Das Corona-Konjunkturpaket der Bundesregierung – Neue Herausforderungen für die öffentliche Verkehrswirtschaft

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Am 27.5.2020 hatte der parlamentarische Staatssekretär des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) in einer Sitzung des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages noch ein aktives Engagement des Bundes bei der Schaffung eines Rettungspakets für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zurückgewiesen. Es kam dann aber doch anders – jedenfalls dem ersten Anschein nach. Nur wenige Tage später, am 3.6.2020, beschloss der Koalitionsausschuss das bekannte Bündel von Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Folgen (wir berichteten). Wenn man einmal von den branchenübergreifenden Überbrückungshilfen für „kleine und mittelständische“ Unternehmen jeder Erscheinungsform (Ziff. 13) absieht, findet dort auch die öffentliche Verkehrswirtschaft an mehreren Stellen spezifische Berücksichtigung, allerdings nur vorsichtig und differenziert:

  1. Eine echte, bedingungslose Bundesförderung erhielt nur der Schienenpersonennahverkehr (SPNV). In Ziff. 22. des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets“ verspricht der Bund, die Regionalisierungsmittel 2020 einmalig um 2,5 Mrd. Euro zu erhöhen. Regionalisierungsmittel fließen zweckgebunden an die Länder und sollen nach § 6 Abs. 1 RegG „insbesondere“ zur Finanzierung des SPNV verwendet werden.
  2. Unmittelbar unterstützt wird auch die Deutsche Bahn AG. In Ziff. 35. lit. g. des „Zukunftspakets“ erklärt der Bund seine Absicht, das Eigenkapital des Bahn-Konzerns über das Klimaschutzprogramm 2030 hinaus um weitere 5 Mrd. Euro zu erhöhen.
  3. Ziff. 21. des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets“ beschäftigt sich dann mit den ÖPNV-Unternehmen im Allgemeinen. Diesen wird keinerlei direkte Bundesförderung in Aussicht gestellt. Vielmehr sollen die Länder durch eine „Bundesrahmenregelung“ die Möglichkeit bekommen, den durch Einnahmenausfälle geschwächten ÖPNV-Unternehmen Beihilfen zu gewähren. Immerhin übernimmt der Bund die nach Art. 108 Abs. 3 AEUV erforderliche Notifizierung dieses Beihilfenrahmens bei der Europäischen Kommission.
  4. Neben einem Programm zur Verbesserung des Mobilfunkempfangs in Eisenbahnfahrzeugen, findet sich in Ziff. 35. lit. i. des „Zukunftspakets“ schließlich noch die Zusage des Bundes für Investitionen in ein „Bus- und LKW-Flotten-Modernisierungs-Programm“, das alternative Antriebe fördern soll und privaten wie kommunalen Flottenbetreibern gleichermaßen offensteht. Dafür wird ein Finanzvolumen von etwa 1,2 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt.

Den Fokus auf den Bus‑ und Straßenbahnverkehr legen

Zusammenfassend entsteht der Eindruck, als käme der Löwenanteil dieser ÖPNV-spezifischen Bundesförderung den Aufgabenträgern und Betreibern des Eisenbahnverkehrs zugute. Dass Regionalisierungsmittel „insbesondere“ für den SPNV verwendet werden, ist nicht nur eine gesetzliche Empfehlung, sondern wird tatsächlich so gelebt. Nach dem Bericht der Bundesregierung zur Verwendung der Regionalisierungsmittel durch die Länder im Jahr 2016 (BT-Drs. 19/3395) wurden im Berichtsjahr lediglich 13,2 Prozent der Regionalisierungsmittel nicht für SPNV-Zwecke, sondern für den allgemeinen ÖPNV eingesetzt. Sollten sich diese Zahlen nicht verändert haben, kommt die Aufstockung der Regionalisierungsmittel im „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ den vielen kommunalen und privaten Busunternehmen und den Aufgabenträgern des allgemeinen ÖPNV also lediglich zu etwa 13 Prozent zugute. Dabei haben die Betreiber des Bus‑ und Straßenbahnverkehrs (ÖSPV), die in den Städten und auf dem Land den Grundbedarf der Bevölkerung an Mobilität sicherstellen und auch während der Krise sichergestellt haben, unter den Corona-bedingten Einschränkungen nicht weniger gelitten als die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Im Gebiet des Verkehrsverbunds Region Trier war etwa der Ticketverkauf zu 90 Prozent eingebrochen; die Fahrgeldeinnahmen der dort tätigen Verkehrsunternehmen sanken um mindestens 30 Prozent. In Thüringen belief sich der Einnahmenrückgang auf 60 bis 90 Prozent und im Rest der Bundesrepublik dürften die Zahlen ähnlich ausgesehen haben. Für viele Busunternehmer endete die Krise in einer echten Insolvenz – so etwa für die Walscheid Busreisen GmbH & Co. KG nach 94 Jahren Betriebstätigkeit.

