Wie es war in Baden-Württemberg: Reifeprüfung für die Energiewende

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Die Energiewende in Deutschland ist beschlossene Sache: raus aus der Kernenergie, rein in die Erneuerbaren Energien. Trotzdem – man könnte auch sagen: gerade deshalb – reißt der Diskussionsbedarf nicht ab. Viele Fragen sind noch immer offen. Sie betreffen sowohl die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die technische Umsetzung als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende. Dies hat sich auch bei der „Energiekonferenz Baden-Württemberg“ in Stuttgart wieder einmal gezeigt. Die Sozietät Becker Büttner Held (BBH) hatte hierzu Vertreter der Bundes- und Landespolitik sowie Akteure aus der Energiewirtschaft, aus Verbänden und Behörden zusammengetrommelt. Dementsprechend gut gefüllt war auch der Salon des Hotels Steigenberger Graf Zeppelin mit über 100 Konferenzteilnehmern. Gemeinsam ging man der Frage nach: Wie sieht die Zukunft der Energieversorgung in Baden-Württemberg aus?

Warum gerade Baden-Württemberg? Dies hat mehrere Gründe. Zum einen besitzt das Ländle eine sehr starke Wirtschaftskraft – das Bruttoinlandsprodukt ist größer als das von Polen oder Schweden. Um auch in Zukunft nichts davon einzubüßen, muss die Energieversorgung gewährleistet sein. Und Baden-Württemberg braucht viel Energie. In der Vergangenheit wurde rund die Hälfte des Energiebedarfs durch Nutzung der Kernenergie gedeckt. Jetzt muss eine Alternative her. Auf der anderen Seite findet man hier eine Energielandschaft vor, die deutschlandweit einzigartig ist. Zwar geht der Trend auch in anderen Bundesländern in Richtung Rekommunalisierung der Energieversorgung. In Baden-Württemberg ist mit der EnBW aber sogar ein Großversorger im Landesbesitz. Dies kann als Chance und als Vorreiterrolle für ganz Deutschland begriffen werden. Die Infrastruktur für regenerative Energiegewinnung ist außerdem relativ unvorbelastet: Es gibt bisher kaum Onshore-Windkraft – es ist noch alles offen. Aus diesen Gründen ist das Musterländle tatsächlich eine Art Reifeprüfung für die Energiewende, die weitere Impulse geben kann. „Wenn die Energiewende hier gelingt, dann gelingt sie auch in ganz Deutschland. Wenn sie hier scheitert, scheitert sie auch deutschlandweit.“, so brachte Christian Held, Partner bei BBH, seine Begrüßungsrede auf den Punkt. Zusammen mit dem Stuttgarter Kollegen Jürgen Tschiesche übernahm er die Moderation der ganztägigen Konferenz. Wie der Bürger bei der Umsetzung der Energiewende beteiligt werden kann, dies war Thema des anschließenden Vortrages von Jürgen Tschiesche. Der BBH-Partner, von Hause aus Wirtschaftsprüfer, betonte die Akzeptanz der Bürger, wenn es nun um konkrete Kraftwerksprojekte geht. Gerade bei der Standortwahl für Windkraftanlagen hat auch die Landesregierung selbst den Bürger im Blick, so geht es jedenfalls aus dem Winderlass Baden-Württemberg vom 9.5.2012 hervor. Für eine wirtschaftliche Beteiligung der Bürger, so Tschiesche, sind verschiedene Modelle möglich; diese reichen von einer bloßen Kapitalbeteiligung bis hin zu gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen inklusive hohem Mitspracherecht und unternehmerischem Risiko.

Die Energiewende ist ein Beschluss der Bundesregierung. Ein Vertreter der Bundespolitik durfte deshalb auch bei der Energiekonferenz Baden-Württemberg nicht fehlen. Mit Thomas Bareiß, dem Koordinator für Energiepolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatte man einen prominenten Experten eingeladen. Die Energiepolitik ist der zentrale Baustein für die Wachstumsentwicklung der kommenden Jahre, beschwor der studierte Betriebswirt. Er sprach sich dafür aus, neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien auch die Energiepreise und die Energiesicherheit im Blick zu behalten. Daneben würde die konventionelle Energieerzeugung durch Kohle und Gas in den nächsten Jahren weiterhin eine große Rolle spielen und eine Abstimmung mit den Erneuerbaren Energien notwendig machen. Ein geeignetes Marktdesign mit weniger bürokratischem Aufwand für die Energiewirtschaft müsse dafür unbedingt entwickelt werden. Dies sei die Aufgabe eines Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2.0. Schließlich liege es ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Politik, den Zubau von Erneuerbaren Energien mit dem Netzausbau zu synchronisieren. Dies sei bisher vernachlässigt worden.

