Einspruch auf Ansage: Die Grundsteuerreform und ihre ersten Grundsteuerwertbescheide

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Die Reform der Grundsteuer sollte verfassungsfest, einfach und sozial gerecht ausgestaltet sein, so der Monatsbericht vom 19. Juli 2019 des Bundesministeriums der Finanzen. Im Jahr 2022 sind durch die praktische Erstellung der Grundsteuerwerterklärungen zur Hauptfeststellung 1. Januar 2022 verfassungsrechtliche Zweifel aufgekommen, ob dies gelungen ist.

Musterklagen in Baden-Württemberg

Eine Verbändeallianz von Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg e.V., Haus und Grund Württemberg, Haus und Grund Baden sowie Wohneigentum Baden-Württemberg hat zusammen mit den Eigentümern gegen die Grundsteuer B in Baden-Württemberg zwei Musterklagen beim FG Baden-Württemberg eingereicht. Das Gericht soll klären, ob das Landesgrundsteuergesetz Baden-Württembergs verfassungsgemäß ist.

In einem mehrstufigen Feststellungsverfahren ermitteln die Lagefinanzämter zunächst auf Basis des jeweilig gültigen (Landes-)Grundsteuergesetzes und den erklärten Daten des Steuerpflichtigen den Grundsteuerwert und erlassen den dazugehörigen Bescheid über den Grundsteuerwert sowie den Grundsteuermessbetrag zum Hauptfeststellungszeitpunkt 1. Januar 2022. Im letzten Schritt wenden die Gemeinden den eigenen Hebesatz auf den Grundsteuermessbetrag an, womit die zu zahlende Grundsteuer ab dem Jahr 2025 festgesetzt wird. Die Steuerlast steht somit folgerichtig erst dann fest, wenn die Gemeinden den eigenen, geltenden Hebesatz für die Grundsteuer ab dem Jahr 2025 veröffentlicht haben. Zuvor ist die Höhe der Grundsteuer ungewiss und könnte, so die Musterklagen, gegen das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes verstoßen. Dahinter steht der Leitgedanke, dass die Ausübung aller staatlichen Gewalt umfassend an das Recht gebunden werden soll.

Im Sinne der Rechtssicherheit soll sich der Steuerpflichtige auf das bestehende Gesetz verlassen können, sodass er insgesamt für sich eine voraussehbare Abgabenlast ableiten kann. Die Verbände äußern Bedenken, dass ohne die bekanntgegebenen Hebesätze durch die Gemeinden keine finale Abgabenlast ermittelt werden kann. Im Umkehrschluss wären die Grundsteuerwertbescheide nach der einmonatigen Rechtsbehelfsfrist bestandskräftig ergangen und der Grundsteuerwert festgeschrieben. Eine Abänderung der Berechnungsgrundlage der eigentlichen Grundsteuer(-beträge) wäre demnach bei der Bekanntgabe der Grundsteuer-Hebesätze nicht mehr innerhalb der Einspruchsfrist möglich.

Sprunganfechtungsklage vom 7. Dezember 2022

Die Sprunganfechtungsklage (FG Baden-Württemberg Az. 8 K 2368/22) zieht also die Verfassungsmäßigkeit der Landesgrundsteuer Baden-Württembergs in Zweifel, indem es sowohl die genannte Steuerlastermittlung als auch im Speziellen die alleinige Anknüpfung der Wertermittlung durch pauschale Bodenrichtwerte und die mangelnde Gebäudebewertung in Frage stellt. Anhand eines Gutachtens von Prof. Dr. Gregor Kirchhof werden folgende Gründe für die Verfassungswidrigkeit aufgeführt:

  • Bewertung alleinig anhand des Grund- und Bodenanteils
    (Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz)
  • Keine Einbeziehung der Bebauung in die Bewertung
    (Verstoß gegen Leistungsfähigkeitsprinzip)
  • Unverhältnismäßige Besteuerung großer Grundstücke
    (Verstoß gegen Leistungsfähigkeitsprinzip)
  • Fehlende Lenkungsfunktion hin zu einer effizienten Wohnbebauung
    (Verstoß gegen Verhältnismäßigkeit)
  • Widerspruch zu den Schutzzielen des BauGB ökologische Flächen zu schützen
    (Verstoß gegen Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung)

Zudem mangele es laut Sprungklage an Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die Bodenrichtwerte, da gegen diese keine Rechtsbehelfs- bzw. Einspruchsoptionen bestehen. Ergänzend hierzu ist ein gesondertes Verfahren beim FG Baden-Württemberg (Az. 8 K 2491/22) anhängig.

Sprunganfechtungsklage vom 22. Dezember 2022

Das Verfahren vom 22. Dezember 2022 beim FG Baden-Württemberg (Az. 8 K 2491/22) hat aufbauend auf dem vorherigen Verfahren spezielle Fragen zu den Bodenrichtwerten zu klären. Alle Bodenrichtwerte sind durch die zuständigen Gutachter vor Ort zu ermitteln gewesen, deren Verfahren jedoch nicht transparent ausgestaltet sind. Eigentümer*innen seien auf die Beurteilung des für sie zuständigen Gutachterausschusses angewiesen und müssen auf deren Qualität vertrauen. Insbesondere Eigentümer*innen von übergroßen Grundstücken sehen sich mit der Problematik konfrontiert, so die Musterklage, einer Bodenrichtwertzone anzugehören, die den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht, worauf schon die Gutachterausschüsse in den Erläuterungen selbst hinweisen.

Des Weiteren wird die 30-Prozent-Grenze des § 38 Abs. 4 LGrStG als unverhältnismäßig kritisiert und die Frage aufgeworfen, ob diese verfassungsrechtlich zulässig ist. Nach der aktuellen Regelung sei demnach die Möglichkeit, durch ein qualifiziertes Gutachten einen niedrigeren Wert des Grundstücks zu beantragen, gering.

Handlungsempfehlung der Verbände

Solange die Musterklagen beim FG Baden-Württemberg anhängig sind, empfehlen die Verbände allen betroffenen Eigentümer*innen, Einsprüche gegen die Grundsteuerwertbescheide zur Hauptfeststellung 1. Januar 2022 einzulegen. Ziel ist, sowohl die Grundsteuerwertbescheide, die als Grundlage für den Grundsteuermessbetrag gilt, als auch den eigentlichen Grundsteuerbetrag, offen zu halten für eine zukünftige Korrektur. Der Steuerberaterverband Thüringen schließt sich der Empfehlung an und rechnet mit weiteren Musterklagen in anderen Bundesländern (Stand Pressemitteilung: 17.1.2023).

Ein Einspruchsverfahren mit Verweis auf die obigen Verfahren ist für alle betroffenen Eigentümer*innen eröffnet. Das Ruhen des Verfahrens sollte in diesem Zuge immer mit beantragt werden, sodass nach Entscheidung des Finanzgerichts oder gar des Bundesverfassungsgerichts eine Änderung erfolgen kann.

Ansprechpartner*innen: Rudolf Böck/Manfred Ettinger

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