Die kommunalen Aufgabenträger und die Betreiber des ÖSPV erhalten bei den ÖPNV-spezifischen Maßnahmen des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets“ des Bundes vom 3.6.2020 unmittelbar überhaupt keine Hilfen – und das obwohl sie die Grundlast des öffentlichen Beförderungsangebots schultern und während der Corona-Restriktionen etwa 80 Prozent ihrer Leistungen weiterhin gefahren haben. Stattdessen werden die Träger des Basisangebots an öffentlichen Beförderungsleistungen auf Beihilfen der Länder verwiesen, die nach Inhalt und Ausmaß noch völlig unbestimmt sind, und für die der Bund bei der Europäischen Kommission erst den Weg bereiten muss. Bis dann tatsächlich Unterstützungsleistungen an notleidende Bus- und Straßenbahnunternehmen fließen werden, könnte mehr Zeit ins Land gegangen sein als für eine Rettung unternehmerischer Existenzen noch zur Verfügung steht. Mit Recht haben deshalb die beiden größten Verbände des Personenbeförderungsgewerbes, VDV und BDO, das Corona-Hilfspaket der Bundesregierung in unterschiedlicher Intensität als für den ÖPNV unzureichend kritisiert.

Was das öffentliche Beförderungsangebot mit Bussen und Straßenbahnen angeht, so liegt die Verantwortung für die Bewältigung der Folgen der Corona-Krise nach wie vor bei den Ländern. An dieser Zuständigkeitsverteilung, die 1994 mit dem Regionalisierungsgesetz (RegG) eingeführt wurde, hat sich auch angesichts der außergewöhnlichen Verwerfungen der letzten Monate nichts geändert, obwohl die dramatischen Rückgänge der Fahrgeldeinnahmen auf eine Kausalkette administrativer Verhaltensbeschränkungen zurückzuführen sind, für die auch der Bund Verantwortung trägt. In der Folgenbeseitigung bleiben die Länder jedenfalls in den Bereichen Bus-, Straßenbahn- und U-Bahnverkehr mit ihren Zuständigkeiten und der daraus folgenden Belastungen weitestgehend allein. Einige Bundesländer wie insbesondere Baden-Württemberg und Thüringen haben bereits in erheblichem Umfang eigene Unterstützungsprogramme aus Landesmitteln aufgelegt. Der Beitrag des Bundes zur Krisenbewältigung beschränkt sich in diesem Bereich nach dem Hilfspaket vom 3.6.2020 aber darauf, den Ländern bei der europarechtlichen Legalisierung neuer Rettungsbeihilfen behilflich zu sein, die – soweit ersichtlich – aus Landesmitteln zu finanzieren sein werden.

Die Lasten der Corona-Krise gerecht verteilen

Ob der Fortbestand eines leistungsfähigen ÖPNV vor Ort gesichert werden kann, wird somit davon abhängen, wie die neuen Landesbeihilfen strukturiert sein werden. Vor allem die kommunalen Aufgabenträger des allgemeinen ÖPNV, das heißt des ÖSPV, werden achtgeben müssen, dass sie nicht zu den Verlierern der neuen ÖPNV-Unterstützungsmaßnahmen werden. Die Aufgabenträger sind weder im „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ noch im „Zukunftspaket“ der Bundesregierung vom 3.6.2020 als Begünstigte genannt. Sie sind als Hoheitsträger auch nicht Adressaten der dort in Ziff. 21 vorgesehenen Landesbeihilfen, worauf die Verkehrsdezernenten mehrerer südhessischer Landkreise unter der Führung des Vorstandsvorsitzenden der DADINA in einem gemeinsamen Brief an den Bundesverkehrsminister zutreffend hingewiesen haben. Bei der Ausgestaltung der neuen Landesbeihilfen aufgrund des Corona-Hilfspakets sollten die Verantwortlichen deshalb darauf achten, dass die kommunalen ÖPNV-Aufgabenträger wenigstens mittelbar finanziell entlastet werden und nicht mit den finanziellen Lasten der von ihnen beauftragten Verkehre trotz Corona-bedingter Budgetüberschreitung allein bleiben. Letzteres könnte leicht geschehen, wenn man Verkehrsunternehmen, die einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag nach der VO (EG) Nr. 1370/2007 erhalten haben, ausschließlich oder vorrangig auf den Defizitausgleich nach dieser Verordnung verweist und die neuen Länderbeihilfen auf die übrigen Betreiber öffentlicher Personenverkehrsleistungen konzentriert.

Eine gerechte Verteilung der Lasten aus der Corona-Krise ist nur zu erreichen, wenn man bei der Gestaltung der neuen Länderbeihilfen die vielfältigen Erscheinungsformen der Organisation öffentlicher Personenbeförderungsangebote in Deutschland sowie die daraus resultierenden Finanzierungsverantwortlichkeiten in Erwägung zieht und die neuen Unterstützungsinstrumente so eingreifen lässt, dass sie keinen der heute schon beteiligten Verantwortungsträger diskriminieren oder überfordern. Nur so wird man das bestehende ÖPNV-System in eine Zukunft nach der Krise hinüberretten können.

Ziff. 21 des „Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets“ ist nur ein Auftrag. Die Herausforderung an Länder, Kommunen und Verkehrsunternehmen beginnt jetzt.

Anprechpartner*innen: Dr. Christian Jung/Dr. Dörte Fouquet

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