Vollständige Netzentgeltbefreiung adé: Kabinett verabschiedet Änderung der Stromnetzentgeltverordnung

(c) BBH
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Die Frage, wie und wann stromintensive Unternehmen vor zu hoher Belastung durch Netzentgelte geschützt werden sollen, ist bekanntlich seit einigen Monaten DAS Sorgenkind der Energiepolitik (wir berichteten). Zuerst hatte das OLG Düsseldorf im März dieses Jahres die vollständige Netzentgeltbefreiung (§ 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV) für rechtswidrig erklärt, weil sie gegen nationales (Verfassungs-)Recht verstoße. Dann kam auch noch die Europäische Kommission zu der vorläufige Bewertung, dass die Regelung gegen europäisches Beihilfenrecht verstößt (wir berichteten). Spätestens da war klar – der deutsche Verordnungsgeber musste schnell reagieren. Das „Ob“ war also keine Frage, über das „Wie“ der neuen Regelung wurde allerdings intensiv gerungen. Doch auch diese Diskussion scheint sich dem Ende zuzuneigen. Das Bundeskabinett hat am 29.5.2013 eine Verordnung zur Änderung von Verordnungen auf dem Gebiet des Energiewirtschaftsrechts verabschiedet, durch die insbesondere der § 19 Abs. 2 StromNEV neu gefasst werden soll.

Wesentliche Inhalte

Wichtigste Änderung der neuen Regelung ist, dass die vollständige Netzentgeltbefreiung stromintensiver Unternehmen wegfällt. An ihre Stelle soll nun ein gestaffeltes reduziertes Netzentgelt treten. Die Reduktion gibt es nach wie vor für stromintensive Unternehmen ab einem Jahresverbrauch von 10 GWh und 7.000 Jahresbenutzungsstunden. Der ursprüngliche Plan, die Mindestgrenze auf 7.250 Benutzungsstunden anzuheben, ist also vom Tisch.

Die Regelung sieht bis Ende 2013 eine feste Reduzierung der Netzentgelte vor:

  • ab 7.000 Benutzungsstunden werden die Netzentgelte auf 20 Prozent des allgemeinen Netzentgeltes abgesenkt,
  • ab 7.500 Benutzungsstunden auf 15 Prozent und
  • ab 8.000 Benutzungsstunden soll es die maximale Begrenzung auf 10 Prozent geben.

Ab dem Jahr 2014 steigen jedoch die Voraussetzungen. Dann soll die Netzentgeltreduzierung auf maximal 20 Prozent, 15 Prozent oder 10 Prozent jeweils nach dem individuellen Beitrag zur Netzentlastung berechnet werden. Wie dieser Beitrag genau zu bestimmen ist, lässt der Verordnungsgeber allerdings offen.

Zudem soll es künftig keine unbefristeten Genehmigungen geben. Die Verordnung sieht vor, dass Genehmigungen befristet in der Regel bis zum Ende der Regulierungsperiode erteilt werden und nur noch die Letztverbraucher selbst Anträge dazu stellen können. Anträge, über die die Genehmigungsbehörde bis zum Inkrafttreten der Regelung noch nicht entschieden hat, sollen gemäß § 32 Abs. 7 StromNEV nach den neuen Vorschriften  behandelt werden.

Doch nicht nur an den Netzentgeltzahlungen der stromintensiven Unternehmen, sondern auch an der Umwälzung der Erlöse, die den Netzbetreibern dadurch entgehen (§-19-Umlage), hat der Verordnungsgeber geschraubt. Zwar soll diese nach wie vor entsprechend den Vorschriften des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes (KWKG) erhoben werden. Eine Reduzierung der Umlage soll es aber künftig erst ab 1.000.000 kWh (und nicht wie ursprünglich ab 100.000 kWh) geben.

Verbliebene Baustellen

Trotz der vielen Neuerungen sind zahlreiche Baustellen im Zusammenhang mit dem § 19 Abs. 2 StromNEV noch offen geblieben:

  • So bleibt zum Beispiel unklar, ob die Reduzierungsregelung des § 32 Abs. 7 StromNEV für die bislang noch nicht beschiedenen Anträge für den gesamten beantragten Zeitraum oder aber lediglich für die Jahre ab 2012 gilt. Die vielfach geforderte klare Regelung für das Jahr 2011 ist ausgeblieben.
  • Und auch über das Schicksal der bereits erteilten Genehmigungen lässt uns der Verordnungsgeber im Unklaren. Regelungen hierzu sucht man im neuen Gesetz vergeblich. Und das trotz der drohenden Gefahr, dass nach enstprechenden  Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH)  in den laufenden Gerichtsverfahren oder der EU-Kommission die Bescheide aufgehoben und Nachzahlung gefordert werden könnte.
  • Unerfüllt blieb auch die Forderung, eine klare Regelung für Betreiber geschlossener Verteilernetze einzuführen, die entgangenen Erlöse über den bundesweiten Belastungsausgleich geltend zu machen. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) an ihrer Auffassung festhalten wird, dass Betreibern geschlossener Verteilernetze kein Anspruch auf Erstattung der aufgrund des § 19 Abs. 2 StromNEV entgangenen Erlöse zusteht, obwohl die Behörde gleichzeitig davon ausgeht, dass Letztverbrauchern in diesen Netzen ein solcher Anspruch auf Netznutzungsentgelt-Reduzierung zukommt.
  • Schließlich fehlt aber auch die Klarstellung, dass Abschaltungen von Verbrauchslasten gemäß § 13 Abs. 4a und 4b EnWG keinen Einfluss auf die Ermittlung der maßgeblichen Benutzungsstundenzahl haben sollen. Bei Letztverbrauchern, die abschaltbare Leistung bereitstellen und damit zur Netzstabilität beitragen, besteht somit die Gefahr, dass sie aus dem Anwendungsbereich des § 19 Abs. 2 StromNEV wieder herausfallen könnten.

Wie geht es nun weiter?

Trotz der vielen offenen Fragen – das Bundeskabinett ist sich jetzt einig. Offen ist jedoch noch, ob die Länder zustimmen. Der Bundesrat wird sich voraussichtlich am 5.7.2013 mit dem Entwurf beschäftigen. Vielleicht wird sich so die eine oder andere offengebliebene Frage noch klären lassen, bevor die Verordnung – wie vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) vorgesehen – im Sommer in Kraft treten kann.

Ansprechpartner, insbes.: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Thies Christian Hartmann/Stefan Missling/Dr. Tigran Heymann

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