Åland – frischer Wind aus Luxemburg für nationale Fördersysteme beim Ausbau Erneuerbarer Energien
Es gibt Entscheidungen des EuGH im Energierecht, die richtungsweisend sind. Das Preußen-Elektra-Urteil (Rs. C-379/98) aus dem Jahre 2001 zur Frage, ob das deutsche Fördersystem für Erneuerbare Energien eine Beihilfe darstellt, gehört sicher dazu. Jetzt hat der EuGH im Fall Åland erneut ein Urteil gesprochen (Rs. C-573/12), das die Debatte auf Jahre hinaus prägen wird.
Bemerkenswert an dem Urteil ist nicht nur, dass es vollkommen von den Schlussanträgen des Generalanwalts Bot abweicht, das Preußen-Elektra-Urteil in vielen Bereichen bestätigt und fortentwickelt und das Recht der Mitgliedstaaten auf Produktionsförderung für Anlagen Erneuerbarer Energien im eigenen Land absichert.
Es macht deutlich, dass die nationalen Fördersysteme gerechtfertigt sind, solange die Förderinstrumente nicht voll harmonisiert sind, und dass die nationalen Ausbauziele in ein verpflichtendes EU-Gesamtziel eingebettet sind – und zwar auch dann, wenn sie – wie auch unter Preussen Elektra – den freien Warenverkehr beeinträchtigen. Dies bedeutet, dass Mitgliedstaaten, die selbst die Produktion von Erneuerbaren Energien und eine rasche Markt-Integration vorantreiben wollen, dringend im Europäischen Rat und gegenüber der Kommission auf neuen verbindlichen EU-weiten und nationalen Zielen bis 2030 beharren müssen. Derzeit gibt es lediglich einen fragilen ersten Konsens für ein Ausbauziel von 27 Prozent, aber nur auf EU Ebene.
Die Ålands -Entscheidung könnte auch für die neuen Beihilfeleitlinien der Kommission für den Energie- und Umweltsektor (wir berichteten) relevant werden: Es liegt nach dieser Entscheidung nahe, etwa im Rahmen einer Nichtigkeitsklage vom EuGH klären zu lassen, ob die Kommission nicht mit den Leitlinien gegen das Übermaßverbot verstoßen hat, indem sie bestimmte Ausschreibungsmodelle mit Quoten- und Zertifikatesystemen bzw. Marktprämiensystemen einführt und für die Mitgliedstaaten verbindlich macht bzw. lediglich per„opt-out“ Ausnahmen zulässt. Insbesondere dürfte nach der Åland-Entscheidung nicht mehr tragbar sein, dass die Leitlinien eine europaweite Ausschreibung als Grundsatz vorschreiben.
Die Entscheidung des EuGH wird nun erneut in der Europäischen Kommission und bei Teilen der Energiehändler die Motivation steigern, nun eine Novelle der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (EE-RL: 2009/28/EG) auf den Weg zu bringen, um den Erlaubnisrahmen für Mitgliedstaaten und eigenen Förderpolitiken durch ein voll harmonisiertes Fördersystem auf der Basis von Quoten und Zertifikaten als Regelfall zu ersetzen. Wenn man genau zählt, wäre dies dann der dritte Anlauf seit den ersten Diskussionen um die erste EE-RL (2001/77/EG). Rechnet man den Coup der Kommission mit den derzeitigen Leitlinien dazu, wäre es der vierte Versuch.
Worum geht es in der besagten Ålands -Entscheidung? Wir hatten berichtet: Es geht um eine Windkraftanlage auf einer zu Finnland gehörenden Insel vor Schweden, die jedoch nicht mit dem finnischen, sondern lediglich mit dem schwedischen Netz verbunden ist, in das sie Strom einspeist. Die Anlagenbetreiber hatten vergebens versucht, für den erzeugten Strom aus erneuerbaren Quellen Zertifikate ausgestellt zu bekommen, die sie im Rahmen des schwedischen Fördersystems hätten verkaufen können. Das Verwaltungsgericht in Linköping in Schweden hatte dem EuGH mehrere Fragen vorgelegt, um prüfen zu lassen, ob ein nationales Fördersystem Grünstrom aus anderen Mitgliedstaaten den Zugang verwehren kann.
