BFH zur Rückbeziehungsfiktion: Erwerb von mehreren Veräußerern schließt Anwendbarkeit des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG nicht aus

Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften, deren Anteile in Höhe von mindestens 10 Prozent von einer anderen Kapitalgesellschaft gehalten werden, bleiben im Ergebnis zu 95 Prozent körperschaftsteuerfrei. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beteiligung in Höhe von mindestens 10 Prozent bereits zu Beginn des Kalenderjahres bestand. Doch was gilt, wenn die Beteiligung unterjährig erworben wird? Mit dieser Frage setzte sich der BFH im Urteil vom 6.9.2023 auseinander. Nun liegen die Entscheidungsgründe vor. Leider blieb das erhoffte obiter dictum zur Auslegung der Rückbeziehungsfiktion nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG aus. Dennoch lassen die Urteilsgründe eine gewisse Richtung erkennen.

BFH lockert die Anforderungen

Bei unterjährigem Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent gilt nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG eine Rückwirkungsfiktion, wonach die Privilegierung der Gewinnausschüttungen bereits im Jahr des Erwerbes greift. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Beteiligung durch einen einzigen zivilrechtlichen Erwerb erfolgt.

Anders als die Finanzverwaltung das bisher vertreten hat, stellt der BFH klar, dass die in § 8b Abs. 4 S. 6 KStG angeführte Beteiligungsschwelle (10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals) durch einen aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang auch dann erreicht werden kann, wenn mehrere Veräußerer beteiligt sind. Angesichts des Ausnahmecharakters des § 8 Abs. 4 KStG sei entscheidend, dass durch den Erwerb der Beteiligung von mindestens 10 Prozent ein unternehmerischer Einfluss auf die Entscheidungen der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden kann. Dies müsse zumindest dann gelten, wenn die Mindestbeteiligung aus Erwerbersicht in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang, damit aufgrund eines einheitlichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang erworben wird. Insoweit hat der BFH etwas mehr Rechtssicherheit geschaffen.

Zur Begründung verweist der BFH zum einen auf den Wortlaut und zum anderen auf die Entstehungsgeschichte sowie den Normzweck. Insbesondere eine Zusammenschau von Absatz 1 und 4 sei aussagekräftig. Für Zwecke des Absatz 1 sei es jedenfalls irrelevant, durch wie viele zivilrechtliche Erwerbsvorgänge die Mindestbeteiligungshöhe erzielt worden ist. Dies müsste auch für § 8 Abs. 4 KStG gelten.

Ebenso sei die Systematik des Körperschaftsteuergesetzes zu berücksichtigen, wonach Gewinnausschüttungen von Kapitalgesellschaften an andere Kapitalgesellschaften steuerfrei bleiben sollen. Dabei stelle die Besteuerung von Streubesitzdividenden eine systemwidrige Ausnahme dar, die nicht übermäßig ausgedehnt werden dürfe. Der Zweck der Rückwirkungsfiktion bestehe gerade darin, den Anwendungsbereich der Steuerbefreiung zu erweitern, und müsse daher einen breiteren Anwendungsbereich haben, um unangemessene Ergebnisse zu verhindern.

Folgen für die Praxis

Der BFH schafft mit seinem Urteil etwas mehr Rechtssicherheit hinsichtlich der Auslegung der Rückwirkungsfiktion. § 8b Abs. 4 S. 6 KStG kann auch beim Erwerb von mehreren Veräußerern Anwendung finden. Leider hat der BFH den Begriff des wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgangs nicht weiter definiert. Das Gericht stellt lediglich fest, dass der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent von mehreren Verkäufern jedenfalls dann die Voraussetzungen der Rückbeziehungsfiktion erfüllt, wenn der Erwerb in einer Vertragsurkunde und in derselben logischen Sekunde erfolgt.

Für die Praxis bedeutet das, dass eine Anwendbarkeit des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG auch beim Erwerb von mehreren Veräußerern nicht per se ausgeschlossen ist. Ungeklärt bleibt jedoch, welche Umstände vorliegen müssen, um einen einheitlichen Erwerbsentschluss in kausalem und zeitlichem Zusammenhang annehmen zu können. Insbesondere bei geplanten Anteilserwerben und Umstrukturierungen von Kapitalgesellschaften ist daher eine Beratung und gemeinsame Planung mit Expert*innen notwendig, um sicherzustellen, dass gegebenenfalls auch im Erwerbsjahr von der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 und 4 KStG Gebrauch gemacht werden kann.

Rudolf Böck/Sophia von Hake/Hilda Faut

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