Nach der Anzeige ist vor der Anzeige: Wie geht es weiter mit individuellen Netzentgelten für stromintensive Letztverbraucher?

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Netzbetreiber müssen der Regulierungsbehörde anzeigen, dass sie mit Kunden mit besonders intensivem oder atypischem Stromverbrauch individuelle Netzentgelte vereinbaren. Für diese Anzeige gibt es nach § 19 Abs. 2 StromNEV eine Frist, die Ende letzten Monats abgelaufen ist. Erste Eingangsbestätigungen wurden von den Regulierungsbehörden bereits versandt. Je nach Situation bzw. vertraglicher Ausgestaltung müssen die Netzbetreiber mit Anzeige des Netzentgelts oder Zugang der Eingangsbestätigung, spätestens jedoch nach Ablauf des Jahres 2014, gegenüber dem Letztverbraucher das vereinbarte individuelle Netzentgelt abrechnen und überzahlte Beträge aus dem Kalenderjahr 2014 zurückzahlen.

Für viele stromintensive Letztverbraucher geht es um viel Geld: Sie konnten teilweise sehr günstige Vereinbarungen abschließen und haben die maximal mögliche Reduktion auf 10/15/20 Prozent des allgemeinen Netzentgelts ausgeschöpft. Für andere Unternehmen bleibt die Reduktion jedoch hinter dem bis Ende des Jahres 2013 festgesetzten „Deckel“ zurück. Dies kann zahlreiche Ursachen haben. Oft ist aufgrund der individuellen Anschlusssituation keine weiterreichende Reduktion möglich. In einigen Fällen konnten bis zum Fristablauf die relevanten Prämissen nicht ausdiskutiert werden. Dann könnte eine weitere Reduzierung noch möglich sein. Einzelne Letztverbraucher haben daher beantragt, die Anzeigefrist bis zum 31.12.2014 zu verlängern, damit sie ihre individuellen Netzentgelte möglichst noch mit Wirkung für das Jahr 2014 optimieren können.

Hintergrund: Ermittlung des individuellen Netzentgelts

Das individuelle Netzentgelt soll (vereinfacht ausgedrückt) widerspiegeln, dass die stromintensiven Unternehmen durch ihr Abnahmeverhalten helfen, das Netz zu stabilisieren. Wie genau dies in der Berechnung des individuellen Netzentgeltes umzusetzen ist, hat die Bundesnetzagentur (BNezA) Ende vergangenen Jahres in einer rechtlich verbindlichen Festlegung (BK4-13-739) vorgegeben.

Danach kommt es auf die Kosten des physikalischen Pfades an, der ausgehend vom Netzanschlusspunkt zu einer geeigneten Erzeugungsanlage bzw. zu einem geeigneten Netzknotenpunkt führt. Die Kosten sollen eine fiktive Leitungsnutzung über tatsächlich vorhandene Trassen abbilden und setzen sich im Wesentlichen zusammen aus den Kosten für die Betriebsmittelnutzung (operative Kosten und Kapitalkosten), für Verlustenergie und gegebenenfalls Netzreservekapazität, im Fall der Berechnung zu einem Netzknoten zuzüglich der Kosten für die Nutzung der vorgelagerten Netzebenen. Für den Netzbetreiber ist die Netzentgeltreduzierung ein durchlaufender Posten: Er soll entgangene Erlöse vom Übertragungsnetzbetreiber in vollem Umfang erstattet bekommen.

Neben der Festlegung hat die BNetzA weitere – rechtlich gesehen jedoch unverbindliche – Dokumente veröffentlicht, um die zum Teil missverständlichen oder unklaren Regelungen der Festlegung zu konkretisieren. Dazu zählen beispielsweise die sogenannten FAQ zur Festlegung und ein Berechnungstool für die Darstellung der Kosten des physikalischen Pfades.

Wann sind weitergehende Reduzierungen möglich?

