Kapazitätsmarkt in Polen: an der EU-Kommission vorbei gerauscht

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Um die Energieversorgung zu sichern, müssen Erzeugung und Verbrauch im Netz stets ausgeglichen sein. Man kann sich das System wie eine Art Waage vorstellen, die im Gleichgewicht sein muss: Auf der einen Waagschale liegt die Erzeugung, und auf der anderen der Verbrauch. Droht ein Ungleichgewicht, hat man grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Entweder man reduziert an der Seite, die zu schwer ist, das Gewicht, oder man legt an der anderen Seite Gewicht nach. Übertragen auf das Energiesystem bedeutet das: steigt der Energieverbrauch plötzlich an, kann man entweder Kraftwerke zuschalten oder auf der Verbrauchsseite sog. Lasten von Großabnehmern zurückfahren. Unternehmen analysieren und steuern hier die eigenen Produktionsabläufe und den Energieeinsatz im Interesse der Ressourcen- und Kostenoptimierung durch das sog. Demand Side Management (DSM – Demand Side Response/DSR). Für diese Leistung stehen immer mehr spezialisierte Unternehmen zur Verfügung.

Fokus auf Erzeugung

Polen hat 2018 einen Kapazitätsmarkt eingeführt. Dabei werden insbesondere Kraftwerksbetreiber dafür vergütet, dass sie Leistungen vorhalten, die bei Bedarf von dem polnischen Übertragungsnetzbetreiber Polskie Sieci Elektroenergetyczne abgerufen werden können. Um an diesem Kapazitätsmarkt partizipieren zu können, müssen sich Kraftwerke über Auktionen dafür qualifizieren. Die Betreiber werden mit Vereinbarungen belohnt, die Subventionen etwa über eine Dauer von bis zu 15 Jahren für den Bau neuer konventioneller Kraftwerke garantieren. Besonders auch alte Kohlekraftwerke mit geringer Effizienz und hohen Emissionen werden weiterhin an dem System teilnehmen können, da sie bereits an Auktionen vor 2019 teilgenommen haben und damit von der Übergangsregelung im neuen Energiemarktdesign der Europäischen Union, die für Kapazitäsmarktregelungen Kraftwerke mit einer Emissionsbelastung von über 500 ppm von der Teilnahme als Grundsatz ausschließt. Polen hatte hart für die Übergangsregelung gekämpft.

Zwar steht der Kapazitätsmarkt theoretisch auch Anbietern von Lastmanagement-Lösungen offen. Durch das Marktdesign werden diese aber in den Auktionen stark benachteiligt. So werden DSR-Anbietern etwa nur Verträge über maximal ein Jahr angeboten. Das hat zur Folge, dass diese Unternehmen effektiv nicht an den Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit teilnehmen können. Die Versorgungssicherheit wird allein durch den Einsatz von Kohle- und Gaskraftwerken aufrechterhalten, die Verbrauchsseite wird im Prinzip ausgeschlossen. Dadurch können die Kostensenkungspotentiale durch flexibles Lastmanagement, die den Bau neuer Kraftwerke zum Teil kompensieren könnten, nicht entsprechend gehoben werden. Ausländische Kapazitäten und auch DSR können im Prinzip am neuen Markt teilnehmen, es gibt aber Übergangsbestimmungen und in der ersten Phase sollen ausländische Übertragungsnetzbetreiber die Rolle des Kapazitätsmarkts einnehmen und auch DSR-Leistung anbieten.

Was die EU dazu sagt

Da ein Kapazitätsmarkt Subventionen für bestimmte Marktteilnehmer bedeutet und dies sich wiederum auf den EU-Binnenmarkt auswirken könnte, muss die Einführung eines solchen Instruments beihilferechtlich freigegeben werden. In das Hauptprüfverfahren muss die EU-Kommission dann einsteigen, wenn sie Zweifel an der Vereinbarkeit mit EU-Recht hegt. Diese hatte die Kommission nicht, als sie am 7.2.2018 das polnische Kapazitätsmarktmodell genehmigte, ohne sich tiefer damit auseinanderzusetzen.

Gegen diese Entscheidung haben Unternehmen aus der Energiewirtschaft nun mit Hilfe von Becker Büttner Held vor dem EuG geklagt. Sie fordern die EU-Kommission darin auf, das polnische Modell beihilferechtlich angemessen zu untersuchen und haben insbesondere erhebliche Gründe für vielfache Zweifel an der Vereinbarkeit des polnischen Kapazitätsmarktes vorgetragen, welche die Kommission nicht beachtet hatte.

Ein ähnlicher Fall (mit erfolgreicher Klage vor dem EuG) existiert in Großbritannien. Auch hier hatte die EU-Kommission einen Kapazitätsmarkt ohne ein Hauptprüfverfahren bedenkenlos genehmigt – zu Unrecht, wie die EuG-Richter entschieden (Urt. v. 15.11.2018, Rs. T-793/14). Seit dem 21.2.2019 untersucht die Kommission den UK-Kapazitätsmarkt nun im Hauptprüfverfahren. Die Kommission hat gegen die EuG Entscheidung selbst jedoch Berufung zum EuGH eingelegt.

Man darf gespannt sein.

Ansprechpartner: Dr. Dörte Fouquet/Yola Traum

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