Nacht am helllichten Tag: Wie sich Netzbetreiber auf die partielle Sonnenfinsternis am 20.03.2015 vorbereiten sollten

(c) BBH
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Wenn plötzlich mitten am Tag sich die Sonne verfinstert, ist das für die meisten Menschen in unseren aufgeklärten Zeiten ein schaurig-schönes Schauspiel, aber kein Grund zur Beunruhigung. Für die Energiewirtschaft sieht es anders aus: Eine Sonnenfinsternis löst besondere Netzschwankungen aus, und auf die müssen sich Netzbetreiber einstellen.

Die nächste partielle Sonnenfinsternis in Europa steht am 20.3.2015 bevor, und auch Deutschland wird betroffen sein. Einige Netzbetreiber wurden hierzu bereits von ihren regelzonenverantwortlichen Übertragungsnetzbetreibern informiert. In den Schreiben der Übertragungsnetzbetreiber werden die Bilanzkreisverantwortlichen auf eine bestmögliche viertelstundenscharfe Bewirtschaftung ihrer Bilanzkreise an diesem Tag hingewiesen, und von Netzbetreibern werden Informationen zur installierten und abregelbaren PV-Leistung abgefragt sowie Anpassungsmaßnahmen in der Kaskade (Lastabwurf bzw. Einspeisereduzierung) als mögliche Folge der partiellen Sonnenfinsternis angekündigt werden. Als Reaktion sind erste nachgelagerte Netzbetreiber an ihre sensiblen Großkunden herangetreten, um auf mögliche Versorgungsunterbrechungen hinzuweisen.

Wer als Netzbetreiber mit einer entsprechenden Datenabfrage des Übertragungsnetzbetreibers konfrontiert wird, sollte ihr nachkommen, denn dazu sind Verteilernetzbetreiber nach § 12 Abs. 4 EnWG verpflichtet. Bilanzkreisverantwortliche sind ohnehin bereits nach dem Bilanzkreisvertrag mit dem Übertragungsnetzbetreiber gehalten, ihren Bilanzkreis bestmöglich zu bewirtschaften.

Nachgelagerte Netzbetreiber sind weiter nach § 14 Abs. 1 c EnWG verpflichtet, die Übertragungs- und vorgelagerten  Verteilernetzbetreiber, in deren Netz sie eingebunden sind, in ihren Maßnahmen für die Netzstabilität zu unterstützen, etwa durch Einspeisereduzierung oder Lastabwurf. Diese gesetzliche Mitwirkungspflicht besteht unabhängig davon, ob hierüber eine Vereinbarung („Kaskadenvereinbarung“) abgeschlossen wurde oder nicht.

Die Zusammenarbeit der Netzbetreiber in der Kaskade ist gesetzlich nicht näher geregelt. Wie man die gesetzliche Mitwirkungspflicht genau ausgestaltet (Kommunikationswege, Reaktionszeiten, Abschaltreihenfolge usw.), ist somit unklar. Als Praxishilfe bietet sich der von BDEW und VKU veröffentlichte Praxis-Leitfaden für unterstützende Maßnahmen von Stromnetzbetreibern (inzwischen in der Version 3.0) an. Das Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE arbeitet auf dieser Grundlage eine  Anwendungsregel aus (Kaskadierung von Maßnahmen zur Systemsicherheit – VDE-AR-N4140), die noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll. Spätestens dann werden die Empfehlungen des Praxis-Leitfadens, soweit sie in der Anwendungsregel übernommen werden, gemäß § 49 EnWG mittelbar rechtsverbindlich.

In jedem Fall ist zu empfehlen, sich zu Fragen der operativen und informatorischen Kaskade mit dem vorgelagerten Netzbetreiber vorab zu verständigen. Darüber hinaus sollte sich jeder Netzbetreiber selbst vorbereiten und entsprechende interne technische und organisatorische Vorkehrungen treffen. Zwar ist er gemäß § 13 Abs. 4 EnWG von der Haftung freigestellt, falls es zu einer Maßnahme zur Anpassung der Einspeisung oder Entnahme kommt. Aber das gilt dann nicht, wenn Anpassungsmaßnahmen „fehlerhaft“ durchgeführt werden, etwa weil die Anpassungsmaßnahme unverhältnismäßig oder diskriminierend war. Eine dokumentierte Vorbereitung auf den Ernstfall kann an dieser Stelle Haftungsrisiken vermeiden. Jeder Netzbetreiber sollte etwa über ein Abschaltmanagement, ein Einspeiseranking, festgelegte Informations- und Meldewege und Notfallpläne verfügen. Anpassungsmaßnahmen müssen in der Praxis in zeitkritischen Situationen umgesetzt werden – ohne Vorbereitung können Fehler passieren, die im schlimmsten Fall auch Haftungsfolgen haben.

Der BDEW/VKU-Praxisleitfaden ist ein allgemeingültiges Dokument, das an Verteilernetzbetreiber aller Netzebenen gerichtet ist. Bei der Umsetzung müssen aber noch die lokalen Gegebenheiten berücksichtigt werden. Aufgrund der jeweiligen Netztopologie, Anzahl der angeschlossenen Erzeugungsanlagen und versorgter Letztverbraucher ergeben sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten vor Ort. Die Pflichten aus energiewirtschaftlicher und vor allem technischer Sicht sind je Netz individuell umzusetzen.

Ansprechpartner BBH: Dr. Christian de Wyl/Dr. Thies Christian Hartmann/Dr. Michael Weise
Ansprechpartner BBHC: Peter Bergmann

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