Entwicklungen in Niedersachsen beim Vergaberecht

(c) BBH
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Zum 1.1.2014 ist auch in Niedersachsen ein neues Vergabegesetz (das Niedersächsische Gesetz zur Sicherung von Tariftreue und Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – Niedersächsisches Tariftreue- und Vergabegesetz – NTVergG) in Kraft getreten. Es soll zum einen die Anforderungen an die Bezahlung der Arbeitnehmer bei den Auftragnehmern strikter regeln, aber zum anderen der Öffentlichen Hand ermöglichen, soziale Kriterien und Umweltaspekte bei der Vergabe zu berücksichtigen.

Das bisherige Vergabegesetz bleibt einstweilen weiter anwendbar für alle Vergabeverfahren, die vor dem 31.12.2013 begonnen worden sind. Es greift bei öffentlichen Bauaufträgen, die mindestens einen Wert von 30.000 Euro aufwiesen. Unternehmen, die sich um einen Auftrag bewarben, mussten eine Tariftreueerklärung abgeben (§ 3 LVergabeG). D. h., sie mussten sich bei der Abgabe ihres Angebots schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Ausführung der Leistung mindestens das in für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen vorgesehene Entgelt zum tarifvertraglich vorgesehenen Zeitpunkt zu zahlen. Ausgenommen war nur, wer in eine Liste des „Vereins für die Präqualifikation für Bauunternehmen e. V.“ eingetragen war. An Nachunternehmer durfte der Auftragnehmer Leistungen übertragen, wenn der öffentliche Auftraggeber im Einzelfall schriftlich zugestimmt hat (§ 4 LVergabeG). Der öffentliche Auftraggeber war berechtigt, Kontrollen durchzuführen, um die Einhaltung der geforderten Vergabevoraussetzungen zu überprüfen (§ 7 LVergabeG). Es bestand aber keine Verpflichtung, nachzuprüfen. Das lag im Ermessensspielraum der Auftraggeber. Auch dies hat sich im neuen Gesetz geändert.

Was ändert sich?

Seit dem 1.1.2014 gilt das NTVergG. Das Gesetz ist ambitionierter als sein Vorgänger: Es soll auch helfen, den Einsatz von Niedriglohnkräften zu vermeiden und die sozialen Sicherungssysteme zu schützen sowie die Beschaffung umwelt- und sozialverträglicher zu machen. Es greift in viel mehr Fällen, nämlich bereits ab einem geschätzten Auftragswert von 10.000 Euro (ohne Umsatzsteuer) für Aufträge über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen. Das Gesetz gilt andererseits jedoch nicht für Auslobungen, Baukonzessionen oder freiberufliche Leistungen (§ 2 NTVergG), was den Anwendungsbereich wieder einschränkt.

Nach 2 Abs. 4 NTVergG sind alle öffentlichen Auftraggeber in Niedersachsen nach § 98 Nr. 1 bis Nr. 5 GWB zur Einhaltung des Gesetzes verpflichtet. Das bedeutet: Auch die Sektorenauftraggeber, die im Bereich der Energie- und Trinkwasserversorgung sowie im Bereich des Verkehrs tätig sind, haben die Vorschriften zu beachten. Für Stadtwerke in privater Rechtsform ist dies eine bedeutsame Änderung. Allerdings wird den Bedürfnissen dieser Unternehmen durch die freie Wahl der Verfahrensarten Rechnung getragen.

Die Regelungen zur Tariftreue sind erweitert worden (§ 4 NTVergG). Zum einen wird nach der Art der Aufträge differenziert und konkret definiert, welchen Tarifverträgen, die als Referenz aufgeführt werden, die Mindestbedingungen entsprechen müssen. Die bislang mögliche Befreiung von der Treueerklärung für sog. präqualifizierte Unternehmen ist weggefallen; für sie besteht gemäß § 8 NTVergG lediglich eine Nachweis- und Erklärungserleichterung.

Ist kein Tarifvertrag und keine Rechtsverordnung anwendbar, welche Mindestentgelte festlegt, so ist verbindlich ein Mindestentgelt von 8,50 Euro (brutto) pro Stunde zu zahlen, und dazu muss sich der Auftragnehmer vorab schriftlich verpflichten (§ 5 NTVergG). Die Zustimmung des öffentlichen Auftraggebers für den Einsatz von Nachunternehmen ist zwar nicht mehr nötig. Allerdings ist nunmehr geregelt, dass der Auftragnehmer vertraglich sicherstellen muss, dass auch der Nachunternehmer die Verpflichtungen, die sich aus der Tariftreueerklärung und der Erklärung über das Mindestentgelt ergeben, einhält (§ 13 NTVergG). Damit wird klargestellt, dass es nicht genügt, generell für die „Auferlegung der Pflichten“ auf den Nachunternehmer zu sorgen – wie im alten Vergaberecht –, sondern dass diese explizit in das schriftliche Vertragswerk zwischen Auftragnehmer und Subunternehmer aufgenommen werden müssen.

Auch die Kontrollmöglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers wurden verschärft: Während er bislang lediglich „berechtigt“ war, Kontrollen durchzuführen, um zu überprüfen, ob die vergaberechtlichen Verpflichtungen eingehalten werden, ist er hierzu nunmehr „gehalten“. Diese verschärfte Kontrollmöglichkeit ist zudem auch auf etwaige Nachunternehmen erweitert worden. Bei unangemessen niedrigen Angeboten kann eine Überprüfung stattfinden. Das Ermessen des Auftraggebers ist hier eröffnet. Anders verhält es sich bei der Angebotsabgabe für Bauaufträge: Der Auftraggeber muss prüfen, wenn das Angebot um 10 Prozent oder mehr unter dem Nächsthöheren liegt.

Was die Sanktionen bei Verstößen betrifft, so ist die Höhe der Vertragsstrafe unverändert geblieben (1 Prozent des Auftragswerts bis max. 10 Prozent bei mehreren Verstößen). Der öffentlichen Auftraggeber kann auch weiterhin aus wichtigem Grund kündigen, wenn die Verpflichtungen aus der Tariftreue- und Mindestentgelterklärung nicht eingehalten werden. Eine Verschärfung gibt es bei den Sperren bei grob fahrlässigen oder mehrfachen Verstößen: Die beträgt weiterhin maximal drei Jahre, lag bisher aber im Ermessen des Auftraggebers. Künftig ist sie Pflicht (§ 15 Abs. 3 NTVergG). Neu hinzugekommen ist zudem, dass Verstöße gegen die Tariftreuepflicht an die für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Stellen gemeldet werden müssen.

Das Niedersächsische Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat eine Servicestelle eingerichtet, die über die Tarif- und Mindestentgeltregelungen informiert, diese unentgeltlich zur Verfügung stellt und Muster zur Abgabe der Erklärungen öffentlich bekannt macht.

Was ist künftig insbesondere zu berücksichtigen?

Für Kommunen und Stadtwerke bedeutet das neue NTVergG, dass sie ihr Auftragswesen anpassen müssen. Mit der bisher schon bestehenden, aber nunmehr besonders herausgehobenen Möglichkeit, in der Leistungsbeschreibung sowohl Umweltaspekte als auch soziale Kriterien zu fordern, soll die Öffentliche Hand ihrer Vorbildrolle gerecht werden. Diese Möglichkeiten bieten der Öffentlichen Hand mehr Spielraum. Die wünschenswerte Förderung des Mittelstandes ist bereits schon im Vorgängergesetz geregelt gewesen. Die Interessen des Mittelstandes sind vornehmlich zu berücksichtigen, und öffentliche Auftraggeber sollen kleine und mittelständische Unternehmen bei beschränkten Ausschreibungen und freihändigen Vergaben in angemessenem Umfang auffordern, Angebote abzugeben.

Bei der Auswertung der Angebote ist die Pflicht, erheblich abweichende Bauleistungen zu überprüfen, ebenso zu erwähnen wie die Aufforderung des Gesetzgebers, Kontrollen durchzuführen. Der Ermessensspielraum wurde damit erheblich verkürzt. Künftig bedarf es eines guten Grundes, wenn man nicht prüft, was angesichts der zahlreichen Vergaben durch öffentliche Auftraggeber zu begrüßen ist.

Vor allem aber ist der erweiterte Anwendungsbereich zu berücksichtigen – die Schwelle liegt nunmehr bei 10.000 Euro. Das Gesetz ist künftig also bei mehr Vergaben anzuwenden.

Fazit

Das neue Gesetz soll helfen, ungerechte, zu geringe Entgeltzahlungen zu vermeiden und die Vergabe verstärkt an ökologischen und sozialen Kriterien auszurichten. Ob die Ziele in der Praxis tatsächlich umgesetzt werden können und ob die Öffentliche Hand vor allem genügend personelle Mittel hat, um die Kontrollen zu verschärfen und ein mögliches Umgehen durch „schwarze Schafe“ zu unterbinden, bleibt abzuwarten. Ob die Auftraggeber den gestiegenen Prüfungspflichten gerecht werden können, ohne das eigentliche Ziel, die wirtschaftliche Beschaffung, aus den Augen zu verlieren, wird die Praxis zeigen.

Ansprechpartner: Axel Kafka/Dr. Sascha Michaels

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