Die EnWG-Reform – Mehr Schatten als Licht für Wasserstoffnetze

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Der Hoffnungsträger für die Dekarbonisierung unserer Gesellschaft bis 2050 ist Wasserstoff, der als kohlenstofffreier Energieträger keine schädlichen Klimagase freisetzt. Die potenziellen Anwendungsfelder von Wasserstoff und seiner Derivate sind dabei vielfältig, ob Energieträger, Treibstoff im Schiffs- und Flug- und Schwerlastverkehr oder auch als Grundstoff in industriellen Prozessen; Wasserstoff ermöglicht Dekarbonisierung, wo Elektrifizierung schwierig ist. Entsprechend herrscht in der Branche eine deutlich wahrnehmbare Wasserstoff-Euphorie und auf den politischen Agenden ist Wasserstoff seit dem vergangenen Jahr nahezu weltweit gesetzt. Sowohl die Europäische Kommission als auch die Bundesregierung haben 2020 Strategiepapiere vorgestellt, die einen Markthochlauf von Wasserstofftechnologien fördern sollen.

Voraussetzung für einen Markthochlauf ist allerdings die Verfügbarkeit einer geeigneten Infrastruktur. Eine effiziente Verbindung von Angebot und Nachfrage kann letztlich nur über Wasserstoffnetze erfolgen. Deren Aufbau ist allerdings mit hohen Investitionskosten verbunden, weshalb die Umwidmung und technische Modifizierung vorhandener Erdgasnetze sinnvoll ist. Mit den heutigen Gasnetzbetreibern und Stadtwerken stehen zudem Unternehmen bereit, die willens sind und die Expertise besitzen, ihre Netze perspektivisch auf Wasserstoff und erneuerbare Gase umzuwidmen. Wieviel Wasserstoff, wann und wofür zur Verfügung steht, kann heute noch niemand sagen. Die heute zu schaffenden Bedingungen für einen Markthochlauf sollten potenzielle Entwicklungspfade aber nicht ausschließen. Gasnetzbetreibern sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihre Netze Schritt für Schritt auf Wasserstoff umzustellen.

Wie kann also ein entsprechender Rechtsrahmen aussehen, der die Transformation der Erdgasnetze und ihrer Betreiber ermöglicht? Traditionell sind Energieinfrastrukturen umfassend reguliert. Aktuell kennen allerdings weder die europäische Gasbinnenmarktrichtlinie (GasRL) noch das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) Wasserstoff als primären Energieträger in der leitungsgebundenen Versorgung; allenfalls die Einspeisung von geringen Mengen Wasserstoffs in Erdgasnetze wird zum heutigen Stand geregelt. Dies ist verständlich, da Wasserstoff ja erst künftig bedeutsam wird, so dass der Rechtsrahmen erst geschaffen werden muss. Für Netzbetreiber und Stadtwerke heißt dies in der Praxis, dass Investitionen zur Umwidmung ihrer Infrastrukturen von den Regulierungsbehörden derzeit nicht anerkannt werden. Innovationen sind dadurch nicht möglich – aber dringend notwendig.

Die Europäische Kommission hat dieses Problem bereits erkannt und entsprechende Anpassung der europäischen Bestimmungen angekündigt, die sie allerdings erst Ende 2021 vorstellen wird. Um den Markthochlauf nicht zu gefährden, ist deshalb (auch) der nationale Gesetzgeber gefragt.

Ein erster Vorstoß kam von den Ländern. In einer Stellungnahme vom 6.11.2020 schlug der Bundesrat vor, den bestehenden Gasbegriff im EnWG als Übergangsbestimmung um Wasserstoff zu ergänzen. Denn das EnWG regelt die leitungsgebundene Strom- und Gasversorgung und Wasserstoff ist nichts anderes als ein weiteres Gas. Die Bundesregierung lehnte diesen Vorschlag ab, um am 10.2.2021 selbst eine umfangreiche EnWG-Novelle zu initiieren.

Die Bundesregierung schlägt – konträr zum Vorschlag des Bundesrates – vor, Wasserstoff als eigenständige Commodity neben Elektrizität und Gas zu regulieren. Eine solche Trennung steht dem zentralen Ziel der letzten Jahre, nämlich dem einer zunehmend integrierten Energiewirtschaft (Stichwort Sektorenkopplung), entgegen und stellt die Weichen für eine zukünftig fundamental andere Gasmarktstruktur als die, die wir heute kennen. Die bewährten Prinzipien der Netzregulierung, die bei Strom und Gas die Grundlage für eine pluralistische Netzwirtschaft darstellen, werden aufgegeben. Insbesondere wird der aus Zeiten der Verbändevereinbarungen bekannte verhandelte Netzanschluss/-zugang diskutiert, den man eigentlich als gescheitert überwunden glaubte. Für neue Akteure war hier der Markteintritt erschwert, der Wettbewerb nicht ausgeglichen. Sind das die optimalen Bedingungen für das aktuelle Wasserstoff-Marktumfeld mit seinen zahlreichen neuen Marktteilnehmern? Die bewährte Unterteilung in Netzebenen wird im Vorschlag der Bundesregierung gleich mitaufgegeben: Zukünftige Wasserstoffnetzbetreiber sollen neben dem Transport auch die Verteilung übernehmen.

Allen ist klar: Es gilt, keine Zeit für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien zu verlieren. Die getrennte Regulierung von Erdgas und Wasserstoff ignoriert allerdings potenzielle Synergien und bricht mit bewährten Prinzipien der Gasnetzregulierung. Dadurch fehlt Stadtwerken und Netzbetreibern eine planbare Dekarbonisierungsperspektive. Eine Änderung, wie seitens des Bundesrats angeregt, könnte dies vermeiden, sonst wird bestenfalls viel Zeit verloren. Der Bundestag sollte jetzt die richtigen Weichen stellen, gerade vor dem Hintergrund des Urteils (wir berichteten) des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) und ambitionierter Klimaschutzplanungen. Sie müssen auch umsetzbar sein. Die Akteure stehen bereit!

Ansprechpartner*innen: Prof. Christian Held/Dr. Olaf Däuper/Johannes Nohl

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