Für digitale und analoge Unternehmen – der Referentenentwurf zur 10. GWB-Novelle

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Neunmal wurde das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) seit dem Inkrafttreten im Jahr 1958 novelliert (zur 9. GWB-Novelle berichteten wir zuletzt hier und hier). Das ist nicht viel in mehr als sechs Jahrzehnten. Doch es besteht aufgrund der raschen Veränderung und teilweisen Vermachtung der sog. digitalen Märkte für den Gesetzgeber akuter Handlungsbedarf. Jetzt liegt der Referentenentwurf für die 10. GWB-Novelle vor.

Die Änderungen beziehen sich, wenig überraschend, vor allem auf die Vorschriften zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung in den §§ 18 ff. GWB, aber auch auf die Fusionskontrolle, das Kartellschadensrecht sowie umfassend das Kartellverfahrens- und Kartellbußgeldrecht. Viele Neuregelungen gründen sich auf Vorschläge des Expertengremiums Kommission Wettbewerbsrecht 4.0:

Bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung besitzt, ist zukünftig auch sein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten zu untersuchen. Bei Unternehmen, die auf mehrseitigen Märkten tätig sind (Plattform- und Netzwerkmärkte), spielt zudem eine wesentliche Rolle, welche Bedeutung die von ihnen erbrachten Vermittlungsdienstleistungen für die Bewertung der Markstellung haben.

Angepasst und neu formuliert wird die bisherige Zugangsregelung für wesentliche Infrastruktureinrichtungen: Marktbeherrschende Unternehmen müssen dann den Zugang zu Daten gewähren, wenn dies objektiv notwendig ist, um auf einem vor- oder nachgelagerten Markt tätig zu sein, und wenn eine Lieferverweigerung den wirksamen Wettbewerb auf diesem Markt auszuschalten droht. Für Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ soll zudem ein eigener Missbrauchstatbestand geschaffen werden. Er ermöglicht dem Bundeskartellamt (BKartA), einerseits die überragende Stellung des betreffenden Unternehmens festzustellen und andererseits spezifische Anordnungen zu treffen, um Behinderungen, Diskriminierungen und Beeinträchtigungen der Interoperabilität oder Portabilität von Daten zu verhindern.

Generell werden einstweilige Maßnahmen der Kartellbehörde erleichtert, damit sie in den sich rasch verändernden neuen Märkten effektiver agieren kann.

Neu ist, dass Unternehmen künftig eine Entscheidung darüber verlangen könne, ob die Kartellbehörde bei horizontalen Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern tätig wird oder nicht. Damit wird das Instrument des sog. Vorsitzendenschreibens auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Insbesondere bei komplexen Kooperationsvorhaben, die nur unter Inanspruchnahme von Freistellungsmöglichkeiten (z.B. Mittelstandskartelle) zulässig sind, kann dies hilfreich sein.

Anlass für die Änderungen im Fusionskontrollrecht sind die gestiegenen Fallzahlen (allein seit 2015/2016 um rund 10 Prozent). Damit sich das BKartA auf gesamtwirtschaftlich bedeutsame Fälle fokussieren kann, soll die zweite Inlandsumsatzschwelle von 5 auf 10 Mio. Euro angehoben werden. Daneben soll die Bagatellmarktschwelle in der materiellen Prüfung von 15 auf 20 Mio. Euro steigen.

Weitere Änderungen betreffen das Verfahren und die Ministererlaubnis. Die Frist für die Durchführung eines Hauptprüfverfahrens wird von vier auf fünf Monate verlängert. Ferner setzt eine Erlaubnis der Bundesministerin oder des Bundeswirtschaftsministers zukünftig voraus, dass die Entscheidung des BKartA zuvor gerichtlich bestätigt worden ist – zumindest im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Ministererlaubnisse soll es künftig nur noch ausnahmsweise geben, wenn anderweitig Rechtschutz nicht zu erreichen ist. Augenscheinlich möchte der Gesetzgeber Hängepartien wie im Zusammenhang mit dem E.ON-Ruhrgas-Deal oder der Übernahme von Kaiser’s-Tengelmann durch Edeka (wir berichteten) künftig vermeiden.

Grundlegende Änderungen sieht der RefE außerdem im allgemeinen Verfahrensrecht vor. Gestärkt wird die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Wettbewerbsbehörden innerhalb des Netzes der Europäischen Wettbewerbsbehörden (ECN). Dies betrifft u.a. die Ermittlungstätigkeit, die Zustellung von Unterlagen und die Vollstreckung und den Informationsaustausch. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Behörden wird konkret geregelt.

Für die Durchsetzung des europäischen Kartellrechts in Deutschland ist jedoch zukünftig allein das BKartA und nicht mehr parallel auch die Landeskartellbehörde zuständig.

Die Stärkung der Auskunftsrechte der Kartellbehörde ist für Betroffene bedeutsam. Sie erstrecken sich auch auf das Bußgeldverfahren. Die Auskunftsverweigerungsrechte werden auf ein Minimum reduziert.

Im Kartellschadensrecht reagiert der Gesetzgeber auf die BGH-Rechtsprechung zum Schienenkartell (wir berichteten), die den Anscheinsbeweis für Kartellbetroffenheit für bestimmte Kartellabsprachen verwirft. Der RefE sieht nun eine widerlegbare gesetzliche Vermutung vor, die sowohl für unmittelbare Abnehmer als auch mittelbare Abnehmer der kartellbeteiligten Unternehmen gelten soll. Hierzu sei der Gesetzgeber aufgrund des europäischen Effektivitätsgrundsatzes sogar verpflichtet. Bisher gab es eine solche Vermutung nur für die Schadensentstehung.

In den Überleitungsvorschriften wird aufgrund teils abweichender Rechtsprechung nun klargestellt, dass die mit der 9. GWB-Novelle neu geschaffenen Auskunftsrechte auch auf Altansprüche Anwendung finden, die vor dem 26.12.2016 entstanden sind.

Die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe soll fortgeführt und ermächtigt werden, Mengen-und Großhandelsdaten zu erheben.

Im Bußgeldrecht sieht der RefE konkrete Regelungen zur Zumessung vor. Die Höhe soll sich an den Umsätzen orientieren, die durch den Verstoß erzielt worden sind. Wer sich nach der Tat positiv verhält (z.B. durch effektive Compliance-Maßnahmen), kann auf ein niedrigeres Bußgeld hoffen. Die Frist für die absolute Verjährung der Bußgeldhaftung wird verlängert und das Kronzeugenprogramm gesetzlich verankert.

Dem Titel zufolge steckt sich der RefE das ehrgeizige Ziel einer „Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für ein fokussiertes, proaktives und digitales Wettbewerbsrecht 4.0 (GWB-Digitalisierungsgesetz)“. Ob dieses Ziel erreicht wird, bleibt abzuwarten. Allerdings lässt sich bereits absehen, dass die Neuregelungen Gewicht haben. Der RefE begründet die Regelungsvorschläge erfreulich ausführlich und instruktiv.

Ansprechpartner: Dr. Tigran Heymann/Dr. Holger Hoch/Anna Lesinska-Adamson

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