BGH-Urteil in Sachen „Fernwärmenetz Stuttgart“: Paradigmenwechsel im Wettbewerb um Fernwärmenetze und -konzessionen
Im Streit zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und der EnBW über das Fernwärmenetz in Stuttgart hat der BGH die Urteilsgründe seiner Entscheidung vom 5.12.2023 (Az. KZR 101/20) veröffentlicht. Das Urteil hat für die Fernwärmeversorgung in Deutschland grundsätzliche Bedeutung: Es vergrößert den Einfluss der Gemeinden auf die Fernwärmeversorgung.
Die Entscheidung
Zwischen der Landeshauptstadt Stuttgart und der EnBW bestand ein Konzessionsvertrag, der am 31.12.2013 ausgelaufen war. Mangels Endschaftsregelung lässt sich dem Vertrag nicht entnehmen, was nach Vertragsende mit dem Eigentum an dem Fernwärmenetz geschehen soll.
Der BGH hat entschieden, dass die Landeshauptstadt Stuttgart weder kraft Gesetzes Eigentümerin des Fernwärmenetzes geworden ist noch von der EnBW die Übereignung des Netzes verlangen kann. Ebenso wenig steht ihr ein Anspruch auf Beseitigung der in ihren Wegegrundstücken verlegten Fernwärmeleitungen zu. Das gelte auch für stillgelegte Leitungen, solange von diesen keine Gefahren ausgehen und die Leitungen nicht stören.
Der BGH hat aber auch entschieden, dass die EnBW, die das Fernwärmeversorgungsnetz in Stuttgart weiter betreiben möchte, keinen Anspruch auf die erneute Einräumung von Wegenutzungsrechten für das Fernwärmenetz hat. Der BGH führt insoweit aus, dass sich ein Anspruch auf Einräumung von (neuen) Nutzungsrechten nur dann ergeben könne, „wenn eine parallele Nutzung der städtischen Wege zum Aufbau von Fernwärmnetzen durch sämtliche Interessenten neben dem bereits bestehenden Fernwärmenetz möglich ist“. Streitentscheidend sei, „ob und inwieweit dem bisherigen und zukünftigen Betreiber des Stuttgarter Fernwärmenetzes eine faktische Ausschließlichkeitsstellung zukommt“ (Rn. 28). Da die darlegungs- und beweisbelastete EnBW dazu nicht ausreichend vorgetragen habe, hat der BGH keine Feststellung über eine faktische Ausschließlichkeitsstellung des bisherigen und zukünftigen Betreibers des Stuttgarter Fernwärmenetzes getroffen. Allerdings weist der BGH darauf hin, dass der Ausbau paralleler Netzinfrastrukturen ökonomisch nicht tragfähig sei und ein bestehendes Fernwärmeversorgungsnetz daher ein natürliches Monopol begründe (Rn. 29).
Richtungsweisende Feststellung
Für die Fernwärmeversorgung in Deutschland ist richtungsweisend, was der BGH darüber hinaus festgestellt hat: Die Landeshauptstadt Stuttgart ist berechtigt, in einem transparenten und diskriminierungsfreien Auswahlverfahren zu entscheiden, welchem Unternehmen sie die Wegenutzungsrechte für den künftigen Betrieb des Fernwärmenetzes einräumt. Ob auch eine kartellrechtliche Verpflichtung zur Durchführung eines Auswahlverfahrens besteht, lässt der BGH allerdings offen. Das wäre der Fall, wenn das Wegenutzungsrecht eine Ausschließlichkeitsstellung begründet, für die jedenfalls bei bestehenden Fernwärmenetzen vieles spricht.
Für den Fall, dass die Landeshauptstadt Stuttgart nicht erneut die EnBW, sondern ein anderes Unternehmen auswählt, lässt sich der Urteilsbegründung entnehmen, dass dieses Unternehmen von der EnBW die Überlassung des Netzes verlangen kann. Ob die EnBW dem neu ausgewählten Unternehmen die Übertragung des Netzeigentums oder nur die Verpachtung des Netzes anbieten muss, lässt sich dem Urteil aber ebenfalls nicht entnehmen.
Kein „ewiges Wegenutzungsrecht“
Das Urteil stärkt die Position der Gemeinden. Enden Konzessionsverträge für Fernwärmenetze, können die Gemeinden in transparenten und diskriminierungsfreien Verfahren entscheiden, wer in Zukunft die Verfügungsbefugnis über die Netze bekommen soll. Das von der EnBW behauptete „ewige Wegenutzungsrecht“ besteht nicht. Etwas anderes würde nur gelten, wenn ein paralleler Leitungsbau zu einem wirksamen Wettbewerb führen könnte. Das ist bei bestehenden Netzen wegen der faktischen Monopolstellung der Netzbetreiber beim Wärmetransport aber wohl ausgeschlossen.
Unerfreulich ist, dass der BGH die Frage unbeantwortet gelassen hat, ob ein von einer Gemeinde neu ausgewählter Netzbetreiber auch einen Anspruch auf Übertragung des Eigentums an dem Fernwärmenetz hat. Das Gericht schafft damit eine Situation, wie sie bis zum Jahr 2011 auch bei den Strom- und Gasverteilnetzen bestand, als § 46 Abs. 2 EnWG a.F. nur zur „Überlassung“ der Netze verpflichtete. Seit 2011 kann ein neu ausgewählter Netzbetreiber nach § 46 Abs. 2 EnWG wählen, ob er Eigentümer oder lediglich Pächter des Strom- oder Gasnetzes werden möchte. Die Begründung des damaligen Gesetzentwurfs bezeichnet diese Änderung als „Klarstellung“. Der Anspruch auf Übereignung stelle sicher, dass die benötigten Wegerechte für die Anlagen und das Eigentum an den Anlagen in einer Hand zusammengeführt werden könnten.
Ansprechpartner*innen: Matthias Albrecht/Astrid Meyer-Hetling/Dennis Tischmacher/Stefan Bitzhöfer