Leben und leben lassen – auch im Stromsteuerrecht!

(c) BBH
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Offenbar gibt es in einigen Hauptzollämtern, die sich um das Stromsteuerrecht kümmern, Mitarbeiter mit einer besonderen Vorliebe für den James-Bond-Film „Leben und sterben lassen“. Zumindest nehmen sie sich dieses Motto zu Herzen, wenn es um die Alternativen in § 9 Abs. 1 Nr. 3b StromStG geht: Leben soll nur die eine. Die andere wollen sie sterben lassen. Was soll man davon halten, und was kann man dagegen tun?

Strom aus dezentralen kleinen Stromerzeugungsanlagen mit einer Leistung bis 2 MW sind nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG von der Stromsteuer befreit. Dabei gibt es zwei Alternativen: In einem Fall erzeugt der Anlagenbetreiber Strom für sich selbst (Nr. 3a), im anderen für Dritte, die Letztverbraucher (Nr. 3b). Im zweiten Fall wird wiederum unterschieden: Ist der Betreiber der kleinen Stromerzeugungsanlage und der Versorger, der Strom aus dieser Anlage an Letztverbraucher leistet, dieselbe Person? Oder leistet nicht der Betreiber der kleinen Anlage den Strom an Letztverbraucher, sondern ein Versorger, der die Anlage durch einen anderen, nämlich den Anlagenbetreiber betreiben lässt? Auf dieses Wörtchen „lässt“ kommt es dabei an:

Trennungselement des Begriffes „lassen“

Wenn jemand ein Unternehmen Filme produzieren lässt, kümmert er sich eben nicht selbst um die Dreharbeiten, sondern lässt die Produktionsfirma für sich arbeiten. Er hält sich also heraus und „überlässt“ die eigentliche Arbeit dem Anderen. Das Wort „lassen“ enthält insoweit ein Trennungselement. Damit ergibt schon eine nüchterne Würdigung des Wortlautes, dass bei § 9 Abs. 1 Nr. 3 b) Fall 2 StromStG Anlagenbetreiber und leistender Versorger eben zwei verschiedene Personen sind. Dabei überlässt der Versorger dem anderen nicht nur die Betriebsführung, sondern tatsächlich den Betrieb der Anlage selbst.

So sieht das im Übrigen auch ein Erlass des Bundesfinanzministeriums (BFM) vom 18.10.2004 (GZ  III A 1-V 4250-9/04, Versorgungswirschaft 2005, S. 112 ff.). Dort ist unter Ziffer 21 ein Beispielfall gebildet: Danach genügt es, wenn ein Vermieter V einen Dritten beauftragt, in seinem Bürohochhaus eine kleine Stromerzeugungsanlage zu betreiben, wenn der Strom durch den Dritten an V und durch V an seine Mieter, also an Letztverbraucher, geleistet wird.

Beherrschungselement des Begriffes „lassen“

Nun muss man kritischen Zollbeamten darin Recht geben, dass man nicht jedesmal, wenn man Strom aus einer kleinen Stromerzeugungsanlage kauft, gleich die Anlage vom Anlagenbetreiber für sich betreiben lässt. Auch ein Kinobesucher, der sich nur einmal einen bestimmten Film ansieht, lässt damit die Produktionsfirma noch keinen Film für sich drehen. Ein bloßer Zwischenhändler, der nur einmalig für einen Monat eine Teilmenge Strom aus einer KWK-Anlage ankauft, lässt diese Anlage noch nicht für sich betreiben. Derjenige, der einen anderen etwas tun „lässt“, veranlasst hingegen dieses Handeln und hat Anspruch auf das Ergebnis dieses Handelns, wie eben derjenige, der ein anderes Unternehmen Filme für sich produzieren lässt. Insofern steckt im Begriff „lassen“ auch ein Beherrschungselement.

Dieses Beherrschungselement kann durch gesellschaftsrechtlichen Einfluss erfüllt sein. Ein solcher gesellschaftsrechtlicher Einfluss liegt vor, wenn der strombeziehende Versorger an dem stromliefernden Anlagenbetreiber mehrheitlich beteiligt ist oder etwa die Besetzung der Geschäftsführung des Anlagenbetreibers maßgeblich beeinflussen kann. Ein solcher gesellschaftsrechtlicher Einfluss ist allerdings kein notwendiges Kriterium, sondern nur eine von mehreren Möglichkeiten, dem Beherrschungselement im Wort „lassen“ zu genügen.

Auch ohne eine solche gesellschaftsrechtliche Beherrschung kann das Beherrschungselement des Wortes „lassen“ erfüllt sein, wenn der Versorger vom Anlagenbetreiber den Strom aus der kleinen Erzeugungsanlage langfristig und ausschließlich ankauft. Das Exklusiv-Recht zum Stromankauf hat der Versorger, wenn er mit dem Anlagenbetreiber vereinbart hat, dass dieser den Strom anderweitig überhaupt nicht verkaufen darf. Die bloße Abwicklung der Einspeiseverpflichtung nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) oder Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWKG) reicht insoweit nicht, weil der Anlagenbetreiber dann jeden Monat zu einer Direktvermarktung an einen anderen Käufer wechseln dürfte. Langfristig ist ein Stromankauf erst dann, wenn er für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr angelegt ist. Es kommt nur auf den Ankauf des Stroms an, nicht auch auf den Ankauf einer ggf. zugleich erzeugten Wärme. Denn § 9 Abs. 1 Nr. 3 b) StromStG setzt ja nur eine kleine Stromerzeugungsanlage voraus, nicht unbedingt eine KWK-Anlage.

Unerheblich für das Beherrschungselement ist, ob der Versorger auch den Brennstoff für die Stromerzeugungsanlage, die der Andere betreibt, beschafft. Unerheblich ist auch, wenn der Versorger keinerlei technische Einsatzsteuerung der Anlage vorgibt und die Anlage insoweit nicht technisch beherrscht. Das würde nämlich dem Trennungselement des Wortes „lassen“ widersprechen.

Ein solches Verständnis des „Betreiben-Lassen“ entspricht auch dem Sinn und Zweck der Stromsteuerbefreiung für dezentrale kleine Stromerzeugungsanlagen. Dem Anlagenbetreiber wird keine Stromsteuerbefreiung genommen, denn dessen Verkauf an einen Versorger ist ohnehin stromsteuerfrei. Dem Versorger, der einen anderen eine Anlage betreiben lässt, steht die Befreiung nach dem klaren Wortlaut in § 9 Abs. 1 Nr. 3 b) Fall 2 StromStG zu, was sachgerecht ist, weil er dem Anlagenbetreiber das Stromvermarktungsrisiko langfristig und vollständig abnimmt. Zu beachten ist allerdings, dass der Eigenverbrauch des Versorgers, der einen anderen eine Anlage betreiben lässt und von diesem den Strom ankauft, nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG nicht steuerbefreit ist (weder nach Buchstabe a) noch nach Buchstabe b)). Es kommt also darauf an, dass der Strom vom Versorger wirklich an Letztverbraucher geleistet wird.

Dass dies manche Hauptzollämter anders sehen wollen, sollte man nicht hinnehmen. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte noch Zweck der Stromsteuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 b) Fall 2 StromStG geben eine solche Auslegung her. Statt „Leben und Sterben lassen“ sollte daher für die beiden Fälle in § 9 Abs. 1 Nr. 3 b) StromStG stets gelten: Leben und Leben lassen!

Ansprechpartner: Daniel Schiebold/Klaus-Peter Schönrock/Niko Liebheit

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