Die Welt des Generalanwalts
Der Generalanwalt Jacques Bot kam nicht nur dem finnischen Windmüller zu Hilfe, sondern ging weiter: Das schwedischen Fördersystem verweigere den Zugang zwar zu Recht, aber die Rechtsgrundlage, insbesondere Art. 3 Abs. 3 EE-RL 2009, sei europarechtswidrig.
Er sah keine Rechtfertigungsmöglichkeit mehr für auf den nationalen Rahmen begrenzte Fördersysteme und interpretierte insbesondere den Gedanken des Umweltschutzes in eine Pflicht, dass Verbraucher eines Mitgliedstaates über nationale Fördersysteme eher die aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Energie aus erneuerbaren Quellen finanzieren, anstatt für inländische Energie aus fossilen Quellen zu bezahlen.
Sein Ergebnis war dann, dass die Richtlinie geändert werden müsse, und damit auch die Fördersysteme in den Mitgliedstaaten, die national ausgerichtet sind und prinzipiell Anlagen im Ausland diskriminieren. Weil jedoch der Ausbau der Erneuerbaren Energien kostspielige und langfristige Investitionen voraussetzt und man Vertrauenskrisen – insbesondere durch rückwirkende Änderungen – vermeiden muss, schlägt Generalanwalt Bot vor, die Ungültigkeit der EE-RL ab Urteilsverkündung um 24 Monate aufzuheben, so dass ausreichend Zeit besteht, um die nötigen Anpassungen vorzunehmen.
Zur den Urteilsgründen: Ganz anders sah es nun der der Gerichtshof
Nationale Fördersysteme, die ausschließlich die nationale Produktion fördern, greifen in den freien Warenverkehr ein, was aber gerechtfertigt sei. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung des Eingriffs wird insbesondere auf den Stand des Gemeinschaftsrechts und der Liberalisierung des Binnenmarktes hingewiesen. Hier verabschiedet sich der EuGH von der ursprünglichen Interpretation des Preußen-Elektra-Urteils , wonach nationale Fördersysteme lediglich vorübergehend als vereinbar mit der Warenverkehrsfreiheit angesehen werden könnten, da der Binnenmarkt zum damaligen Zeitpunkt – Anfang des letzten Jahrzehnts – überhaupt nicht liberalisiert war. Der EuGH hebt nun hervor, dass die Liberalisierung des Binnenmarktes deutlich vorangekommen ist, die Bewertung der Vereinbarkeit nationaler Fördersysteme für Erneuerbare Energien davon jedoch unabhängig sei. Der Generalanwalt hatte genau die Karte Entwicklung des Binnenmarktes gezogen und mit dem Preussen-Elektra-Credo die Rechtfertigung nationaler Ausbauziele verneint.
Als Grund hierfür geht der EuGH insbesondere detailliert auf die Besonderheiten des grünen Stroms ein, der kaum noch nachweisbar ist, sobald er ins Netz eingespeist wird und Teil des Graustrommixes wird. Diese Besonderheit der schwierigen Nachweisbarkeit des Imports bzw. des Handels mit Grünstrom bleibe bestehen. Die Einführung von Herkunftsnachweisen löst das Problem nicht, da sie nur einen bilanziellen Nachweis ermöglichen, aber keinen realen Nachweis (Rn. 87 ff). Auch dies sah der Generalanwalt diametral anders.
