Indirekte Vorteile für Grünstromerzeuger nicht geeignet als Umweltschutzmaßnahmen?

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Vorteile für einheimische Grünstromerzeuger können die Warenverkehrsfreiheit der Konkurrenz aus dem EU-Ausland verletzen. Zu diesem überraschenden Schluss (Az. C-492/14) kommt der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Streit um eine flämische Regelung zur Befreiung von Grünstrom von den Verteilernetzgebühren. Die Regelung begünstigte nur in Flandern in die Verteilernetze eingespeisten Grünstrom, nicht aber den Grünstrom, den die Essent NV aus den Niederlanden – über die Übertragungsnetze – importierte. Essent NV sah darin einen Verstoß gegen das Unionsrecht, insbesondere gegen die Bestimmungen zur Warenverkehrsfreiheit.

Der EuGH bestätigte dies nun – und das kam doch etwas unerwartet. Denn in den letzten Urteilen zur Förderung Erneuerbarer Energien, etwa in den Rechtssachen C-573/12 Ålands (wir berichteten) oder C-204 bis C-208/12 Essent (wir berichteten), schien sich der EuGH auf den Standpunkt zu stellen, dass die Mitgliedstaaten durchaus auch Fördersysteme für die Erzeugung von Grünstrom einführen können, die nur inländisch erzeugtem Grünstrom zu Gute kämen. Diese könnten zwar die Warenverkehrsfreiheit behindern, das wäre aber zum Erreichen legitimer Ziele gerechtfertigt, sofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet bleibt. Immerhin diene die vermehrte Nutzung von Strom aus Erneuerbaren Energien dem Umweltschutz wie auch dem Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen. Auch hätten die Mitgliedstaaten nach den Bestimmungen der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (EE-RL: 2009/28/EG) einen Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung ihrer Fördersysteme. Solange hier auf europäischer Ebene noch keine Harmonisierung stattgefunden habe, könnten sie also zu einem gewissen Grad selbst entscheiden, wie sie Erneuerbare fördern und damit ihre Ziele unter der EE-RL erreichen wollten.

Der Generalanwalt Yves Bot hatte dies in seinen Schlussanträgen (Ålands /Essent) jeweils anders gesehen und die unmittelbare Diskriminierung von Grünstrom aus anderen Mitgliedstaaten für unvereinbar mit den Bestimmungen des Unionsrechts gehalten. Der EuGH war seiner Argumentationsweise jedoch in diesen beiden Rechtssachen nicht gefolgt.

Insoweit hat sich wenig geändert: Auch mit dem vorliegenden Urteil folgt der EuGH dem Generalanwalt nicht. Allerdings hatte dieser hier aus der bisherigen Rechtsprechung des EuGH gefolgert – der er ausdrücklich nicht zustimmte – dass die flämische Regelung sehr wohl unionsrechtskonform sei. Anders jetzt der EuGH.

Was unterscheidet die flämischen Maßnahmen von denen, die in den Urteilen zu Ålands und Essent zur Diskussion standen? Dort ging es um Systeme, in denen Erzeuger von Grünstrom über „grüne Zertifikate“ zusätzliche Gewinne generieren konnten, also direkte finanzielle Vorteile an Grünstrom-Erzeuger gewährt wurden. Die flämische Regelung kam ihnen jedoch eher indirekt zu Gute – durch die Verteilernetzkostenbefreiung sollte es für Stromversorger interessanter werden, den befreiten Grünstrom zu kaufen. Dieser konnte immerhin auch günstiger weiter vermarktet werden bzw. lieferte eine größere Gewinnmarge. Und hier standen Verteilernetzkosten von 37 Prozent des Strompreises zur Rede!

Generalanwalt Bot sah dann auch – zwar mittelbar – klar einen Vorteil für Grünstrom-Erzeuger, hielt diese Fördermaßnahme aber in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH für zulässig.

Dem EuGH war dies aber zu „ungewiss“. Es sei nämlich nicht deutlich, ob dieser vermeintliche finanzielle Vorteil, der eigentlich nur für die Versorger, eventuell noch für Endkunden bestehen würde, ob des Marktgeschehens überhaupt bei den Erzeugern ankäme. Der Kaufanreiz für Grünstrom – bei ca. 37 Prozent Preisvorteil – schien den EuGH nicht zu interessieren.

Vielmehr sucht der EuGH den Vergleich mit Systemen wie in Ålands und Essent und verweist sogar auf die Einspeisevergütung nach dem Stromeinspeisegesetz, zu der er in PreussenElektra urteilte (Az. C-379/98). Diese seien, weil sie einen unmittelbaren Vorteil gewähren, geeignet, um die angestrebten Ziele – an denen der EuGH im Übrigen nicht zweifelte – zu erreichen. Die flämische Regelung mit dem höchstens indirekten Vorteil aber nicht.

Das ist interessant argumentiert, denn die (damalige) Erneuerbare-Energien-Richtlinie 2001/77/EG überließ nämlich die Wahl zwischen direkter oder indirekter Förderung explizit dem Mitgliedstaat. Fraglich scheint auch, wie diese Linie mit den bisherigen Aussagen des EuGH zu Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten in Abwesenheit von harmonisierenden Maßnahmen zusammengeht…

Offen ist auch, wie denn etwa die Bestimmungen der (Nachfolger-)Erneuerbare-Energien-Richtlinie zu beurteilen sind, in denen Grünstrom bestimmte Privilegien – etwa beim Netzzugang – eingeräumt werden. Es scheint zwar klar, dass hier Grünstrom vor Graustrom geht. Allerdings hat der EuGH im vorliegenden Urteil nicht geprüft – anders als der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen – ob hier zwischen inländisch erzeugtem und importiertem Grünstrom unterschieden werden darf …

Für diejenigen, die die Rechtsprechung des EuGH im Bereich Warenverkehr und Umweltschutz schon seit längerem verfolgen, sei übrigens ganz kurz erwähnt: Nein, die – nicht zuletzt vom Generalanwalt aufgeworfene – Frage, ob der Umweltschutz generell auch unmittelbar nach der Herkunft diskriminierender Maßnahmen rechtfertigen kann, beantwortete der EuGH auch diesmal nicht.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet

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