Das Erwachen der Marktmacht: Bundeskartellamt sieht RWE „nahe an der Beherrschungsschwelle“
„RWE ist derzeit zwar nicht marktbeherrschend, steht aber vergleichsweise nahe an der Beherrschungsschwelle“. Mit diesen Worten fasste Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes (BKartA), den Bericht ,,Wettbewerbsverhältnisse im Bereich der Erzeugung elektrischer Energie‘‘ zusammen, den seine Kartellbehörde am 19.12.2019 – pünktlich zum Kinostart von Star Wars 9 in Deutschland – erstmals vorlegte. Wenn die Angebotskapazitäten im Zuge des Atom- und Kohleausstiegs nur geringfügig knapper werden, könnte dies nach diesem sog. Marktmachtbericht dazu führen, dass RWE die Schwelle zur Marktbeherrschung überschreitet.
Das Instrument des Marktmachtberichts wurde bereits 2016 mit dem Strommarktgesetz (wir berichteten) eingeführt. Es geht auf das sog. Weißbuch des Bundeswirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2015 zurück und soll „den Unternehmen Klarheit bei der Beurteilung [verschaffen], ob sie marktbeherrschend sind“. Seither bestimmt § 53 Abs. 3 Satz 2 GWB, dass periodische Berichte über die Markmacht anzufertigen sind. Das Augenmerk liegt dabei auf der Erzeugung von elektrischer Energie, was den zukünftigen Herausforderungen der Energiewende geschuldet ist, die mit Atom- und Kohleausstieg und dem damit verbundenen Ausbau der Erneuerbaren Energien unter besonderer Beobachtung der Kartellbehörde steht. So hatte das BKartA nach langer Vorlaufzeit schon Ende September 2019 einen Leitfaden für die kartellrechtliche und energiegroßhandelsrechtliche Missbrauchsaufsicht im Bereich Stromerzeugung/-großhandel veröffentlicht, der sich mit zulässigen und unzulässigen Preisspitzen im Erzeugungsbereich befasst (wir berichteten).
Der nun veröffentlichte Marktmachtbericht stellt fest, dass RWE 2018 mit einem Anteil von 25,1 Prozent der Erzeugungskapazität und sogar 30,2 Prozent der produzierten Strommenge in Deutschland mit erheblichem Abstand Marktführer bei der Stromerzeugung ist. „Das Unternehmen war erneut in einer erheblichen Anzahl von Stunden für die Deckung der Stromnachfrage unverzichtbar“, so Mundt weiter. Mit der absehbaren Verknappung der Angebotskapazitäten steige die Bedeutung von RWE als größter verbleibender Anbieter überproportional.
Diese Erkenntnis ist aber keinesfalls neu. Zu einem vergleichbaren Befund kamen das BKartA und die Europäische Kommission nämlich auch bereits an anderer Stelle: Ende Februar 2019 erhoben beide Behörden im Rahmen der fusionsrechtlichen Prüfung der umfangreichen Transaktion von E.ON und RWE/innogy (wir berichteten u.a. hier und hier) keine Einwände gegen den Erwerb von regenerativen und atomaren E.ON-Stromerzeugungskapazitäten durch RWE. In der seinerzeitigen Freigabeentscheidung teilte die Kommission – im Tenor gleichlautend zum BKartA – mit, „dass das Vorhaben keinen Anlass zu wettbewerblichen Bedenken in Bezug auf den Europäischen Wirtschaftsraum gibt.“ Schon damals erkannten die Wettbewerbshüter, dass die ohnehin schon starke Stellung der RWE durch allgemeine Veränderungen im Markt perspektivisch noch stärker werden würde, bis hin zur Marktbeherrschung. Trotzdem erhoben sie keine Bedenken gegen den Zusammenschluss, weil sie den Zuwachs an Erzeugungskapazität durch die Transaktion als lediglich geringfügig und teilweise – was die atomaren Kapazitäten betraf – nur vorübergehend einstuften. Entsprechend verzichteten beide Behörden darauf, die Auswirkungen des Erwerbs genauer anzuschauen.
Angesichts der aktuellen Erkenntnisse aus dem Marktmachtbericht verspricht das BKartA nun jedoch, die Situation im Bereich der Stromerzeugung und des Stromgroßhandels in Zukunft ganz genau im Auge zu behalten. Es wird sogar erwogen, den nächsten Bericht nicht in der gesetzlichen Regelfrist von zwei Jahren, sondern bereits 2020 zu veröffentlichen. Gut möglich also, dass dann bereits mehr Klarheit herrscht, ob sich die Machtverhältnisse weiter in Richtung RWE verschoben haben. Wie auch die Star-Wars-Trilogien ziehen die Entwicklungen im Strommarkt den geneigten Zuschauer jedenfalls in den Bann und schreit auch der Marktmachtbericht nach rascher Fortsetzung…
Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann