Strommarkt: Es kann nur einen geben – oder doch nicht?

Es kann nur einen geben. Das Motto des Kultfilms „Highlander“ scheint wie zugeschnitten auf das Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen: Neben einem Marktbeherrscher ist kein Platz für einen anderen .

Auch eine Marktbeherrschung durch mehrere Unternehmen ist denkbar, als Oligopol: So etwa in der Energiewirtschaft, wo laut Bundesgerichtshof (BGH) E.ON und RWE gemeinsam als Oligopolisten den Erstabsatzmarkt für Strom beherrschen. Da es aber nach dem „Highlander“-Prinzip neben diesem Oligopol keinen zweiten Marktbeherrscher geben kann, sind damit – so scheint es – die anderen großen Energieversorger EnBW und Vattenfall kartellrechtlich insoweit aus dem Schneider.

Doch jetzt hat das Bundeskartellamt (BKartA) das Drehbuch geändert. In seiner Mitte Januar 2011 veröffentlichten Sektorenuntersuchung erwägt es, wegen der „Besonderheiten des Erstabsatzmarktes für Strom“ nunmehr auch EnBW und Vattenfall zum Kreis der Marktbeherrscher zu zählen. Ein unvermeidliches englisches Schlagwort existiert bereits dafür: Multiple Single Market Dominance – zu deutsch: mehrfache Einzelmarktbeherrschung.

Die Konsequenzen für den Erstabsatzmarkt von Strom sind drastisch:

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Gegenseitige Pattsituation

Die vier großen Erzeugerunternehmen (E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall) verfügen jeweils über Marktanteile unter 40 % bei der Stromerzeugung. Dieses Quorum spricht nach der europäischen Praxis nicht zwingend für eine Marktbeherrschung.

Allerdings ist die Stromerzeugung etwas Besonderes: Strom lässt sich nicht speichern, muss aber trotzdem verfügbar sein. Die Nachfrage ist unelastisch und der Abnehmer kann nicht einfach auf Strom verzichten, nur weil er (wieder einmal) teurer geworden ist. Auch die Erzeuger sind in keiner flexiblen Situation. Sie können kurzfristig keine Kapazitäten aus dem Boden stampfen, wenn der Strombedarf erheblich steigt. Mithin ist jeder Erzeuger auf den anderen angewiesen, damit die Nachfrage insgesamt befriedigt werden kann. Jeder Anbieter ist für den Anderen und damit für das gesamte Angebot „pivotal“, mithin unverzichtbar.

Damit sind wir beim Oligopol: Wenn ein Anbieter auf den anderen angewiesen ist, kann der eine nicht ohne den anderen. Hier kommt wieder die Ökonomik ins Spiel. Wenn ein Anbieter in seinem Marktauftritt das Verhalten des anderen Anbieters einkalkulieren muss, reagieren beide Anbieter auf das Marktverhalten des anderen. Dies ist eine Reaktionsverbundenheit, mit der man das Oligopol beschreibt. Das wiederum lässt aufhorchen – nicht nur den Ökonomen, sondern auch den Kartelljuristen.

Oligopol und mehrfache Einzelmarktbeherrschung

Wer als Kartelljurist in der Situation war, ein Oligopol nachweisen zu müssen, weiß, dass es Erfreulicheres gibt. Ein Oligopol setzt nach der herrschenden Meinung voraus, dass zwischen den Oligopolisten kein Wettbewerb besteht („fehlender Binnenwettbewerb“) und dass die Oligopolisten gegenüber ihren Wettbewerbern dominieren („fehlender Außenwettbewerb“).

Typischerweise bereitet es Schwierigkeiten, den fehlenden Binnenwettbewerb nachzuweisen. In den Zeiten, in denen die private Kartellrechtsdurchsetzung an Bedeutung gewinnt, setzt die Beweislast schnell die Grenzen. Im Zivilprozess hat man den fehlenden Binnenwettbewerb darzutun und zu beweisen. Das ist nur schwer oder gar nicht möglich – eine probatio diabolica.

Den Ausweg weist die sog. mehrfache Einzelmarktbeherrschung. Denn die lässt sich viel leichter beweisen. Hierfür reicht der Nachweis, dass mehrere Anbieter unverzichtbar sind, um eine bestimmte Nachfrage zu befriedigen. Epische Ausführungen über Binnenwettbewerb oder gar spieltheoretische Spekulationen kann man sich sparen.

Wie sich beides – Einzelmarktbeherrschung und Oligopol – nun genau zueinander verhält, ist bis auf weiteres eine offene Frage: Gibt es neben einem Oligopol auch eine Einzelmarktbeherrschung? Wird der Oligopoltatbestand teilweise obsolet und durch die Rechtsfigur einer mehrfachen Einzelmarktbeherrschung abgelöst? Dies systematisch aufzuarbeiten, bedarf noch einiger Anstrengung.

Konsequenzen für den Markt

Bislang stand die Marktbeherrschung durch E.ON und RWE fest. Missbrauchsverfahren nach § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) konnten gegen diese Anbieter daher eingeleitet werden. Zugleich war den Fusionsbestrebungen dieser Unternehmen faktisch ein Riegel vorgeschoben. Nach § 36 GWB ist ein Zusammenschluss zu untersagen, wenn durch ihn eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird. Diese Voraussetzungen lagen bei jeder Fusion von E.ON und RWE nahe.

Bislang blieben EnBW und Vattenfall von dieser strengen Kartellkontrolle verschont, da sie nicht als Marktbeherrscher angesehen wurden. Auch das könnte die Abkehr von „Highlander“-Prinzip ändern. Sieht man diese Anbieter als „unverzichtbar“ an, so gehören sie neben E.ON und RWE zum Kreis der Einzelmarktbeherrscher auf dem Erstabsatzmarkt für Strom.

Damit könnte das Land Baden-Württemberg unversehens zum Marktbeherrscher werden, wenn es die EnBW erwirbt. Aber das ist wieder ein anderes Thema.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann

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