Kartellrecht – Mittel oder Hindernis bei der Bewältigung der Corona-Krise?
Welche Rolle spielt das Kartellrecht in der Bewältigung der Corona-Krise? Einerseits leuchtet es ein, dass die Kartellbehörden hier einen Beitrag leisten können, etwa wenn die Medien von überhöhten Preisen etwa für Schutzmasken und Desinfektionsmittel berichten. Ansonsten erscheint das Kartellrecht auf den ersten Blick eher als ein Hindernis der Krisenbewältigung denn als Lösung. Tatsächlich stellt die Corona-Krise auch das Kartellrecht vor Herausforderungen – es bietet aber auch Möglichkeiten, um die Krise und ihre Folgen zu bewältigen.
Die europäischen Wettbewerbsbehörden des European Competition Network (ECN) haben in einer gemeinsamen Erklärung zu verstehen gegeben, dass die Wettbewerbsregeln einerseits flexibel genug seien, um Unternehmen in der Corona-Krise genügend Spielraum (z.B. für Kooperationen) zu geben, andererseits aber auch gerade deren Rolle für den Erhalt des Wettbewerbs in der Krisensituation unterstrichen. In dieselbe Richtung gehen auch die Hinweise, die das Leitungsgremium des International Competition Network neuerdings seinen 140 Mitgliedswettbewerbsbehörden an die Hand gegeben hat. Was bedeutet das jedoch im Einzelnen?
Kartellverbot
Eine natürliche Reaktion auf die Krise ist zunächst der Wunsch vieler Unternehmen, mit eigenen Wettbewerbern enger zusammenzuarbeiten. Zu beachten ist dabei jedoch, dass die Corona-Krise keinen Freifahrtschein für jegliche Art von Unternehmenskooperation liefert. Insbesondere die klassischen Wettbewerbsbeschränkungen wie Preis- und Quotenabsprachen oder Gebiets- und Kundenaufteilungen bleiben weiterhin verboten und die Behörden verfolgen sie auch während der Corona-Krise effektiv.
Nach dem aktuellen Entwurf des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft sollen jedoch zumindest Bußgeldadressaten, denen Zahlungserleichterungen (z.B. Stundung) gewährt wurden, insoweit noch weiter wirtschaftlich entlastet werden, als die Pflicht zur Verzinsung kartellrechtlicher Bußgelder bis zum 30.6.2021 ausgesetzt wird. Im Übrigen teilte das Bundeskartellamt (BKartA) bereits mit, dass die Arbeitsfähigkeit der Behörde sichergestellt sei und auch die Wettbewerbskommissarin Margarethe Vestager hat in ihrer Stellungnahme vom 27.3.2020 betont, dass insbesondere Absprachen, die zu einer Verteuerung lebensnotwendiger Güter führten, streng verfolgt würden.
Andererseits besteht ein Konsens der europäischen Kartellbehörden darüber, dass die Voraussetzungen einer Freistellung vom Kartellverbot gerade angesichts der Krisenumstände erheblich an Bedeutung gewinnen dürften. So lässt sich jedenfalls diejenige temporär notwendige Zusammenarbeit von Unternehmen zu ermöglichen, aus der verbraucherrelevante Effizienzvorteile hervorgehen. Der ECN nennt hier beispielhaft Kooperationen, um Lieferengpässe zu vermeiden oder knappe Güter fair zu verteilen. Aber gerade heutzutage dürfte auch eine Zusammenarbeit möglich sein, um z.B. Personal- und Produktionsmittel effizienter einzusetzen oder Informationen über Erfahrungen im Umgang mit der Krise auszutauschen.
Missbrauchsverbot und Primärrecht
Die Corona-Krise kann aber auch schnell dazu führen, dass das eigene Unternehmen Täter oder Opfer eines kartellrechtlichen Marktmachtmissbrauchs wird. Dies gilt umso mehr, als das Missbrauchsverbot nicht nur für marktbeherrschende Unternehmen gilt. In gewissem Umfang gilt es auch für Unternehmen mit überlegener Marktmacht und solche, von denen kleine oder mittlere Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager abhängig sind. Zum einen kann die Krise im Ergebnis zu Marktanteilsverschiebungen führen und zum anderen kann die Abhängigkeit von anderen Unternehmen auch gerade durch die Corona-Krise entstehen.