Klar: Damit der Strom fließt, braucht es Netze. Und wird der Strom dezentral erzeugt, werden umso mehr Netze benötigt. Wer aber soll das bezahlen? Diese Frage beschäftigte das Plenum in der folgenden Diskussion mit Vertretern der Landespolitik. Besonders die Anbindung von Offshore-Windparks an das bestehende Netz bringt Kosten mit sich, die schnell in den Milliardenbereich gehen. Ob hier private Investoren genügend Anreize sehen, Kapital einfließen zu lassen, wird sich noch zeigen. Auch die Haftungsregelungen für Strom-Ausfälle müssen hier noch genauer geregelt werden. Die Zukunft für Baden-Württemberg sehen Hermann-Josef Pelgrim (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Schwäbisch-Hall, und der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) ohnehin weniger im Offshore-Bereich. Stattdessen setzen sie auf Erzeugung vor Ort: Strom muss hier im Land erzeugt und nicht woanders hergeholt werden, sagte Palmer. Besonders der Ausbau der Onshore-Windkraft sei von der Landesregierung bisher nicht genug vorangetrieben worden. Unverzichtbar sei außerdem die Etablierung eines regulierten Kapazitätsmarktes, um Investitionen in den Kraftwerksausbau zu ermöglichen. Oberste Priorität hat für Palmer dabei die Versorgungssicherheit. Paul Nemeth, Energiepolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, traut dem Offshore-Strom um einiges mehr zu. Er plädierte dafür, dem Strom von der Küste eine Chance zu geben, weil darin ein enormes Potential liege. Denn Nemeth ist überzeugt: Auch wenn beträchtliche Investitionen notwendig sind und zunächst die großen Energieversorger davon profitieren, wird die Offshore-Stromerzeugung in Zukunft einmal grundlastfähig sein.

Gibt es überhaupt ein Problem damit, unseren Energiebedarf in Zukunft zu decken? Oder haben wir ganz im Gegenteil sogar einen Stromüberschuss? Johannes van Bergen, Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch-Hall, ist sich sicher: „Wir produzieren so viel Strom in Deutschland, uns läuft das Zeug schon aus beiden Ohren heraus!“ Will heißen: Stromerzeugung ist eine Sache, wir benötigen aber ebenso intelligente Netze, die das Zusammenspiel von Erzeugung, Netzmanagement und Verbrauch effizient steuern sowie die passenden Speicher. In diesem Zusammenhang wurde auch die Frage angerissen, ob konventionelle Kraftwerke abschalten dürfen, wenn sie durch den Einspeisevorrang der Erneuerbaren unprofitabel geworden sind. Gleichzeitig muss aber auch überlegt werden: Wohin überhaupt mit überschüssigem Strom? Eine Möglichkeit könnte darin liegen, mit Hilfe der Power-to-Gas-Technik diesen Strom in synthetisches Erdgas umzuwandeln. Dass neben der Förderung des regenerativ erzeugten Stroms und des Netzausbaus auch die Forschung nicht zu kurz kommen darf, darin waren sich alle Konferenzteilnehmer einig. Vor allem was die Speichermöglichkeiten des Stroms betrifft, brauchen wir hier neue, innovative Technologien.

Trotz des Schwerpunktes Baden-Württemberg wurde mit derartigen Fragestellungen auch immer wieder Bezug auf die gesamtdeutsche Situation genommen. Mehr noch: Christian Held betonte, dass die Energiewende keineswegs einen deutschen Sonderweg, sondern der Weg in eine klimafreundliche Stromerzeugung vielmehr einen europäischen Trend darstellt: Die von Energiekommissar Oettinger vorgestellte Energy Roadmap 2050 wurde von den Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten mit Ausnahme von Polen grundsätzlich gebilligt und fand auch im zuständigen Fachausschuss des Europaparlaments breite Zustimmung. Diese Roadmap sieht auch langfristig den klaren Trend, die Energiewirtschaft weitgehend CO2-frei zu entwicklen. Auch sind mögliche Energieengpässe nicht automatisch auf den Ausstieg aus der Kernenergie zurückzuführen – hatte doch auch Frankreich Anfang dieses Jahres nicht genügend Stromreserven und musste auf Importe – gerade aus Deutschland – zurückgreifen.

