Gasmangel kann kartellrechtlichen Spielraum für Kooperationen ausweiten

Kooperationen zwischen Wettbewerbern sind kartellrechtlich risikoreich. Insbesondere bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Entwicklung oder in der Produktion gibt es aber Spielräume. Dazu existieren umfangreiche Regelwerke (EU-Gruppenfreistellungsverordnungen) und Leitlinien der Wettbewerbsbehörden. Diese haben jedoch nicht verhindern können, dass 2021 ein Teil der Automobilhersteller für ihre Zusammenarbeit bei Abgasreinigungstechnologien hohe Geldbußen zahlen mussten. Jetzt zeigt aber eine aktuelle Kooperation der führenden Zuckerproduzenten in Deutschland, dass es auch anders geht: Am 6.9.2022 hat das Bundeskartellamt zur Abfederung der drohenden Gasmangellage diese Zusammenarbeit zugelassen.

Gegenstand der Kooperation

Die Zuckerproduzenten Nordzucker, Südzucker, Pfeifer & Langen und Cosun Beet haben vereinbart, sich gegenseitig Produktionskapazitäten zur Verfügung zu stellen, falls es zu einer staatlichen Kürzung oder Kappung der Gasversorgung in den betroffenen Fabriken kommt. Ein etwaiger Produktionsstillstand hätte u.U. gravierende Folgen und könnte dazu führen, dass große Teile der Rübenernte verderben.

Der Verein der Zuckerindustrie e.V. (VdZ) unterstützt das Vorhaben. Er fragt die an den einzelnen Produktionsstandorten verfügbaren Verarbeitungskapazitäten bei den Zuckerunternehmen ab und führt ein fortlaufendes Monitoring durch, welche Kapazitäten auf freiwilliger Basis bereitgestellt werden können.

Beurteilung der Kartellbehörde

Für das Bundeskartellamt (BKartA) war entscheidend, dass es sich hierbei um eine einmalige und zeitlich bis Juni 2023 befristete Kooperation für den Fall eines Gasnotstandes handelt. Bevor freie Kapazitäten der Wettbewerber genutzt werden können, müssen alle konzernintern verfügbaren Produktionskapazitäten in Deutschland und Europa ausgenutzt sein. Auch die Informationsflüsse zwischen den Unternehmen wurden stark beschränkt, damit die Produktionskosten der Wettbewerber nicht rückverfolgbar sind. Diese sollen unter strenger Geheimhaltung von einem unabhängigen ökonomischen Berater bei den Zuckerunternehmen angefragt und berechnet werden. Weder der konkrete Berechnungsansatz noch die eingesetzten Daten werden an die konkurrierenden Zuckerunternehmen weitergegeben.

Das Amt hat auch anerkannt, dass die Unternehmen wegen des drohenden Notstandes bei der Belieferung von Erdgas erhebliche Anstrengungen unternommen haben, Zuckerfabriken auf andere Brennstoffe wie insbesondere Heizöl und Kohle umzustellen. Bei einigen Fabriken war dies allerdings im Hinblick auf die anstehende Ernte nicht mehr möglich. Zudem wurden einige Werke erst vor Kurzem von Kohle und Öl auf Gas umgerüstet, was nicht mehr rückgängig zu machen war.

Was folgt daraus?

Die Entscheidung des BKartA, die Kooperation der Zuckerproduzenten zu tolerieren, ist auch in der jetzigen Krisenzeit kein Freibrief. Die dargestellten Anforderungen an die Zurverfügungstellung von Produktionskapazitäten sind hoch. Dennoch ist ersichtlich, dass Allgemeinwohlinteressen die Kartellrechtspraxis herausfordern und flexibilisieren.

Das Wettbewerbsrecht sieht grundsätzlich keine behördliche Erlaubnis oder eine Vorabprüfung von freistellungsfähigen Kooperationen vor. Die Unternehmen müssen daher meist selbst einschätzen, ob ihr Verhalten erlaubt ist oder nicht. Die Kartellbehörde kann zwar fallbezogen entscheiden, dass für sie kein Anlass besteht, tätig zu werden. Ein Anspruch auf eine solche Entscheidung besteht bei Kooperationen allerdings nur, wenn ein erhebliches rechtliches und wirtschaftliches Interesse dargelegt werden kann.

In komplexeren Fällen ist es gleichwohl ratsam, die Kartellbehörde einzubeziehen. Nicht selten lassen sich durch flankierende wettbewerbsschützende Maßnahmen rechtliche Risiken der Kooperation vermeiden. Der Abschluss einer solche kartellbehördlichen Überprüfung ist dennoch profan. So hat das BKartA im Fall der Zuckerproduzentenkooperation lediglich entschieden, dass es kein Verfahren zur Prüfung der geplanten Kapazitätskooperation einleitet.

Ansprechpartner*innen: Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch/Dr. Anna Lesinska-Adamson

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