Neue Vorgaben der EU-Kommission für den Europäischen Gas- und Wasserstoffmarkt und zur Versorgungssicherheit Gas

Der European Green Deal nimmt weiter Gestalt an. Am 15.12.2021 hat die EU-Kommission Vorschläge zur Gestaltung des Erdgas- und Wasserstoffmarktes veröffentlicht. Es geht um die Änderung der Gasbinnenmarktrichtlinie (GasRL) und der Fernleitungszugangsverordnung  (ErdgasZVO). Im Anhang der ErdgasZVO finden sich zudem bedeutende Vorschläge zur Ergänzung der Verordnung zur Versorgungssicherheit Gas (EU-SOS-GasVO), die vor dem Hintergrund der aktuellen Preisturbulenzen und niedriger Speicherfüllstände besondere Bedeutung haben. Diese Revision des dritten Energiepaketes für Gasmärkte ist eine weitere Konkretisierung des European Green Deal.

Die wesentlichen Regelungen im Überblick:

Gas meint Erdgas und Wasserstoff

Die aktuell geltenden Fassungen der GasRL und der ErdgasZVO sind auf die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas ausgelegt. Unklar blieb dabei, was mit (Erd-)Gas eigentlich gemeint ist. Diese Frage beantwortet die EU-Kommission jetzt.

Nach den vorliegenden Entwürfen ist Gas nicht nur Erdgas, sondern auch Wasserstoff. Von Erdgas wird gesprochen, wenn das Gas hauptsächlich aus Methan besteht oder technisch sicher in das Erdgasnetz eingespeist und transportiert werden kann. Wasserstoff wird hingegen nicht näher bestimmt, was aber auch daran liegt, dass die EU einen technologieoffeneren Ansatz verfolgt, d. h. alle Herstellungspfade zur Wasserstofferzeugung (z. B. Elektrolyse, Dampfreformierung, Methanpyrolyse etc.) erfasst werden.

Gas und Wasserstoff gibt es außerdem als kohlenstoffarme Varianten (low-carbon gas, low-carbon hydrogen), die den Schwellenwert für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen von 70 Prozent erfüllen.

Getrennte Regulierung von Erdgas und Wasserstoff

Beide Entwürfe trennen wie schon das jüngst novellierte Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) klar zwischen der Regulierung von Erdgas- und der von Wasserstoffnetzen. Die Regulierungsvorgaben zum Wasserstoff sollen für alle Wasserstoffnetzbetreiber gelten. Eine Wahlmöglichkeit (opt in) wie im nationalen EnWG vorgesehen besteht nicht.

Im Erdgasbereich bleibt alles wie gehabt: keine Verschärfung der Unbundling-Vorgaben, Beibehaltung der De-minimis-Regelung für Verteilernetzbetreiber mit weniger als 100.000 angeschlossenen Kunden, keine grundlegenden Änderungen beim Netzzugang oder den Netzentgelten. Neu sind Privilegierungen für kohlenstoffarme Gase, wie die vorrangige Einspeisung in das Erdgasnetz, die Gewährleistung von festen Kapazitäten angeschlossener Produktionsanlagen oder reduzierte Netzentgelte. Neu ist auch, dass auf EU-Ebene eine Beimischquote von 5 Prozent Wasserstoff in die Erdgasnetze gilt, die alle Fernleitungsnetzbetreiber an den Grenzübergangspunkten zwischen den Mitgliedsstaaten gewährleisten müssen, wobei die Beimischung grenzüberschreitende Gasflüsse nicht beschränken darf. Ebenfalls neu sind die Regelungen zu den Konsumentenrechten, die den Vorgaben der europäischen Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie (EltRL – RL (EU) 2019/944) entsprechen. Ob die Regelungen zum Smart Meter für Gas oder zu aktiven Kunden, die selbst erneuerbare Gase produzieren, Auswirkungen haben werden, bleibt abzuwarten.

Im Wasserstoffbereich wird wie auch im EnWG nicht zwischen Verteiler- und Fernleitungsnetzen unterschieden. Die Entwurfstexte enthalten sehr weitgehende und strikte Vorgaben zum Unbundling von Wasserstoffnetzbetreibern auf horizontaler und vertikaler Ebene. Zudem finden sich grundsätzliche Vorgaben für einen (zeitlich befristeten) verhandelten oder einen regulierten Netzzugang sowie zur Entgeltbildung. Ab dem 31.12.2030 müssen die Wasserstoffnetzbetreiber das aus dem Erdgasbereich bekannte Entry-Exit-System gewährleisten.

Hohe Hürden für den kombinierten Betrieb von Gas- und Wasserstoffnetzen

Gas- und Wasserstoffnetze kombiniert zu betreiben, wie dies viele Fernleitungs- und Verteilernetzbetreiber gerne würden, wäre mit einer Umsetzung der Regelungen nahezu unmöglich. Anders als im nationalen Recht ist eine horizontale Entflechtung zumindest hinsichtlich der Rechtsform und Organisation erforderlich, wenn der Wasserstoffnetzbetreiber Teil eines in der Fernleitung oder Verteilung von Erdgas oder Strom tätigen Unternehmens ist.

Vorgesehen ist zudem das eigentumsrechtliche Unbundling, wobei die Mitgliedstaaten bei vertikal integrierten Unternehmen auch weniger strenge entflechtungsrechtliche Vorgaben nach den ISO- oder ITO-Modellen einführen können. Das von den nationalen Fernleitungsnetzbetreibern umgesetzte ITO-Modell soll allerdings bis zum 31.12.2030 befristet sein. Dies wird für viel Zündstoff sorgen. Problematisch für Verteilernetzbetreiber ist, dass es hier keine De-minimis-Regelung geben soll, sodass die entflechtungsrechtlichen Vorgaben alle Wasserstoffnetzbetreiber, egal welcher Größe, treffen würden.

Klar bestimmt ist, dass eine Übertragung von Vermögenswerten auf andere Sparten (z.B. auf Wasserstoff) nur zulässig ist, falls damit keine Quersubventionierung verbunden ist. Ausnahmen können die Mitgliedstaaten nur für die Startphase und dies nur unter engen Grenzen zulassen. Im Falle einer Ausnahme sollen Kosten für den Aufbau und Betrieb eines Wasserstoffnetzes dann zumindest teilweise über Einnahmen aus den Gasnetzentgelten gedeckt werden können.

ENTSO-E, ENTSO-G und nun auch ENNOH

Neben dem Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) und dem Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas (ENTSO-G) wird es für Wasserstoffnetzbetreiber einen Verband Europäischen Netzes der Wasserstoffnetzbetreiber (ENNOH) geben. Wie bei den beiden anderen Verbänden ENTSO-E und ENTO-G konzentriert sich die Arbeit der ENNOH vor allem auf die Erstellung und Veröffentlichung von Netzkodizes. Eine enge Zusammenarbeit der Verbände soll insbesondere mit dem Ziel einer integrierten Planung und Entwicklung von Strom-, Gas- und Wasserstoffnetzen erfolgen. Gestärkt wird auch die Rolle der Verteilernetzbetreiber in den für diese relevanten Bereichen.

Versorgungssicherheit Gas

Das Energiepaket soll, wie von der Kommission angekündigt, auch auf die aktuellen erheblichen Turbulenzen auf den Gasmärkten reagieren, und zwar in Form der Ergänzung der EU-SOS-GasVO (Verordnung (EU) 2017/1938).

Vorgesehen sind zum einen eine strategische Speicherreserve, die Netznutzer zu einer Vorhaltung von Mindestmengen in Speichern verpflichtet, sowie Auktionen, die Anreize zur Buchung von Speicherkapazität bieten, ähnlich wie die deutschen Long-Term Options (LTOs) (siehe Kapitel 2.3.1). Drittens soll es eine strategische Speicherreserve geben, die von den Fernleitungsnetzbetreibern beschafft und verwaltet wird. Und schließlich sollen Speicher in das Netz von Fernleitungsnetzbetreibern integriert werden, wenn ansonsten der Netzbetrieb gestoppt werden müsste.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden kontrovers diskutiert werden. Klar ist, dass sie zu spät kommen werden, um auf die aktuellen Gasmarktturbulenzen reagieren zu können. Hier agieren die Vertriebe und Netzbetreiber seit einigen Wochen im absoluten Krisenmodus.

Weiterer Prozess

Die Entwürfe der Kommission werden im nächsten Jahr im Europäischen Parlament und im Rat diskutiert werden. Mit einer Verabschiedung ist nicht vor Ende 2022, eher erst in 2023 zu rechnen. Während die ErdgasZVO und die EU-SOS-GasVO mit der Verabschiedung und Veröffentlichung unmittelbare Rechtskraft entfalten werden, muss die GasRL danach noch in nationales Recht umgesetzt werden.

Ansprechpartner*innen: Dr. Olaf Däuper/Christian Thole/Johannes Nohl

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