BGH entscheidet Grundsatzfragen der Anreizregulierung

Das zentrale Instrument der Anreizregulierung im Gas- und Strombereich ist der Effizienzvergleich. Von ihm hängt maßgeblich ab, wie hoch die Erlösobergrenzen ausfallen. Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Beschlüssen vom 9.10.2012 erstmals über einige strittige Fragen zum Effizienzvergleich entschieden. Die von der Branche mit Spannung erwarteten Entscheidungen sind seit dem 30.10.2012 im Volltext verfügbar (EnVR 88/10 sowie EnVR 86/10 ). Auch wenn es sich um Sachverhalte aus der ersten Anreizregulierungsperiode handelt, sind die Feststellungen des BGH auf die nachfolgenden Regulierungsperioden teilweise übertragbar.

Zählt der City-Effekt?

In dem Beschluss EnVR 88/10 hat der BGH zu der Frage Stellung genommen, wie die Vergleichsparameter für den Effizienzvergleich im Strombereich auszuwählen sind. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hatte im Jahr 2008 ein Beraterkonsortium mit der Durchführung eines Effizienzvergleichs jeweils für die Strom- bzw. Gasverteilnetzbetreiber beauftragt: Netzbetreibern wurden Effizienzwerte zugewiesen, die die Höhe ihrer zulässigen Erlösobergrenzen für die Jahre 2009 bis 2012/2013 maßgeblich beeinflussen. Im Strombereich setzte die BNetzA 11 sog. Vergleichsparameter an (darunter unter anderem mehrere Parameter der Leitungslänge, zeitgleiche Jahreshöchstlast, Anschlusspunkte). Nicht mit aufgenommen wurde der Vergleichsparameter der Zähl- pro Anschlusspunkte, der die besondere Situation von städtischen Netzbetreibern abbilden sollte. Dies war unter Verweis auf die Ergebnisse des sog. Benchmarking-Transparenzprojekts der Verbände BDEW, GEODE und VKU von der Branche gefordert worden.

Nach Auffassung des BGH musste die BNetzA in den konkreten Fällen nicht auch das Verhältnis von Zähl- zu Anschlusspunkten (sog. „City-Effekt“) als Vergleichsparameter heranziehen. Zwar sei, so der BGH, dies nicht ausgeschlossen, denn damit ließe sich den besonderen Anforderungen, die in städtisch geprägten Gebieten auftreten, ergänzend Rechnung tragen. Auf die Aufnahme dieses Vergleichsparameters habe die BNetzA hier jedoch verzichten können, ohne dass dies zu einem Ermessensfehler geführt hätte. Denn in dem Verfahren sei von dem Netzbetreiber nicht dargelegt worden, dass die Aufnahme der Unternehmen, die einen besonders hohen Wert bei der Kennzahl der Zählpunkte pro Anschlusspunkt aufwiesen, tatsächlich zu einem höherem Effizienzwert geführt hätte. Abgesehen davon, dass diese Feststellung überrascht (denn schon das von der BNetzA vorgelegte Gutachten und die weiteren Untersuchungen des Benchmarking-Transparenzprojekts zeigen, dass dieses Verhältnis für den Effizienzwert signifikant sein könnte), heißt sie für die Netzbetreiber umgekehrt auch: Mut zu noch mehr Vortrag (wo dies denn geht).

Weitere Fragen zur Rechtmäßigkeit der Effizienzvergleiche – wie insbesondere die Frage der Transparenz dieses komplexen Verfahrens – wurden vom BGH nicht geklärt und werden dann wohl Gegenstand weiterer Verfahren.

Besondere Aufgaben kosten mehr

Weiterhin nimmt der BGH in seinen Beschlüssen vom 9.10.2012 erstmals zu den Besonderheiten der Versorgungsaufgabe (§ 15 ARegV) Stellung. Diese Regelung sieht vor, dass der für einen Netzbetreiber festgestellte Effizienzwert individuell zu korrigieren ist, wenn er einer besonderen Versorgungsaufgabe nachkommt, die durch die verwendeten Vergleichsparameter nicht abgebildet wird, und ihm dadurch Mehrkosten in bestimmter Höhe entstehen. Bisher hat die Regulierungsbehörde diese Norm zu Gunsten der Netzbetreiber kaum angewandt. Der BGH hat nunmehr für einen Verteilnetzbetreiber mit Betriebsmitteln auf der Höchstspannungsebene befunden, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 ARegV vorliegen. Jetzt muss die zuständige BNetzA einen neuen Bescheid erlassen, in dem diese Besonderheit berücksichtigt und der Effizienzwert erhöht wird.

Eine solche Besonderheit nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ARegV kann nach Ansicht des BGH auch bei einer über dem Durchschnitt liegenden Anzahl von Zählpunkten vorliegen. Das dürfte vor allem für städtische Netzbetreiber relevant sein. Damit widersprach das Gericht der BNetzA, die sehr enge Voraussetzungen an das Vorliegen einer Besonderheit der Versorgungsaufgabe geknüpft hatte. Im Ergebnis konnten sich die klagenden Unternehmen gleichwohl nicht durchsetzen: Der BGH bestätigte das OLG Düsseldorf, wonach die Netzbetreiber die konkreten Mehrkosten nicht nachgewiesen hatten. Gleichwohl hat diese Entscheidung für viele Netzbetreiber, deren Beschwerden gegenwärtig noch vor den jeweiligen Oberlandesgerichten rechtshängig sind, eine erhebliche Relevanz: Gelingt es ihnen in den laufenden Verfahren – entsprechend der Vorgaben des BGH – den Nachweis der höheren Kosten zu erbringen, können sie mit einem besseren Effizienzwert rechnen.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Christian Theobald/Prof. Dr. Ines Zenke/Stefan Missling/Stefan Wollschläger/Axel Kafka

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