffskriegs stabil. Wir können jeden Tag vermelden, dass die Gasnetzbetreiber keine besonderen Vorkommnisse melden. Es sind keine Beeinträchtigungen der Gaslieferungen aus Russland zu verzeichnen. Die aktuellen Füllstände der Speicher sind vergleichbar mit den Jahren 2021 und 2017 und mittlerweile deutlich höher als im Winter 2018 und 2021. Dennoch spielen wir Szenarien durch, in denen sich diese Lage ändert. Die erste Eskalationsstufe des Notfallplans hatte bisher kaum Auswirkungen für die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Für uns bedeutet die Frühwarnstufe, dass wir ein Krisenteam bilden konnten, in dem Vertreter des Wirtschaftsministeriums, der BNetzA, der Netzbetreiber, Speicherbetreiber und Lieferanten sowie Marktgebietsverantwortliche regelmäßig die aktuelle Lage auf dem Gas-Markt analysieren und bewerten. Für alle Verbraucher – sowohl Privathaushalte als auch Wirtschaftsunternehmen – gilt aber: Der Gasverbrauch sollte so kräftig wie möglich reduziert und diese Mengen eingespeichert werden.

BBH-Blog: Im September letzten Jahres hat ja der EuGH einer Klage der EU-Kommission stattgegeben und geurteilt: Deutschland habe Teile des 3. EU-Energiebinnenmarktpaketes u.a. aufgrund einer mangelnden Unabhängigkeit der BNetzA nicht ordnungsgemäß umgesetzt. Damit sind die Grundfeste unserer Energieregulierung europarechtswidrig. Bisher bleibt die BNetzA bei ihrer Verwaltungspraxis. Wie nehmen Sie das Urteil wahr und welche nächsten Schritte planen Sie hier?

Müller: Die Folgen sind erheblich, aber nicht so dramatisch wie manch einer glauben machen will. Das Urteil bezieht sich auf Kernbereiche der Regulierung. Alles, was wir beim Netzausbau machen, bei Erneuerbaren Energien, bei der Versorgungssicherheit, bei der Netzentwicklungspla­nung – ist von dem Urteil nicht betroffen. Wir reden in erster Linie über Kostenregulierung und über Netzzugangsre­gulierung. Das ist ein zentraler, aber eben auch begrenzter Bereich. Die Politik soll sich laut dem EuGH bei konkreten Entscheidungen zurückhalten. Hier gibt es aber natürlich in Zukunft Einflussmög­lichkeiten über die die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die parlamentarische Kontrolle sowie die Besetzung des Leitungsperso­nals. Dies hat der EuGH noch einmal ausdrücklich klargestellt. Und dann gibt es natürlich die gerichtliche Kontrolle. Dafür braucht es Maßstäbe, an denen die Gerichte unser Handeln messen können. Die können aus dem europäischen Recht kommen oder aus allgemeinen Leitlinien. Es wird auf einen Instrumentenmix hinauslaufen, der zu sachge­rechten Ergebnissen führt. Wir müssen jetzt die Regeln entwickeln, die uns bisher durch das Gesetz vorgegeben waren. Das ist eine neue Aufgabe. Es wird ein Prozess sein, in dem wir alle Marktbeteiligten konsultieren.

BBH-Blog: Mit diesen Fragen verknüpft ist auch die Thematik der Netzentgelte bzw. der Höhe des Eigenkapitalzinssatzes (EK-Zins). Über die sachgerechte Höhe des EK-Zinses gibt es ja verschiedene Einschätzungen von BNetzA und Branche. Die BNetzA hat den Zinssatz zuletzt immer weiter gesenkt – trotz der enormen Herausforderungen durch den Umbau unseres Energiesystems. Knapp 1.000 Beschwerden gegen die Festlegung des EK-Zinses für die 4. Regulierungsperiode liegen aktuell zur Entscheidung beim OLG Düsseldorf. Wachsende Aufgaben der Netzbetreiber und sinkendes Budget – passt das zusammen?

Müller: Die BNetzA hat den EK-Zins zuletzt im Oktober 2021 festgelegt. Die gesunkenen Zinssätze spiegelten das geringere Zinsniveau an den Kapitalmärkten wider. Investitionen in die Netze bleiben aber dauerhaft attraktiv. Im Vorfeld gab es ein Konsultationsverfahren. Hinweise daraus wurden berücksichtigt. Gleichzeitig gilt aber: Die Renditen der Netzbetreiber werden von den Netznutzern bezahlt, also Verbrauchern, Industrie und Gewerbe. Diese dürfen nicht unnötig belastet werden.

BBH-Blog: Gasnetzbetreiber stehen aktuell zwischen den Stühlen. Auf der einen Seite müssen sie weiter in ihre Infrastrukturen investieren, auf der anderen Seite haben sie mit dem Jahr 2045 einen klaren Endpunkt in Sicht. Dabei sind viele Gasnetzbetreiber bereit, ihre Netze zu Wasserstoffnetzen umzubauen. Aktuell ist eine gemeinsame Regulierung von Erdgas- und Wasserstoffnetzen nicht vorgesehen. Wäre eine Umwidmung der Netze nicht volkswirtschaftlich sinnvoller als eine Abwicklung?

Müller: Das Ziel ist, den Ausbau der Wasserstoffnetze so schnell wie möglich voranzutreiben. Er ist ein wichtiger Teil der Energiewende. Mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) übernimmt die BNetzA neue Aufgaben im Bereich der Regulierung von Wasserstoffinfrastrukturen. Es schafft die notwendigen Rahmenbedingungen für einen zügigen Markthochlauf für Wasserstoff. Die Betreiber von Wasserstoffnetzen haben nun die Möglichkeit, sich durch Abgabe einer „Opt-In-Erklärung“ regulieren zu lassen. Betreiber von Wasserstoffspeicheranlagen können ebenfalls erklären, dass der Zugang zu ihren Anlagen entsprechend den Regelungen des EnWG erfolgen soll. Ein jährlicher Plan-Ist-Kostenabgleich durch die BNetzA stellt eine stabile und zukunftssichere Finanzierung der regulierten Wasserstoffinfrastruktur sicher.

Die Bedingungen und Methoden zur Ermittlung der Kosten und Entgelte wurden in einer Verordnung durch die Bundesregierung geregelt.

Die Neuregelung sieht eine Ad-hoc-Bedarfsprüfung der einzelnen Infrastrukturvorhaben durch die BNetzA vor, die eine rasche, transparente und verbindliche Bestätigung der geplanten Projekte ermöglicht. Dies trägt der erwarteten Dynamik des Infrastrukturaufbaus und des Wasserstoff-Markthochlaufs Rechnung. Aus unserer Sicht schafft diese Regelung die besten Voraussetzungen für eine stabile Zukunft der Energieversorgung, die auch im Sinne des Klimaschutzes ist.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Müller, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Rahmen unserer Regulierungskonferenz am 17.5.2022.

 

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