10.550 Normen: Von der Komplexität des Energierechts

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Energie ist ein komplexes Geschäft. Die Energiewende hat es nicht weniger komplex gemacht. Wo Komplexität ist, muss man sie reduzieren, damit Angelegenheiten verständlicher und greifbarer werden – aber wie? Dieser Frage hat nicht umsonst der berühmte Soziologe Niklas Luhmann einen erheblichen Teil seines wissenschaftlichen Lebenswerks gewidmet.

Dem Drang, Komplexität zu reduzieren, ist auch die Tatsache geschuldet, dass es heute sogar einen Index für die Energiewende gibt. Der Deutsche Energiewende-Index (DEX) soll auf einen Blick sagen, wie es um die Energiewende steht, genauso wie uns der Deutsche Aktienindex (DAX) sagen soll, wie es der Wirtschaft geht.

Man muss nun zugeben, dass auch die Juristen nicht unschuldig sind an der Komplexität. Die Gesetzessammlung mit dem knackig-kurzen Titel „Energierecht“ im dtv-Verlag begann 2001 mit schlanken 462 Seiten. In der aktuellen 9. Auflage braucht es 1.536 Seiten, um die Materie zu bändigen. Das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) von 1998, mit dem die Liberalisierung begleitet werden sollte, hatte 19 Paragrafen. Das EnWG von heute hat 187 (und wieviele Buchstaben-Paragrafen darunter sind, kann man daran ermessen, dass der letzte in der Reihe gerade mal § 118b ist).

Dabei kann man sich ja durchaus fragen, was das Energierecht eigentlich ist. Dem Wortlaut nach ist das das Recht, das sich auf Energie bezieht. Um es etwas konkreter zu fassen, wird dann oft gesagt, es sei das Recht, das sich auf die Energiewirtschaft bezieht. Letztlich ist das aber alles ungenau. Denn natürlich gibt es Recht, welches für Unternehmen der Energiewirtschaft genauso wichtig ist wie für andere Unternehmen. Zum Beispiel gilt das allgemeine Schuldrecht oder das Umsatzsteuerrecht für EVUs wie für Räuchermännchenmanufakturen. Auf der anderen Seite gibt es Regeln, die sich zwar primär an Energiewirtschaftsunternehmen richten, aber dann doch auch wieder für Nicht-EVUs Auswirkungen haben, weil diese halt auch mit Energie umgehen. Als Beispiele seien hier nur Industrieunternehmen und Wohnungsgesellschaften genannt.

Eine Übersicht, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, kommt auf astronomische Zahlen. Mindestens 10.550 Normen sind für ein Energieunternehmen aktiv zu beachten oder zumindest im Hinterkopf zu behalten. Als diese Information einen Professor in einem naturwissenschaftlichen Gebiet erreichte, wusste der nur noch zu sagen: „Und im Studium dachte ich noch, dass Oberflächenspannung kompliziert sei.“ Für die geneigten Leser des BBH-Blogs haben wir das mal in einem Bild versucht zusammenzufassen.

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Kaum malt man so ein Bild, ist es auch schon wieder veraltet. Auf den unterschiedlichsten Stufen entsteht permament neues Energierecht. Die EU, der Bund, die Länder, teilweise die Kommunen, jeder hat seine Vorstellungen und will seine Themen platzieren und regeln. Und das würde bereits voraussetzen, dass auf jeder staatlichen Ebene eine einheitliche Meinungsbildung existiert. Faktisch gibt es dann aber noch Partikularinteressen, die in jedem Ministerium und allen Generaldirektionen in Europa gehegt werden.

Was ist die Konsequenz aus alledem? Wäre es an der Zeit, ein EnGB, ein Energiegesetzbuch, zu schaffen? Das wäre löblich, könnte aber das Schicksal des UGB, des Umweltgesetzbuches, teilen. Dieses ist seit Jahrzehnten in Arbeit und am Ende dennoch gescheitert. Gleichwohl: Jede gesetzgeberische Maßnahme sollte dem Ideal folgen, sich als Teil eines größeren, umfassenderen Energierechts zu verstehen. Denn wirklich erfolgreich wird die Energiewende nur dann sein, wenn wir alle verfolgten Ziele, seien sie Umweltschutz, Versorgungssicherheit oder die europäische Integration, gemeinsam verfolgen, wenn die Maßnahmen sich gegenseitig stützen anstatt zu unterminieren.

Den durchschnittlichen Nutzer von Energie wird das alles sehr wenig interessieren. Solange das Netz stabil ist, der Strom läuft und der Preis stimmt, ist es egal, welches komplexe Gestrüpp dahinter steckt. … Ein Luxus, den sich weder Politik noch Energierechtsexperten leisten können.

Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Christian Dessau

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