Design oder Nicht-Design – das ist hier die Strommarkt-Frage

Die Europäische Union gilt ihren Kritikern als vielarmiger Krake, die sich in alles einmischt, alles regulieren will und alles anders macht, als man es bislang gewohnt war. Was soll also nur passieren, wenn sie sich nun das Strommarktdesign vornimmt? Nicht viel, wenn man sich die jüngst von der Kommission angestoßene, bis zum 13.02.2023 laufende Konsultation zu dem Thema genauer anschaut.

Strommarktdesign: Theorie und Praxis

Dass sich die Strompreise in Europa im Zuge des Ukrainekrieges massiv erhöht haben, liegt am Strommarktdesign und nicht daran, dass wir keinen Strom mehr aus Russland importieren. Daher ist es folgerichtig, dass sich die Europäische Kommission dran macht, dieses Marktdesign zu reformieren. Nachdem die Mitgliedsstaaten über den Jahreswechsel nach ihren Vorstellungen gefragt wurden, richtet sich die aktuell veröffentlichte Konsultation an eine breite Öffentlichkeit von Verbänden über Unternehmen bis zur Wissenschaft.

Die gestellten Fragen verraten viel über die analysierten Probleme, die grundsätzliche Stoßrichtung der Kommission – und ihre Ambitionen. Wer die Äußerungen in den letzten Monaten verfolgt hat, wird nicht überrascht sein, dass der Ehrgeiz eher gering ausfällt. Insbesondere aus deutscher Sicht gibt es keinen Vorschlag, der wirklich in das bestehende Design eingriffe.

Bevor es zu den Lösungen geht, ist ein kurzer Blick auf die Analyse der Probleme der Kommission interessant. Als Hauptproblem wird die Verknüpfung der Verbraucherpreise für Strom mit den schwankenden Preissignalen aus den kurzfristigen (fossilen) Brennstoffmärkten identifiziert. Wenn also Kohle und Gas teurer werden, wird auch der Strom teurer (inkl. des Stroms, der nicht aus Kohle- und Gasverbrennung gewonnen wird).

Die Lieblingsidee: Power Purchase Agreements

Die ausdrückliche Lieblingsidee der Kommission sind Power Purchase Agreements (PPAs). Diese sieht sie als gutes Mittel, das gerade genannte Hauptproblem von der Verbraucherseite zu adressieren. Durch das Abschließen von PPAs für zehn oder 20 Jahre könnten Verbraucher sehr viel mehr Stabilität in ihren Energiekosten erhalten. Die Erzeuger auf der anderen Seite erhielten eine langfristige gesicherte Abnahme, die sie ebenfalls dem Preisrisiko nicht weiter aussetzt. Bei Erzeugungstypen, die wie Wind und Sonne nicht an Brennkosten hängen, ist das eine Win-Win-Situation.

PPAs sind weder neu noch regulatorisch beschränkt. Sie werden auch heute schon im Rahmen des bestehenden Marktdesigns abgeschlossen. Daher sieht die Kommission hier „Unterstützungsbedarf“ statt „Veränderungsbedarf“. Ein wesentliches Problem adressiert sie aber nicht: Ein Industrieunternehmen, das rund um die Uhr produziert, braucht immer Strom. Selbst ein PPA für Offshore-Windstrom stellt nicht 24/7/365 Strom bereit. Das Unternehmen oder die Versorger müssen sich also noch um die Strukturierung oder Poollösungen kümmern. Dann steigen die Kosten schnell an, was hierzulande immer wieder auch die Forderung nach grundsätzlicheren Lösungen wie der Einführung eines wettbewerbsfähigen Industriestrompreises nährt.

Die „andere“ Idee: Contracts for Difference

Die „andere“ Idee der Kommission ist die Nutzung von Contracts for Difference (Differenzkontrakte, CfDs). Über einen Differenzkontrakt kann man einen schwankenden Marktpreis stabilisieren, indem eine Partei der anderen verspricht, immer den Ausgleich zwischen einem vereinbarten festen Preis und dem schwankenden Preis zu gewährleisten. Liegt der schwankende Preis also unter dem „Wunschpreis“, dann zahlt die versprechende Partei die Differenz. Liegt er aber höher, bekommt sie die Differenz.

Auch CfDs sind als Konzept nicht neu. In manchen europäischen Ländern werden sie für die Förderung Erneuerbarer Energien genutzt. Auch die geplanten Klimaschutzverträge sollen nach diesem Prinzip funktionieren. Im Kern zielt der Vorschlag der Kommission also darauf ab, insbesondere die öffentliche Förderung von Anlagen (wie EE-Anlagen) auf CfDs umzustellen, damit es eine „eingebaute“ Abschöpfung von höheren Preisen gibt. Auf Deutschland umgemünzt hieße das: Wir müssten unsere EEG-Förderung auf CfDs umstellen. Und die Fragen zeigen, dass das sogar für bereits laufende Förderungen gelten könnte. Im Kontext des Strommarktdesigns würde dies dazu führen, dass mehr Erneuerbare Anlagen gebaut werden, die Betreiber aber nicht von überhöhten Marktpreisen profitieren könnten, sondern die fördernden Staaten dadurch Mittel zurückgewännen.

Offshore-Windparks, Verbraucherschutz und weitere Themen

Die Kommission stellt noch weitere Aspekte zur Diskussion, die in den Kontext gehören, aber weniger das Funktionieren des Marktes selbst und mehr den Zugang zu ihm adressieren.

Wie erwähnt, stehen der Ausbau und die Integration der Erneuerbaren Energien im Fokus. Dazu gehören auch Aspekte wie ein garantierter Netzanschluss für Offshore-Windparks oder die Frage, wie Flexibilitätsprodukte (inkl. Speicher und Demand-Response) angereizt werden können. Daneben stehen Themen wie Verbraucherschutz und Großhandelsmarktüberwachung. Auch hier gilt, dass die Kommission verschiedenste Bausteine anspricht, die aber keine Marktreform benötigen, sondern entweder inkrementelle Entwicklungen wären oder im bestehenden regulatorischen Rahmengerüst bereits möglich sind.

Also keine Aufreger?

Einen Aufreger kann es durchaus geben. Denn die Kommission erwägt, die Abschöpfung der sog. inframarginalen Erzeugungsanlagen (also die, die nicht preissetzend sind, z.B. Atom und EE-Anlagen), die sie mit der Notfallmaßnahmen-Verordnung ermöglicht hat und die im Strompreisbremsengesetz umgesetzt ist, zu verstetigen. Ob die Abschöpfung dann immer erfolgte oder nur automatisch in bestimmten definierten Situationen, gehört zu den Fragen, zu denen man Antworten geben kann.

Keine Weichenstellung durch die Europäische Kommission?

Die Tatsache, dass sich die Kommission bei ihrem Diskussionsvorschlag mit „radikalen“ Ideen zurückhält, kann man begrüßen. Man ist oft gut beraten, beim Eingriff in hochkomplexe Systeme sehr viel Vorsicht walten zu lassen. Man kann es aber auch so werten, dass die Kommission eine Chance vertan oder gar die Notwendigkeit verkannt hat, die Weichen so zu stellen, dass das System in 30 Jahren unter dann gänzlich erneuerbaren Vorzeichen vernünftig funktionieren kann, und zwar sowohl für Stromproduzenten als auch (große) Konsumenten. Vielleicht ist das Problem aber auch „nur“, dass man immer noch unter dem Eindruck der Krise und der Notfallreaktion über den Strommarkt nachdenkt und deshalb im März 2023 einen Vorschlag präsentieren will, anstatt im März 2025 nach intensiven wissenschaftlichen Studien? Mit Spannung darf man erwarten, was im parallelen deutschen Willensbildungsprozess passieren wird – schließlich soll demnächst im Rahmen der Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ endlich auch in Deutschland ernsthaft über den Strommarkt diskutiert werden, was dann hoffentlich die Perspektiven aller Stakeholder aus der Energiewirtschaft, der Industrie und Wissenschaft abbildet. Es wäre schade, wenn die Vorsicht der Kommission die Kreativität der Diskussion trübte.

Hinweis: Die Konsultation steht allen Stakeholdern offen. Die Antwortfrist ist auf den 13.2.2023 gelegt. Die Kommission will dann im März offiziell ihren Vorschlag für das Strommarktdesign vorstellen.

Ansprechpartner*innen: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Christian Dessau

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