Zurück ins Monopol? Fusionskontrolle E.ON/RWE am Scheideweg
1998 war das Jahr des Paradigmenwechsels. Das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts liberalisierte den deutschen Energiemarkt. An die Stelle klar strukturierter Monopole sollten der freie Wettbewerb und die Versorgervielfalt treten, wie wir sie heute kennen. EU-Kommission und Bundeskartellamt sollen dafür Sorge tragen, dass der Wettbewerb dauerhaft funktioniert. Droht die Marktmacht einzelner Unternehmen zu groß zu werden, prüfen die Institutionen den Sachverhalt. Wie aktuell in der geplanten Fusion von E.ON und RWE (wir berichteten): In den nächsten Tagen werden die deutschen und europäischen Behörden die Weichen stellen für das größte und wichtigste Fusionskontrollverfahren auf dem deutschen Energiemarkt seit Jahrzehnten.
Als die beiden Konzerne Anfang letzten Jahres bekannt gaben, sich zukünftig auf unterschiedliche Geschäftsfelder der energiewirtschaftlichen Wertschöpfungskette konzentrieren zu wollen, war das ein Thema, das weit über die Branche hinaus auf Interesse stieß. Während die Wirtschaftspresse diese „Energiekonzernwende“ als Comeback der Konzerne interpretierte, analysierte man in der Energiewirtschaft die Auswirkungen der Fusion auf die Marktstrukturen. Bringt eine Fusion in dieser Größenordnung nicht zentralistische Strukturen in einen Markt, in dem erst vor 21 Jahren die Basis für dezentrale Strukturen und fairen Wettbewerb gelegt wurden und in dem sich nach einigen Startschwierigkeiten erst seit etwa 10 Jahren wettbewerbliche Verhältnisse etabliert haben? Wäre ein nationaler Champion wie E.ON/RWE nicht ein Schritt zurück in die Zeit vor der Liberalisierung, zurück ins Monopol?
Sollte der Deal zustande kommen, so käme es jedenfalls auf allen Wertschöpfungsstufen zu einem Ungleichgewicht. Etwa die Hälfte der Konzessionen in Deutschland würde von ein und demselben Netzbetreiber gehalten. Im Vertrieb wäre E.ON/RWE ebenfalls in weiten Teilen Deutschlands der größte Stromanbieter. Im Messstellenbetrieb sowie im Smart-Meter-Rollout könnte das Unternehmen auf Millionen von Stromzählern zugreifen und mit seinem Big-Data-Potenzial die Wettbewerber weit hinter sich lassen. Auf dem Erzeugungsmarkt, sowohl konventionell als auch erneuerbar, wäre man ebenfalls der größte Player.
Weil RWE durch den Erwerb von nominal 16,7 Prozent der Anteile der größte Aktionär von E.ON werden würde und gleichzeitig weitere Gegebenheiten wie die allgemein geringe Präsenz der Aktionäre auf den Hauptversammlungen die Steuerung der Unternehmensgeschicke begünstigen, bekäme RWE außerdem entscheidenden Einfluss auf E.ON. Beide könnten ihre Geschäftsaktivitäten strategisch koordinieren und gerade dadurch einen nationalen Champion hervorbringen. Ob so ein fairer Wettbewerb weiter möglich ist?
Die europäische und auch die deutsche Fusionskontrolle sind nun an der Reihe, den Zusammenschluss von E.ON und RWE zu prüfen. Nach einer ausgesprochen langen „Phase 0“, in der typischerweise Gespräche mit den Kartellbehörden liegen, läuft nun seit dem 22.1.2019 auch das offizielle Kartellprüfverfahren für den ersten Teilbereich der Fusion, die zu bündelnden Erzeugungskapazitäten: Hier geht es zunächst um die Übernahme des Geschäftsbereichs Erneuerbare Energien der E.ON und der innogy durch RWE und den Erwerb der E.ON-Beteiligungen an den Kernkraftwerken Gundremmingen und Emsland.
Morgen, also am 26.2.2019 wird die EU-Kommission entscheiden, ob sie die Fusion von E.ON und RWE in Bezug auf diesen Aspekt freigeben wird oder ihre Prüfung vertieft in das Hauptverfahren der Fusionskontrolle fortsetzen möchte. Gut informierte Quellen wollen wissen, dass die Kommission morgen Ersteres tun wird. Durch eine derart frühzeitige Freigabe dieses Teils der Transaktion, die betroffenen Wettbewerbern übrigens den Klageweg vor dem Europäischen Gericht eröffnen würde, wäre allerdings die vom Bundeskartellamt im zurückliegenden Jahr wiederholt angekündigte genauere Analyse des Erzeugungsbereichs vom Tisch. In der Sache müsste die Kommission zudem mindestens zwei Hürden nehmen:
- Erstens müsste die Kommission verneinen, dass die Erzeugungskapazitäten von RWE – anders als z.B. das Bundeskartellamt noch in der Sektoruntersuchung 2011 festgestellt hat – für die Deckung der Nachfrage nach Strom im Bereich der konventionellen Stromerzeugung unverzichtbar sind. Diese sog. Pivotalität ist ein allgemein anerkannter Indikator für Marktmacht im Erzeugungsbereich. Beurteilt die Kommission die Pivotalität jedoch wie das Bundeskartellamt, müsste sie jedenfalls feststellen, dass sich die Position von RWE durch den Kapazitätszuwachs nicht weiter verstärkt.
- Zweitens müsste die Kommission darüber hinwegsehen, dass RWE durch das – insbesondere im regenerativen Erzeugungsbereich – größer werdende Erzeugungsportfolio zusätzliche Möglichkeiten einer strategischen Anlagensteuerung und Generierung von Zusatzerlösen erlangt.
Aber auch was die weiteren Teilbereiche der Fusion betrifft, wird man demnächst Klarheit bekommen, wie es weiter geht. Am 28.2.2019 wird das Bundeskartellamt entscheiden, wie es die Einflussmöglichkeiten von RWE auf E.ON durch die Übernahme der 16,67-Prozent-Beteiligung an E.ON beurteilt. Am 7.3.2019 wird es schließlich um den Bereich Netze und Vertrieb gehen. Hier wiederum wird die Kommission dann verkünden, ob sie die Übernahme der innogy durch E.ON für bedenklich hält und in das Hauptverfahren einsteigt. Kenner erwarten Letzteres.
Ansprechpartner: Prof. Dr. Ines Zenke/Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch