Vorlage an den Europäischen Gerichtshof: Droht das Ende der Personalgestellung für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes?

Am 16.6 2021 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwei Fragen zur Vereinbarkeit des Privilegs der Personalgestellung für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes – potentiell also auch kommunale Energieversorger – nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie vorgelegt (Az. 6 AZR 390/20). Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sollten die weitere Entwicklung aufmerksam beobachten, denn es drohen weitreichende Konsequenzen.

Die Vorlage

Das BAG möchte vom EuGH zwei Fragen zur Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und 2 der EU-Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) klären lassen: ob Personalgestellungen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen und, sofern diese Frage zu bejahen ist, ob eine nationale Bereichsausnahme, wie sie derzeit § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG als Privilegierung für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes gegenüber sonstiger Leiharbeit für die Personalgestellung vorsieht, mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist.

Was ist Personalgestellung und wer ist davon betroffen?

Bei der Personalgestellung verlagert der Arbeitgeber Aufgaben auf einen Dritten (regelmäßig durch Betriebsübergang nach § 613a BGB) und verlangt von seinen Arbeitnehmern aufgrund eines Tarifvertrages des öffentlichen Dienstes, die Arbeitsleistung bei diesem Dritten zu erbringen. Das bestehende Arbeitsverhältnis wird dabei fortgesetzt. Diese besondere Form der Überlassung findet vor allem zwischen kommunalen Arbeitgebern und deren Tochter- oder Beteiligungsunternehmen statt. Die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst  sehen diese Möglichkeit ausdrücklich vor, zum Beispiel in § 4 Abs. 3 Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst oder § 3 Abs. 4 Tarifvertrag Versorgungsbetriebe.

Bisher kann die Personalgestellung auf die Bereichsausnahme für Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes  in § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG gestützt werden. Die strengen Voraussetzungen für Leiharbeit  nach dem AÜG, wie zum Beispiel eine notwendige Überlassungserlaubnis und vor allem eine Höchstüberlassungsdauer, sollen danach keine Anwendung finden.

Der Ausgangsfall

In dem vom BAG vorgelegten Fall gliederte die beklagte Krankenhausgesellschaft, deren einzige Gesellschafterin eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, verschiedene Aufgabenbereiche auf eine neu gegründete Gesellschaft aus. Die Ausgliederung führte zu einem Betriebsteilübergang, mit dem der Übergang des Arbeitsverhältnisses des Klägers eingetreten wäre. Dem widersprach er nach § 613a Abs. 6 BGB. Die Beklagte verpflichtete ihn daraufhin, seine Arbeitsleistung (dauerhaft) im Wege der Personalgestellung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVöD bei der neu gegründeten Gesellschaft zu erbringen, obwohl das zwischen dem Arbeitnehmer und der Beklagten vereinbarte Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Inhalt fortbesteht. Der neuen Gesellschaft wurde nur das fachliche und organisatorische Weisungsrecht übertragen. Eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des AÜG besitzt die Beklagte nicht.

Der klagende Arbeitnehmer macht geltend, dass sein (dauerhafter) Einsatz bei einem anderen Arbeitgeber gegen Unionsrecht verstoße. Bei der dauerhaften Personalgestellung im Sinne des § 4 Abs. 3 TVöD handele es sich um eine rechtswidrige Arbeitnehmerüberlassung, da die nationale Bereichsausnahme in § 1 Abs. 3 Nr. 2 lit. b AÜG nicht mit der EU-Leiharbeitsrichtlinie vereinbar sei. Die Vorinstanzen haben die Klage noch abgewiesen. Das BAG hat den EuGH um Vorabentscheidung ersucht.

Auswirkungen auf die Praxis

Vor allem kommunale Arbeitgeber sind bei Umstrukturierungen mit Verlagerung von Aufgaben auf andere Unternehmen häufig auf das Instrument der Personalgestellung angewiesen. Erklärt der EuGH die hierfür in Deutschland geltende Privilegierung für europarechtswidrig, hätte das für die Praxis insbesondere folgende weitreichende Konsequenzen:

  • Die bisher ohne Überlassungserlaubnis mögliche Gestellung wäre als illegale Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 AÜG zu qualifizieren. Als Ordnungswidrigkeit könnte sie mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro geahndet werden.
  • Wird die Personalgestellung unwirksam, würde zwischen dem Einsatzunternehmen und dem Arbeitnehmer ein direktes Arbeitsverhältnis fingiert (§ 10 Abs. 1 AÜG). Sollte der Arbeitnehmer nicht schriftlich innerhalb eines Monats erklären, an dem Vertrag mit dem bisherigen Arbeitgeber festhalten zu wollen, würde er beim bisherigen Arbeitgeber ausscheiden.
  • Der so eintretende Personalübergang könnte Ausgleichsansprüche der Versorgungsanstalt bzw. der Zusatzversorgungskassen gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber auslösen. Immense Ausgleichsforderungen dieser Kassen könnten die Folge sein.

Sollte der EuGH das Privileg der Personalgestellung für europarechtswidrig erklären, müssen zahlreiche Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes ihre Personalgestellungsmodelle schnell einstellen, da sonst erhebliche Konsequenzen drohen. Sie sind daher gut beraten, die weitere Entwicklung aufmerksam zu beobachten, um – falls nötig – unverzüglich reagieren zu können.

Ansprechpartner*innen: Dr. Jost Eder/Sandra Schug

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