Bundesgerichtshof ermöglicht Billigkeitsprüfung von Netzentgelten – oder doch nicht?

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Mit Spannung war das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 15.5.2012 (EnZR 105/10) erwartet worden. Jetzt liegen die Urteilsgründe vor. Hiernach steht nun fest: Auch die nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) 2005 genehmigten Netzentgelte unterliegen der zivilrechtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB.

Geklagt hatte ein Netznutzer gegen einen Netzbetreiber, und zwar gegen die von der Regulierungsbehörde nach der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) genehmigten und damit regulierten Netzentgelte. Er wollte erreichen, dass die Gerichte das i. S. d. § 315 BGB billige bzw. angemessene Netzentgelt bestimmen und dass der Differenzbetrag zu den tatsächlich gezahlten Entgelten an den Netznutzer zurückzuzahlen ist. Die Vorinstanzen hatten die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass § 315 BGB auf regulierte Entgelte keine Anwendung finden würde.

Das Ergebnis – die Klageabweisung – hielt der Prüfung des BGH stand, nicht allerdings die Begründung. Auch von den Regulierungsbehörden geprüfte und genehmigte Netzentgelte unterliegen nach Ansicht des BGH einer zivilrechtlichen Prüfung nach § 315 BGB. Allerdings verschiebt sich die Darlegungs- und Beweislast zu Gunsten des Netzbetreibers. War der BGH bei einer zivilrechtlichen Überprüfung von Stromnetzentgelten immer davon ausgegangen, dass der Netzbetreiber die Billigkeit vollständig nachweisen muss, hat er nun eine hohe Hürde für den Netznutzer aufgebaut. Der BGH stellt klar, dass die Regulierungsentscheidung zur Höhe der Netzentgelte aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorschriften und der damit verbundenen Prüftiefe durch die neutralen Regulierungsbehörden ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit der Netzentgelte sei. Dieses Indiz müsse vom Netznutzer erst einmal erschüttert werden, bevor der Netzbetreiber erstmals weiter konkret zu seiner Netzentgeltkalkulation vortragen muss.

In dem vor dem BGH geführten Verfahren gelang es dem Netznutzer nicht, dieses Indiz zu erschüttern. Dies war dann auch der Grund, warum seine Klage abgewiesen wurde. Es erscheint insgesamt auch sehr fraglich, ob dieser Nachweis tatsächlich gelingen kann. Hier wird die Zukunft zeigen, ob die „bekannten“ Netznutzer weiter versuchen, längst von ihren Kunden vereinnahmte Entgelte zusätzlich auch noch vom Netzbetreiber zu verlangen. Der Aufwand hierfür scheint jetzt schwieriger denn je.

Eine interessante Randerscheinung ist hierbei, dass unter Umständen das gleiche Gericht (und regelmäßig dann auch die gleichen Richter) bei den Oberlandesgerichten und dem BGH ein und dieselben Netzentgelte zweimal prüfen: Sollte der Netzbetreiber den Genehmigungsbescheid angegriffen haben und auch noch von einem Netznutzer verklagt werden, wären in beiden Fällen jedenfalls bei den Oberlandesgerichten und dem BGH die Kartellsenate zuständig. Hier stellt sich dann die Frage, ob diese Gerichte von ihrer Erstentscheidung zur Bewertung der Netzentgelthöhe überhaupt abweichen können. Oder: Kann eine Genehmigung einmal als rechtmäßig und einmal als rechtswidrig angesehen werden, und dies vom selben Richter? Aufgrund des in den Beschwerdeverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatzes des Gerichtes erscheint eine divergierende (Zweit-)Entscheidung fast undenkbar.

Ansprechpartner: Stefan Wollschläger

Sie interessieren sich für den Billigkeitsparagrafen und die Preisbildung? Dann schauen Sie doch mal in den Zenke/Wollschläger, § 315 BGB: Streit um Versorgerpreise, EW Medien, 2. Aufl.

 

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