Das Regelungsdickicht für den Energiesektor in Deutschland wuchert. Das bekommt die Energiewirtschaft tagtäglich zu spüren. Christian Held warnte hier deshalb eindringlich vor einer Komplexitätsfalle auf dem Energiemarkt (zu „den 10.550“ siehe hier). Die wachsende Bürokratisierung durch die Energiewende verursache zusätzlich einen Kostenfaktor, so sehen es die Vertreter der Energiewirtschaft. Das große Thema Regulierung vs. Marktmechanismus führte das Plenum schließlich in die nächste spannende Diskussion. Der These eines Zuviels an Regulierung konnte Boris Palmer nur beipflichten. Das EEG hält er für die nächsten Jahre für unverzichtbar. Paul Nemeths Aussage, dass das EEG erst dann letztendlich ein Erfolg ist, wenn es überflüssig geworden ist, wies in dieselbe Richtung.

„Auf der Suche nach dem Masterplan“, so könnte der Titel lauten, würde man über die Energiewende einen Film drehen. Ein Masterplan würde schon alles richten: den detaillierten Netzausbau, die Kosten, die Marktintegration der Erneuerbaren Energien. Einfach alles. Mittlerweile ist der Masterplan der Energiewende eine Frage des Glaubens geworden, der fast schon religiöse Konnotationen angenommen hat. Aber auch die ersten Zweifler tun sich hervor: Ob es so etwas wie den Masterplan überhaupt geben kann? Sind es nicht immer die kleinen – sicherlich aufeinander abgestimmten – Schritte, die ans Ziel bringen? Hermann-Josef Pelgrim ist überzeugt: Ein Masterplan darf uns nicht davon abhalten, jeden Tag einen Schritt nach vorne zu gehen. Das heißt also, ob es einen Masterplan gibt oder nicht spielt für unser Hier und Jetzt gar keine so große Rolle – die Entwicklung eines solchen darf uns nicht lähmen oder uns untätig werden lassen.

In der Nachmittagssession waren zunächst alle Augen auf Karl Greißing gerichtet, dem Ministerialdirigenten und Leiter der Energiewirtschaft im Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Er stand Jürgen Tschiesche im Interview Rede und Antwort und legte dar, wie sich die Landesregierung die Zukunft vorstellt. In diesem Zusammenhang musste er sich auch Kritik gefallen lassen. Diese betraf den von der Energiekartellbehörde entwickelten Musterkriterienkatalog für die Konzessionsvergabe. Dem Vorwurf, alle Kommunen über einen Kamm zu scheren, entgegnete er mit dem Argument eines transparenten und funktionierenden Wettbewerbs. Dies sei das oberste Ziel des Musterkriterienkataloges gewesen.

Nun waren die Vertreter aus der lokalen Energiewirtschaft am Zug. Mit Hilfe kurzer Impulsvorträge machten sie deutlich, wie sie in Zukunft dafür sorgen wollen, dass Baden-Württemberg nicht das Licht ausgeht. Investitionen in KWK- und PV- sowie Windkraft-Anlagen gehören hier ebenso dazu wie die verstärkte Förderung der Energieeffizienz und des Fernwärmebereichs. Auch Biogasanlagen stellen teilweise eine Option für die Energielandschaft im Ländle dar. Die Vorträge mündeten in eine rege Diskussion über die lokalen Erzeugungsstrukturen, die den Konferenztag ausklingen ließ.

Eine Konferenz endet selten mit eindeutigen Lösungen nach dem Motto: „So wird´s gemacht!“ Die Umsetzung der Energiewende ist ein komplexes, mehrstufiges Verfahren. Was im Rahmen dieser Veranstaltung getan wurde, ist Weichenstellungen zu überlegen: Welche Richtung schlagen wir ein? Welche Schwierigkeiten könnten sich daraus ergeben? Welche Konsequenzen haben diese und jene Entscheidungen? Wenn diese zu den richtigen Antworten führen, dann kann die Energiewende ein Erfolg werden; nicht nur, aber eben auch in Baden-Württemberg.

Ansprechpartner: Prof. Christian Held/Prof. Dr. Ines Zenke

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