Da die Zeit für die Anzeigeerstattung zum 30.9.2014 eng bemessen und die Zahl der zu berechnenden individuellen Netzentgelte groß war, mussten die Netzbetreiber die individuellen Netzentgelte auf Grundlage der zum Teil widersprüchlichen Aussagen der BNetzA in der Festlegung und den FAQ, dem Berechnungstool und einzelner Vorgaben der Verbände berechnen. Dies hat in einigen Fällen dazu geführt, dass abweichend von der Intention des Gesetzgebers und den Vorgaben der Festlegung der BNetzA nicht die für den Letztverbraucher wirtschaftlich günstigste Lösung gefunden wurde.

Neben den grundsätzlichen Unsicherheiten bei der Berechnung des physikalischen Pfads gibt es auch noch andere Gründe, warum die Netzentgelte für manche Letztverbraucher ungünster berechnet wurden als möglich:

Berechnung der Kapitalkosten des physikalischen Pfads

Das rechtlich unverbindliche Berechnungstool der BNetzA bedient sich für die Berechnung der Kapitalkosten des physikalischen Pfads einer Formel, um die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung sowie die kalkulatorische Gewerbesteuer zu ermitteln, die rechtlich und energiewirtschaftlich kritisch zu bewerten ist. Bezogen auf das individuelle Netzentgelt insgesamt kann es zu jährlichen Mehrkosten in Höhe von ca. 10 bis 15 Prozent führen, die Kapitalkosten auf diese Weise zu berechnen.

Berechnung der Verlustenergiemenge

Einige Netzbetreiber hatten sich auf eine Auslegungshilfe des BDEW verlassen und die Verlustenergiemenge von einzelnen Netzbetreibern pauschal nach dem Verlustebenenprozentsatz der betroffenen Netzebenen bestimmt. Dies kann im Einzelfall zu überhöhten Verlustenergiekosten führen, wenn der physikalische Pfad im Netz des jeweiligen Netzbetreibers nur über kurze Strecken bzw. nur über wenige Betriebsmittel der relevanten Netz- oder Umspannebene führt. Zu einem sehr viel günstigeren Ergebnis gelangt man, wenn man die Verlustenergiemenge den einzelnen Betriebsmitteln des physikalischen Pfads zuordnet.

Alternativer physikalischer Pfad

Nach den FAQ soll es ausgeschlossen sein, den physikalischen Pfad zu einer Erzeugungsanlage in einer Kundenanlage zu berechnen, die nicht vollständig physikalisch in ein Netz einspeist. Handelt es sich um eine wärmegeführte KWK-Anlage, soll dies nur unter erheblich engeren Voraussetzungen möglich sein als nach der Festlegung. Entsprechend haben Netzbetreiber unter Berufung auf die FAQ abgelehnt, die Netzentgelte zu möglicherweise wirtschaftlich günstigeren Erzeugungsanlagen zu berechnen. Da die FAQ nicht rechtlich verbindlich sind und weit über die Vorgaben der Festlegung hinausgehen, lässt sich hier möglicherweise im Einvernehmen mit dem betroffenen Netzbetreiber eine Lösung finden. Die wirtschaftliche Bedeutung hängt dabei von den Gegebenheiten vor Ort ab.

Was ist zu tun?

Ob sich die Netzentgelte noch im Jahr 2014 oder in der Zukunft – gegebenenfalls in Abstimmung mit dem Netzbetreiber – weiter senken lassen, lässt sich nicht pauschal beurteilen. Das konkrete Vorgehen hängt davon ab, was genau vertraglich vereinbart ist und ob mit der Anzeige des bisherigen Entgelts beantragt wurde, die Anzeigefrist zu verlängern. Gegebenenfalls könnte man die Rechtsfragen in einem regulierungsbehördlichen Verfahren mit gegebenenfalls anschließender gerichtlicher Entscheidung prüfen lassen.

Ansprechpartner BBH: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Tigran Heymann
Ansprechpartner BBHC: Peter Bergmann

 

 

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