Missbrauchsverfügung gegen ENTEGA in Sachen Heizstrom – Und es gibt sie doch (noch)!
Es gibt sie also doch –, die förmliche Missbrauchsverfügung, die in letzter Zeit so rar geworden ist: Das Bundeskartellamt (BKartA) hat am 20.3.2012 bekannt gegeben, dass es gegen den Darmstädter Energieversorger ENTEGA eine Missbrauchsverfügung wegen kartellrechtlich überhöhter Heizstrompreise in den Jahren 2007 bis 2009 erlassen hat. In den letzten Jahren waren die Kartellbehörden zunehmend dazu übergegangen, gegen Verpflichtungszusagen das Verfahren einzustellen. Doch wie konnte es zu dieser – fast in Vergessenheit geratenen – Maßnahme kommen?
Die jetzt bekannt gewordene Missbrauchsverfügung gegen ENTEGA ist Abschluss und zugleich auch zweifelhafter Höhepunkt einer Welle von bundesweiten Missbrauchsverfahren des BKartA und der Landeskartellbehörden im Bereich der Heizstromversorgung.
Wie alles anfing
Begonnen hatte alles im Herbst 2009: Damals leitete das BKartA gegen insgesamt 19 Heizstromanbieter Kartellverfahren wegen des Verdachts des Preismissbrauchs ein und verlangte dabei zunächst von diesen Unternehmen und sechs Vergleichsunternehmen umfangreiche Auskünfte zur Erlös- und Kostenstruktur in den Jahren 2007 bis 2009. Anknüpfungspunkt waren die §§ 19 , 29 GWB, über dessen geplante Novellierung wir vor kurzem berichteten (Blog vom 26.3.2012 und vom 12.12.2011). Diese Regelungen verbieten marktbeherrschenden Unternehmen, missbräuchlich hohe Preise zu fordern:
Nach Auswertung der erhobenen Daten bestätigte sich ganz überwiegend – mit Ausnahme eines Falls, in dem ein verdächtigter Versorger vergleichsweise geringe Erlöse nachweisen konnte – der Anfangsverdacht des Preismissbrauchs. Vor diesem Hintergrund hatten sich schon im Jahre 2010 die meisten der vom BKartA als „preisauffällig“ eingestuften Unternehmen zu umfangreichen Rückerstattungen von rund 27 Mio. Euro und zu Preissenkungen verpflichtet. Darüber hinaus hatten die betroffenen Unternehmen marktöffnende Maßnahmen wie zum Beispiel die Veröffentlichung ihrer Heizstromtarife im Internet, die Ermittlung temperaturabhängiger Lastprofile und die transparente Veröffentlichung der Lastprofile im Internet zugesagt. Daraufhin wurden diese Verfahren nach § 32b GWB eingestellt.
Wie es wurde, was es ist
ENTEGA hingegen wollte sich auf derartige Zugeständnisse nicht einlassen und zeigte sich von Beginn an kämpferisch:
Bereits gegen die Datenerhebung setzte sich das Unternehmen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beim OLG Düsseldorf zur Wehr, weil es die zugrunde liegende Auskunftsverfügung der Kartellbehörde für rechtswidrig hielt. Da das Gericht jedoch die Rechtmäßigkeit der Auskunftsverfügung bestätigte und der ENTEGA den begehrten Rechtsschutz verweigerte, musste der Versorger die abgefragten Daten an das BKartA liefern. Anhand dieser Daten verglich das BKartA sodann deren Erlöse mit denen anderer Versorger und prüfte, ob sich die vergleichsweise hohen Preise sachlich rechtfertigen ließen. Dabei kam die Kartellbehörde zu der Einschätzung, dass auch die von ENTEGA nachgewiesenen erhöhten Strombeschaffungskosten die preislichen Überhöhungen nicht rechtfertigen konnten.
Weil im weiteren Verlauf des Verfahrens keine Einigung mit der ENTEGA erzielt werden konnte, sah sich das Bundeskartellamt gezwungen, nach § 32 GWB die nun bekannt gewordene Missbrauchsverfügung gegen das Unternehmen zu erlassen. Darin wurde ENTEGA von der Behörde verpflichtet, insgesamt rund 5 Mio. Euro an die etwa 23.000 betroffenen Heizstromkunden zurückzugewähren, was eine durchschnittliche Rückerstattung von 215 Euro nebst Zinsen und Mehrwertsteuer bedeutet.
Wie geht es weiter?
Der bisherige Verlauf des Kartellverfahrens lässt vermuten, dass die letzte Runde des Kampfes noch nicht eingeläutet wurde: Gegen die Verfügung steht der ENTEGA die Beschwerde zum OLG Düsseldorf offen, sollte das Unternehmen eine gerichtlichen Klärung anstreben.
In einem solchen Beschwerdeverfahren wäre die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung dann umfassend auf den Prüfstand gestellt. Spannend wird dann, wie sich das Gericht zu kriegsentscheidenden Fragen der Marktabgrenzung, der Marktbeherrschung, des Erlösvergleichs und der sachlichen Rechtfertigung sowie zum Umfang und den Grenzen von Missbrauchsverfügungen positioniert.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr.Tigran Heymann