Fortsetzung oder Neuanfang? – der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD

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Gut Ding will Weile haben. So könnte man meinen, betrachtet man den Zeitraum zwischen der Bundestagswahl am 24.9.2017 und heute. Doch schließlich ist es vollbracht, der Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist verfasst, verfügbar und bereits in aller Munde. Damit ist – abgesehen vom anstehenden Mitgliedervotum der SPD über den Zeitraum vom 20.2. bis 2.3.2018 – der Weg frei für die nächsten vier, naja dreieinhalb Jahre Große Koalition und die 19. Legislaturperiode.

Wir haben einen ersten, kritischen Blick auf die Abschnitte zu den Themen Energie und Umwelt geworfen. Setzen die Koalitionäre in spe fort, was sie bereits im Jahre 2013 vereinbart hatten? Oder wird der neue Koalitionsvertrag seinem Titel „Ein neuer Aufbruch für Europa – Eine neue Dynamik für Deutschland – Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“ gerecht? Unser vorläufiges Ergebnis: sowohl als auch.

Zunächst haben sich die Parteien bereits vom Klimaziel verabschiedet, den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verringern (wir berichteten). Klimaschutzziele sollen allerdings für bestimmte Sektoren gelten, und eine Kommission bis zum Ende dieses Jahres ein Aktionsprogramm erarbeiten.

Deutlich fällt auf, dass es nicht mehr vornehmlich „nur“ um die Umsetzung der Energiewende geht, sondern dabei auch die Belange der deutschen Industrie miteinbezogen werden müssen. Die „internationale Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Deutschland“ soll nicht gefährdet werden. Ein wichtiger Punkt, und wohl Lehre aus den vergangenen vier Jahren, ist die Beständigkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Neuausrichtung der deutschen Energiepolitik in der Welt. Nach dem Vorwurf, mit der Energiewende „nationale Alleingänge“ zu unternehmen, möchte die Große Koalition nun ihre „internationale Energiezusammenarbeit ausbauen“. Energiewende als Exportschlager? Das könnte bald Realität werden, glaubt man den entsprechenden Passagen im neuen Koalitionsvertrag. Dies soll auch umgesetzt werden, um die „Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen zu unterstützen“.

Beim Lesen des Koalitionsvertrags fällt dem geschulten Auge auf, dass „wollen“ nicht gleich „werden“ nicht gleich „müssen“ ist. So „strebt“ die neue, alte Koalition einen Anteil von etwa 65 Prozent Erneuerbare Energien bis zum Jahre 2030 an. Zudem soll eine neu eingerichtete Kommission ein „Aktionsprogramm zur Erreichung des 40-%-Ziels zur Reduzierung der Kohleverstromung und zur Absicherung des notwendigen Strukturwandels“ entwerfen. Es kommt damit noch einige Arbeit auf diese Kommission zu, die allerdings schon in 2018 beendet sein soll. Der Braunkohleausstieg, zumindest einer der Knackpunkte bei den Jamaika-Sondierungen, soll mit 1,5 Milliarden Euro unterstützt werden, um „den Strukturwandel in den betroffenen Regionen abzufedern.“

Für den Bereich der Sektorkopplung richtet sich der Fokus erneut auf Stadtwerke und Verteilnetzbetreiber: Sie „haben durch ihre Nähe zu Energieversorgern und Verbrauchern sowie dem öffentlichen Nahverkehr eine Schlüsselposition in der Sektorkopplung“. Ohne sie wird es schließlich nicht funktionieren, das haben die letzten vier Jahre bewiesen. Schon im Koalitionsvertrag 2013 wurden die Verteilnetzbetreiber als „Rückgrat der Energiewende“ bezeichnet. Dass die Politik sich dieser Rolle bewusst ist, ist gut und lässt die Verteilnetze auf Unterstützung hoffen.

Schließlich soll, wie bereits 2013 vorgesehen, die Förderung der Energieforschung fortgesetzt werden. Vor allem in den Ausbau der Speichertechnologie soll mehr Geld investiert werden. Dazu soll sogar ein Fraunhofer-Institut für Speichertechnologie gegründet werden. Auch hier zeigt sich, dass die Verzahnung der Energieforschung und der Wirtschaftlichkeit erheblich an Bedeutung gewonnen hat.

Es gäbe noch manches mehr zu erwähnen: die bemerkenswerten Passagen zur Kraft-Wärme-Kopplung zum Beispiel oder das Engagement in Sachen Energieforschung und Energieeffizienz, das Schicksal der Atomkraft in Gesamteuropa. Aber zum einen lesen Sie den Koalitionsvertrag natürlich auch selbst. Und zum anderen wollen wir für die Details die Umsetzung abwarten. Abgesehen vom bereits erwähnten Mitgliederentscheid der SPDler, ist ein Koalitionsvertrag – der ja gerade keine rechtlich verbindliche oder gar einklagbare Verpflichtung bedeutet – das wert, was von ihm tatsächlich und politisch glaubwürdig umgesetzt wird. Und genau das schauen wir uns dann an, wenn es so weit ist. Gut Ding will Weile haben, und das gilt auch für die nächsten dreieinhalb Jahre.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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