Das Missbrauchsverbot spielt in der Corona-Krise vor allem eine Rolle, um missbräuchliche Preisüberhöhungen im Gesundheitssektor zu bekämpfen (z.B. bei Gesichtsmasken, Händedesinfektionsmitteln etc.). Der ECN hat deshalb nicht ohne Grund die Rolle hervorgehoben, die das Kartellrecht spielt, wenn es darum geht, wettbewerbliche Preise solcher Produkte sicherzustellen, die wesentlich für den Schutz der Gesundheit sind. Gleichzeitig wies der ECN darauf hin, dass auch Hersteller ihren Beitrag zur Verfügbarkeit dieser Produkte leisten können, indem sie ihre Händler durch kartellrechtlich zulässige Preisobergrenzen zwingen, die Situation nicht für „ungerechtfertigte Preiserhöhungen“ auszunutzen. Das Missbrauchsverbot muss aber selbstverständlich auch außerhalb des Gesundheitssektors weiterhin beachtet werden und die Krise ändert nichts an der Praxis der Kartellbehörden, jegliche Verstöße gegen das Missbrauchsverbot (neben Preisüberhöhungen auch z.B. Behinderungen und Diskriminierungen anderer Unternehmen durch Lieferstopps u.ä.) zu prüfen und ggf. zu ahnden.
Aus dem europäischen Primär- und Wettbewerbsrecht können sich im Einzelfall sogar Schranken für die Mitgliedstaaten ergeben, wenn Unternehmen und Gewerbetreibende von staatlichen Wettbewerbsbeschränkungen unverhältnismäßig oder diskriminierend betroffen sind.
Fusionskontrolle
Die Corona-Krise geht schließlich auch an der Fusionskontrolle nicht unbemerkt vorbei. Das heißt zwar nicht, dass sich an der fusionskontrollrechtlichen Praxis des BKartA oder der Kommission etwas grundsätzlich ändert. Vor dem Hintergrund der Corona-Krise und der damit verbundenen erschwerten Arbeitsbedingungen haben jedoch beide Kartellwächter an potentielle Zusammenschlusswillige die Bitte gerichtet, zu überdenken und ggf. mit dem Amt abzustimmen, ob ein Verfahren derzeit unbedingt in die Wege geleitet werden muss. Um dem BKartA bei der Prüfung von Zusammenschlüssen weiter Ermittlungen in den betroffenen Märkten zu ermöglichen, sollen ferner nach dem bereits oben erwähnten aktuellen Gesetzesentwurf die Prüffristen der Fusionskontrolle einmalig und nur für Anmeldungen von Zusammenschlüssen in der Zeit vom 1.3.2020 bis 31.5.2020 verlängert werden. Umgekehrt kann die Ausnahme-Situation der Corona-Pandemie aber auch bedeuten, dass die Kartellbehörden ihrerseits Flexibilität zeigen würden, wenn es darum geht, die in Fusionsverfahren festgelegten Verpflichtungszusagen umzusetzen.
Kartellschadensersatz
Die Corona-Krise wirkt sich schließlich auch auf Zivilgerichte aus, die derzeit u.a. über Kartellschadensersatzklagen zu befinden haben und die ohnehin bereits überlastet sind. Auch wenn der Sitzungsbetrieb derzeit häufig auf dringend notwendige Gerichtstermine reduziert wird und sich Verfahren hierdurch ggf. verzögern, wird der Betrieb im Übrigen dennoch weiter aufrechterhalten. Verfahrensbeteiligte können deshalb nicht von automatischen Fristverlängerungen oder Verfahrensaussetzungen ausgehen. Bereits klagenden Kartellgeschädigten kommen bei längerer Verfahrensdauer jedenfalls die Prozesszinsen zugute.
Herausforderungen und Möglichkeiten
Die Herausforderung in dieser Krisensituation besteht darin, sicherzustellen, dass kartellrechtliche Vorgaben eingehalten werden. Gleichzeitig gilt es aber auch Möglichkeiten zu identifizieren, die das Kartellrecht eröffnet, um die Folgen der Corona-Pandemie zu bewältigen.
Ansprechpartner*innen: Dr. Holger Hoch/Dr. Anna Lesinska-Adamson
Weitere Ansprechpartner*innen i.S. Kartellrecht