Interviewreihe: Kerstin Andreae, Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.
Am 18.3.2024 lädt die BBH-Gruppe zu ihrem Parlamentarischen Abend ein. Im Kaisersaal der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft diskutieren Mitglieder:innen des Deutschen Bundestages, Entscheider:innen aus der Wirtschaft und Vertreter:innen von Verbänden zum Thema „Alles für die Netze“. Aus diesem Anlass haben wir mit Impulsgeber:innen der Veranstaltung Interviews geführt, die wir im wöchentlichen Turnus an dieser Stelle veröffentlichen werden. Heute mit Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft e. V.
BBH-Blog: Liebe Frau Andreae, lassen Sie uns vielleicht gleich ganz provokant in das Interview einsteigen: Haben Sie das Gefühl, dass wir in Deutschland genug für unsere Energienetze tun?
Kerstin Andreae: Die Netze kamen viele Jahre in der politischen Diskussion zu kurz. Es schien, als gingen alle davon aus, dass Strom und Energie automatisch von A nach B kommen. Das hat sich zum Glück geändert. Die Netze sind die stillen Garanten unserer Energieversorgung. Mit der Energiewende wird ihre Rolle noch wichtiger und die Anforderungen an sie steigen. Beispiel Stromnetze: Millionen Erneuerbare-Energien-Anlagen müssen in den kommenden Jahren ins Netz integriert werden. Gleichzeitig lassen E-Autos und Wärmepumpen den Stromverbrauch steigen. Dafür müssen wir die Netze jetzt fit machen. Die Crux: Das kostet viel Geld und muss wirtschaftlich rentabel und wettbewerbsfähig sein. Aber es ist eine lohnende Investition in die Zukunft. Hier brauchen wir mehr Unterstützung aus der Politik und beim Zubau das entsprechende Verständnis aus der Bevölkerung.
BBH-Blog: Wie müssen die Energienetze 2045 aussehen? Und was bedeutet das für Ihre tägliche Arbeit heute?
Andreae: Im Jahr 2045 brauchen wir ein integriertes System von Energienetzen, das Haushalte und Industrie jederzeit zuverlässig mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien versorgt. Für die einzelnen Netztypen bringt das ganz unterschiedliche Herausforderungen mit sich: Die Stromnetze müssen deutlich ausgebaut, aber auch digitalisiert werden. Nur so können sie die zunehmende Menge Erneuerbaren Stroms ohne Engpässe durch das Land transportieren. Hierfür müssen wir schon heute das Ausbautempo durch schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich beschleunigen. Auch die Fernwärmenetze müssen wir für eine erfolgreiche Wärmewende massiv ausbauen. Das können die Netzbetreiber jedoch nur mit einem angepassten und angemessenen Förderrahmen stemmen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Mittel in der Bundesförderung effiziente Wärmenetze für die kommenden Jahre deutlich aufgestockt werden. Bei den Gasnetzen ist das Thema ein anderes. Hier gibt es im Kern drei Optionen: Wo können wir das bestehende Netz künftig für Wasserstoff nutzen? An welchen Stellen werden die Netzbetreiber es stilllegen? Und wo ist der Bau neuer Wasserstoffleitungen erforderlich? Diese Entscheidungen müssen in den kommenden Jahren getroffen werden. Die Bundesnetzagentur arbeitet an einem Rechts- und Regulierungsrahmen für die Transformation der Gasnetze, den wir hoffentlich alsbald konsultieren können.
BBH-Blog: Energienetze sind Generationenaufgaben. Wenn Sie auf der grünen Wiese stehen und ganz voraussetzungslos überlegen können: Wie würden Sie die Energienetze aufstellen, um sie gegen kurzfristige Begehrlichkeiten ebenso wie gegen langfristiges Erstarren zu sichern?
Andreae: Entscheidend ist, dass wir die Netze integriert planen. Das heißt, wir müssen Stromnetze, Wärmenetze und Wasserstoffnetze gemeinsam denken. Gleichzeitig braucht es aber auch einen nachhaltigen Investitionsrahmen. Investitionen in Energienetze sind sehr langfristig ausgelegt. Um Investitionen anzureizen, braucht es klare, attraktive und über lange Zeit verlässliche Rahmenbedingungen.
BBH-Blog: Was erleben Sie in Ihrer konkreten Arbeit gerade als den größten Knackpunkt, als das Problem, mit dem Sie sich am meisten herumschlagen müssen?
Andreae: Die Netzbetreiber sind mit einer enormen Bürokratie belastet, wenn sie ihre Netze weiter ausbauen möchten. Hier wünschen wir uns schlankere, schnellere Verfahren und eine Gelingenshaltung bis in jede Amtsstube. Die Bundesregierung hat schon einige Maßnahmen auf den Weg gebracht. Aber wir müssen noch schneller werden, damit der Netzausbau mit dem Erneuerbaren-Ausbau Schritt halten kann. Zudem wäre es klug, wenn die Errichtung und der Betrieb der gesamten Verteilnetze als im „überragenden öffentlichen Interesse“ definiert werden würde.
BBH-Blog: Zum Abschluss würden wir gerne hören, was denn in Bezug auf die Energienetze Ihr „hidden champion“, Ihre „geheime Zutat“ ist, also der Aspekt, der nicht so in der öffentlichen Debatte steht, aber aus Ihrer Sicht überproportional relevant werden kann?
Andreae: Ein ganz wichtiger Aspekt für das Gelingen des Netzausbaus, aber auch der Energiewende insgesamt sind die Fachkräfte. Diese „Zutat“ steht aus meiner Sicht aktuell noch zu wenig im Fokus, könnte sich aber zu einem echten Problem entwickeln. Der Investitions- und Regulierungsrahmen kann noch so gut sein – letztlich sind es Menschen, Fachkräfte, die die Netze bauen und betreiben müssen. Wir sehen heute schon, dass viele Unternehmen Probleme haben, entsprechend qualifiziertes Personal zu finden. In Zukunft könnte sich dies noch drastisch verschärfen. Deshalb müssen wir hier dringend gegensteuern, indem wir schon Schülerinnen und Schüler davon begeistern, aktiv an der Energiewende mitzuwirken und insbesondere Mädchen und Frauen zeigen: Technische Studiengänge und Berufe sind nicht nur etwas für Jungs!
BBH-Blog: Sehr geehrte Frau Andreae, herzlichen Dank für das Gespräch. Wir freuen uns auf die weitere Diskussion im Rahmen unseres Parlamentarischen Abends am 18.3.2024.
Mehr Infos zum Parlamentarischen Abend, auch zur Anmeldung, finden Sie hier.