Amtsgericht Aachen: Abwendungsvereinbarung ohne Vorauszahlung unwirksam

Nachdem die Reform der Strom- und Gasgrundversorgungsverordnungen bei den Versorgern im vergangenen Jahr für erheblichen Aufwand gesorgt hatte, wurde nun mit Spannung ein erstes Urteil zum neuen Sperrrecht erwartet. Mit dem Beschluss des Amtsgerichts Aachen vom 9.2.2022 dürfte das letzte Wort in der Sache zwar noch nicht gesprochen sein, doch Versorger sollten schon jetzt handeln – nicht zuletzt, weil Sperrungen im Angesicht wirtschaftlicher Unsicherheiten und explodierender Energiepreise zunehmen.

Vorauszahlungsklausel ist zwingend in Abwendungsvereinbarung

Die Unterbrechung der Versorgung von Kunden mit Energie oder Wasser ist für Unternehmen der Grundversorgung regelmäßig das letzte Mittel. Die Sperrung eines Zählers war schon bislang an strenge Voraussetzungen geknüpft, da diese für Kunden oftmals auch existenzbedrohende Konsequenzen haben kann. Nachdem die Novellierung der Strom- und Gasgrundversorgungsverordnungen im letzten Jahr eine Prozessanpassung in nahezu jedem Stadium eines Versorgungsverhältnisses erforderlich machte, wurden mit der Reform auch die Anforderungen an ein wirksames Sperrverfahren erheblich verschärft. Als Neuerung sieht die erfolgreiche Versorgungsunterbrechung unter anderem zwingend die Übersendung einer Abwendungsvereinbarung vor. Das Amtsgericht Aachen hat nun in einem Beschluss vom 9.2.2022 (Az.: 109 C 10/22) die Anforderungen an eine derartige Abwendungsvereinbarung konkretisiert: eine Vorauszahlungsklausel ist zwingende Voraussetzung, eine Abwendungsvereinbarung ohne sie ist unwirksam.

Auch wenn der Wortlaut der Grundversorgungsverordnungen insoweit tatsächlich eindeutig ist, so stellte sich im Markt doch die Frage, wessen Interesse eine solche Vorauszahlung dient. Die Vorauszahlung ist dem Grundversorger nämlich schon länger bekannt und kann vereinbart werden, wenn zu befürchten steht, dass ein Kunde seinen Zahlungsverpflichtungen nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt. Die Entscheidung, ob eine Vorauszahlung vereinbart wird, war somit Sache des Versorgungsunternehmens. Das zeigt, dass eine solche Vereinbarung grundsätzlich dem Sicherungsinteresse des Versorgers dient, indem durch das Umstellen auf Vorkasse verhindert wird, dass die Verbindlichkeiten unkontrolliert anwachsen, während das Energieversorgungsunternehmen weiter zur (Vor-)Leistung verpflichtet bleibt.

Vorauszahlungsklausel in Abwendungsvereinbarung zum Schutz der Kunden

Doch dies allein trifft zumindest im Bereich der Abwendungsvereinbarung nach der aktuellen Aachener Entscheidung nicht zu. Das Gericht berief sich auf die Erwägungen des Gesetzgebers und stellte fest, dass Sinn und Zweck der verpflichtenden Vorauszahlung der Schutz der Kunden vor sich selbst sei: Oftmals beruhten Versorgungsunterbrechungen nämlich nicht nur auf fehlender Finanzkraft der Kunden, sondern auch auf mangelnder Finanz- und Planungskompetenz.

Novelle mit nicht zu unterschätzenden Auswirkungen

Dies entspricht tatsächlich den Erfahrungen der Praxis, wonach Kunden bei der Kalkulation der liquiden Mittel und damit der finanzierbaren Raten zum Abbau bestehender Schulden die weiterhin parallel zu bezahlenden Abschlagszahlungen vergessen und insofern neue Verbindlichkeiten aufbauen. Der Beschluss ist daher überzeugend. Noch ist es jedoch zu früh, um beurteilen zu können, ob das mit der Novellierung bezweckte Ziel des Gesetzgebers auch den Praxistest bestehen wird.

In Anbetracht der niedrigen Instanz (Amtsgericht) ist das letzte Wort in dieser Frage sicherlich noch nicht gesprochen. Die Aachener Entscheidung bedeutet aber bereits jetzt nicht nur, dass die Abwendungsvereinbarung eine verpflichtende Klausel zur Vorauszahlung enthalten muss, sondern auch, dass Versorger gut beraten sind, die Auswirkungen der Gesetzesnovelle nicht zu unterschätzen und – sofern noch nicht geschehen – den Sperrprozess von Grund auf neu aufzusetzen.

Ansprechpartner*innen: Markus Ladenburger/Dr. Erik Ahnis/Tobias Hoderlein

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