Der EuGH betont hier insbesondere, vor dem Hintergrund der nicht eingeführten vollständigen Harmonisierung, dass eigentlich nur die Produktionsförderung vor Ort für die Umwelt und die Verringerung von Treibhausgasen positiv nachweisbar etwas bringt und somit die eigentliche, ja beinahe einzige Maßnahme ist, die sich rechtfertigen lässt. Zwar treffe das Argument zu (Rn. 93) , dass diese Ziele ebenso wie die des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen auf den ersten Blick in der Union unabhängig davon verfolgt werden können, in welchem Mitgliedstaat sich die Anlagen befinden. Dennoch sei es tatsächlich schwierig, die genaue Herkunft grünen Stroms zu bestimmen, sobald er in das Übertragungs- oder Verteilernetz eingespeist wurde. Obendrein habe der Unionsgesetzgeber, um die Erfüllung der von der Union eingegangenen internationalen Umweltverpflichtungen zu gewährleisten, den verschiedenen Mitgliedstaaten verbindliche nationale Ziele in Form von Erzeugungsquoten grünen Stroms auferlegt (Rn. 96 f.).
Es bleibt somit dabei, dass neue verbindliche nationale Ziele für 2030 eingeführt werden müssen, die die Fördervielfalt und Souveränität der Mitgliedstaaten wahren.
Der EuGH betont darüber hinaus, dass das Potenzial im Bereich der Erneuerbaren Energie und der Energiemix in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind, was den Unionsgesetzgeber insbesondere zu der Überlegung veranlasst habe, dass diese Unterschiede eine faire und angemessene Aufteilung der Anstrengungen, die besagten internationalen Verpflichtungen der Union zu erfüllen, nötig machen.
Obendrein stellt der EuGH klar, dass zwar das Ziel des Umweltschutzes grundsätzlich in ganz Europa erreicht werden kann, dass aber nur solange sich der Unionsgesetzgeber nicht für ein vollständig harmonisiertes EU-Fördersystem entschieden hat. Somit müsse es grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen bleiben, den Umweltschutz und den Ausbau der Erneuerbaren Energien in ihrem Hoheitsgebiet zu verfolgen.
Der EuGH grenzt sich klar ab von den Argumenten des Generalanwalts und setzt sich detailliert mit der Eigenart des grünen Stroms auseinander. Insbesondere sei es gerechtfertigt, in erster Linie die Erzeugung des erneuerbaren Stroms und nicht den Verbrauch zu fördern, weil eingespeister erneuerbarer Strom im Netz verschwindet und deshalb „die mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verbundenen Umweltziele in erster Liner im Stadium der Erzeugung wirksam verfolgt werden [können]“ (Rn. 95). Hier zieht der EuGH als Begründung auch heran, dass Herkunftsnachweise nach der EE-RL nur gegenüber den Endkunden ein verlässlicher Nachweis sein können und sollen (Rn. 89 mit Verweis auf Erwägungsgrund (52) EE-RL).
Darüber hinaus verweist der EuGH darauf, dass es für die Wirksamkeit der nationalen Fördersysteme – auf die sich wiederum die Richtlinie stützt, um die europäischen Klima- und Energieziele zu erreichen – wichtig ist, dieselbe auf das jeweilige Hoheitsgebiet zu begrenzen. Der EuGH hebt dabei hervor, dass die Richtlinie die Kooperationsmechanismen einführt, um die genannten Herausforderungen bei der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und beim Nachweis des Stromimports im Einvernehmen zu lösen.
Insgesamt hat der EuGH Klarheit geschaffen. Die EE-RL 2009 hat nicht nur Bestand, sondern die Mitgliedstaaten sind weiter gehalten, ihre verbindlichen Ausbauziele zu erreichen. Sie dürfen sich einer Politik nationaler Produktionsförderung bedienen und dabei den Zugang von Grünstrom aus dem EU-Ausland ausschließen.
Es wird sich nun zeigen, ob sich jetzt eine Allianz von Mitgliedstaaten bilden wird, um auch nach dem Auslaufen der derzeitigen Förderrichtlinie 2020 neue Mindestausbauziele nicht nur auf EU-Level, sondern für jeden Mitgliedstaat zu fordern und den Tendenzen in der Kommission , eine „One-fit-all“-Harmonisierung über eine Richtlinienänderung durchzusetzen, Widerstand entgegen zu setzen.
Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet