„Wir dürfen nicht darauf warten, dass der Gesetzgeber alle Probleme für uns löst.“ – Interview mit Dr. Frank Otto von der DREWAG NETZ zum Thema Smart Meter

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Dr.-Ing. Frank Otto ist Geschäftsführer der DREWAG NETZ GmbH und der ENSO NETZ GmbH. Nach dem Studium der Elektroenergieversorgung in Zittau und Station bei TRO Berlin und ESAG war er zuletzt als Hauptabteilungsleiter Elektrizität bei der DREWAG tätig, bevor die Netzgesellschaft ausgegründet wurde. Heute engagiert er sich beim VKU und BDEW insbesondere für das Thema „Neue Rolle der Verteilnetzbetreiber“ (DSO 2.0). Wir haben Herrn Dr. Otto gebeten, seine Erfahrungen mit intelligenten Messsystemen (Smart Meter) mit uns zu teilen.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Dr. Otto, in der Energiewirtschaft ist derzeit eine Menge los. Auf welcher Prioritätsstufe würden Sie persönlich das Thema Smart Metering einordnen?

Otto: Inzwischen ist man sich einig, dass die Energiewende vorrangig im Verteilernetz stattfindet:

Die große Herausforderung besteht darin, eine wachsende Anzahl an EEG-Anlagen in die Netze zu integrieren. Dafür muss man die Energieflüsse im Netz einschließlich deren Konsequenzen kennen. Erst dann kann man direkt oder indirekt steuernd auf diese einwirken. In einem dafür erforderlichen „Energieinformationsnetz“ stellt Smart Metering eine Basis-Komponente dar. Die heute vorrangig diskutierten Effekte für den Endkunden werden gerade im Haushaltssektor mittelfristig sicher auch eine gewisse Wirkung entfalten, etwa beim Thema Energiesparen. Insgesamt halte ich das Potential im Haushaltkundenbereich aber für überschaubar. Die Geschichte mit der „ferngesteuerten“ Kaffeemaschine – die nach wie vor in der Presse herumgeistert – empfinde ich in diesem Zusammenhang eher kontraproduktiv.

BBH-Blog: Als Geschäftsführer der DREWAG Netz sind Sie für eines der größeren städtischen Energienetze in Deutschland verantwortlich. Wie hat sich Ihr Haus in Bezug auf das Thema Smart Metering bislang aufgestellt?

Otto: Smart Metering beinhaltet für uns nicht nur das Messgerät. Vielmehr steht die gesamte Prozesskette von der effizienten Datenerfassung bis hin zur zielgerichteten Nutzung dieser Daten im Fokus. Dabei betrachten wir das Thema Smart Metering neben den gesetzlichen Vorgaben aus dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) für Strom und Erdgas übrigens auch für die nichtregulierten Versorgungsmedien Nah- und Fernwärme sowie Kälte und Trinkwasser. Die ersten Pilotversuche im Strombereich haben wir bereits im Jahr 2009 unternommen. Seit 2010 steigen wir konsequent auf modular aufrüstbare Zähler um, die neben mehr Funktionalität auch über elektronische Schnittstellen verfügen, damit diese Zähler in Messsysteme eingebunden werden können. Die kommunikative Anbindung von Messeinrichtungen praktizieren wir seit Jahren im RLM- und Großkundenbereich für Strom, Gas, Wärme, Kälte und Wasser, allerdings steigen dort derzeit die Anforderungen an Datenhäufigkeit und Datensicherheit. Aktuell stehen wir vor der Installation des 100.000-sten intelligenten Stromzählers, im Wärme- und Wasserbereich sind wir bereits komplett mit modular aufrüstbaren Messeinrichtungen ausgestattet.

BBH-Blog: Und wie erleben Sie die Nachfrage?

Otto: Ein wesentlicher Motor für die Funktionserweiterung bei Messeinrichtungen ist aktuell der Wärmebereich. Hier besteht seit längerem ein Bedarf nach der Bereitstellung zusätzlicher Informationen zu Wärmeverbrauch und Energieeffizienz der Heizungsanlage. Die zunehmende Anzahl an Einspeisern sowie steigende Anforderungen für Energieeinsparung, -kosten und Energieeffizienznachweisen (Stichwort: Energiemanagement), aber auch die rasante Digitalisierung in allen Bereichen des täglichen Lebens führen zu einer steigenden Nachfrage nach Smart-Metering-Produkten. Dabei ist das Spektrum sehr breit gefächert. Neben Lieferanten, die auf Basis nunmehr verfügbarer Zählerdaten neue Produkte entwickeln, gehört die lokale oder webbasierte Verbrauchsdatenvisualisierung (beispielsweise bei Gewerbe- und Industriekunden) inzwischen zum Tagesgeschäft. Aber auch die Wohnungswirtschaft und Eigenerzeuger (die Prosumer) fragen entsprechende Lösungen nach, um ihren eigenen Wohnkomfort oder den der Mieter zu verbessern (zum Beispiel zentrale Heizungssteuerung, Eigenverbrauchsoptimierung etc.).

BBH-Blog: Intelligente Messsysteme und Zähler sind ja gut und schön. Aber wenn sich daraus kein echter Mehrwert für Verbraucher entwickeln lässt, wird die Diskussion um die Roll-out-Kosten nicht aufhören.

Otto: Mehrwerte für Anschlussnutzer lassen sich bereits heute mit vertretbarem Aufwand generieren.

Das können „banale“ Dinge sein wie mehr Transparenz durch die Bereitstellung monatsechter Verbrauchswerte auch rückwirkend für den letzten Abrechnungszeitraum, die Erfassung von Verbrauchswerten zu fest definierten Stichtagen oder einfach mehr Komfort durch Online-Rechnungen und Webportal-Zugang. Durch die Einbeziehung weiterer Komponenten (Mehrmedien und Bündelangebote), zum Beispiel für die Wohnungswirtschaft, können zusätzlich Mehrwerte generiert werden. Die Herausforderung besteht jetzt darin, diese Potentiale nicht durch technische Normung oder Überregulierung zu konterkarieren und damit Flexibilität und Wettbewerb einzuschränken. Das Thema zeitvariabler Netztarife als ein Baustein zur Motivation für die Nutzung potentieller Lastverschiebungen im Netz hatten wir bei DREWAG NETZ übrigens bereits 2010 produktiv geschaltet. Allein der Verordnungstext in der Stromnetzentgeltverordung (StromNEV) spricht von einem Arbeitspreis, so dass wir das Netzprodukt – bei Androhung eines Missbrauchsverfahrens – schon ein halbes Jahr später wieder vom Markt nahmen. Hier wäre mit wenig gesetzgeberischem Aufwand eine Menge zu erreichen.

BBH-Blog: Als Netzbetreiber sind Sie regulierter Monopolist. Im Messwesen sind Sie ein Anbieter unter vielen. Dennoch ist auch der Metering-Markt stark reguliert. Helfen Ihnen Ihre Erfahrungen als Netzbetreiber im Messbereich?

Otto: Als Netzbetreiber sind wir auch Grundmessstellenbetreiber und müssen die Prozesse im Messstellenbetrieb sowie der Messung ohnehin beherrschen. Unser Know-how im Rollout von Messsystemen und intelligenten Zählern diskutieren wir unter anderem mit Marktpartnern im Rahmen von bundesweiten Arbeitsgremien. Über die Verbände bringen wir unsere Erfahrungen ein und stellen unsere Ansätze unter anderem auch dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) und der Bundesnetzagentur (BNetzA) zur Verfügung, um die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen von morgen wirkungsvoll zu begleiten. Wir dürfen nicht darauf warten, dass der Gesetzgeber alle Probleme für uns löst. Vielmehr müssen wir die Chancen und Perspektiven selbst erkennen, entsprechende Strategien erarbeiten und dann auch umsetzen. Schließlich tragen die operativen Erfahrungen der letzten Jahre maßgeblich dazu bei, dass effiziente Prozesse gelebt werden können – von der Beschaffung über den Einbau bis zum Betrieb.

BBH-Blog: Kann man also sagen, dass Sie immer dort, wo Sie weiterhin als „neutraler Dienstleister“ für Ihre Kunden wahrgenommen werden, gut positioniert sind? Sind Sie damit für White-Label-Produkte prädestiniert?

Otto: Durch den Rollout der vergangenen Jahre haben wir Tatsachen geschaffen – und damit die Basis für weitere Netz-Dienstleistungen, auf die letztendlich alle Marktteilnehmer diskriminierungsfrei aufsetzen können. Die schlichte Vielfalt der Services, die im Smart-Metering-Umfeld denkbar sind, verbietet es eigentlich grundlegend, White-Label-Produkte auszuschließen – im Gegenteil, White-Label-Produkte können maßgeblich zum positiven und innovativen Image von uns Netzbetreibern beitragen.

Wo es eine fundierte Nachfrage gibt, wird es auch ein Angebot geben.

BBH-Blog: Sehr geehrter Herr Dr. Otto, sagen Sie uns zum Schluss noch die Zukunft voraus? Was erwarten Sie in 15 bis 20 Jahren im Bereich Smart Meter?

Otto: Beim Blick in die Zukunft erscheint mir die Sicht auf das Gesamtsystem wichtig. Intelligente Zähler und Messsysteme sind ein wichtiger Bestandteil dieses Systems – aber auch nicht mehr. Der Trend zur Dezentralisierung bei der regenerativen Erzeugung wird anhalten. Und das wird auch schnell eine sichere Echtzeitkommunikation zwischen den relevanten Komponenten erfordern. Diese spezifische IKT-Infrastruktur halte ich für den zentralen Schlüssel, um sich den Herausforderungen von morgen zu stellen: die Datendrehscheibe als Grundlage für eine verstärkte Zusammenarbeit der VNB mit den ÜNB, die Koordinierung der Marktteilnehmer sowie der VNB und ÜNB bei der Erbringung von Systemdienstleistungen und die Gewährleistung eines sicheren Netzzustandes, optimiert in Abhängigkeit von der konkreten Anforderungssituation und dem Einsatz vorhandener Flexibilitätspotenziale (Ampelkonzept). Diese Herausforderungen zeichnen sich heute bereits ab. Gleichzeitig kann sich eine leistungsfähige und sichere IKT-Infrastruktur der VNB gerade in der grünen Netz-Ampel-Phase zur Grundlage für eine Vielzahl von Serviceangeboten entwickeln, die allen Marktteilnehmern zugutekommt. Die reine Zählerdatenübermittlung für die Abrechnung der Netzentgelte wird dann wohl eher zum reinen Abfallprodukt.

BBH-Blog: Herzlichen Dank für Ihre Zeit! Wir freuen uns darauf, das Thema Smart Meter im Rahmen des Parlamentarischen Abends am 19.5. weiter vertiefen zu können.

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